1973, als Duccio Tessari "Tony Arzenta" ("Tödlicher Hass") mit Alain Delon in der Titelrolle inszenierte, war dieser seit Melvilles "Der eiskalte Engel" ("Le samourai") auf die Rolle des einsamen Killers festgelegt. Als ein Mann, der das Töten professionell und fehlerfrei erledigt, weshalb er jede Emotion und Abhängigkeit von Menschen zu vermeiden sucht. Eine Thematik, die seitdem in unzähligen Varianten wiederholt wurde. Doch obwohl Delons Rolle in Gestus und Vorgehensweise diesem Stereotypen auch in „Tony Arzenta“ entspricht, unterscheidet sich Tessaris Ansatz grundlegend, denn Arzenta hat schon eine Familie und sitzt zu Beginn des Films beim Kindergeburtstag seines Sohnes etwas betrübt auf der Couch.
Anstatt zu Feiern muss er noch einen Job erledigen und das ihm das nicht mehr gefällt, wird spätestens deutlich, als er seinen Boss Nick Gusto (Richard Conte) nach erfolgter Umsetzung darum bittet, ihn aus seiner Position zu entlassen. Er möchte nicht mehr für die Mafia arbeiten, sondern sich mehr um seine Familie kümmern. Da die Mafia nicht wie ein normaler Arbeitgeber funktioniert, beschließen die Bosse, nachdem Nick Gusto dieses Ansinnen beim gemeinsamen Treffen vortrug, entsprechende Konsequenzen. Doch durch einen unglücklichen Zufall stirbt nicht wie geplant Arzenta, sondern dessen Frau und Sohn. Fälschlicherweise wird sein Verhalten oft als Zeichen einer Todessehnsucht interpretiert, da die Reaktion der Mafiabosse auf seinen Wunsch vorhersehbar scheint, aber tatsächlich steckt etwas von einem Romantiker in Arzenta, der noch ernsthaft an den familiären Zusammenhalt der Mafiagemeinde glaubt.
Als typische Rachestory im Mafiamilieu entworfen, entwickelt Tessari unterschwellig eine emotionale Gegensätzlichkeit, die die Mafialegenden in einer Form demaskieren, wie es erst Scorsese viele Jahre später in „Goodfellas“ mit deutlich höherem Aufwand gelang. Nur in einer Szene kommt mit einem Polizisten eine Person vor, die nicht zum Milieu gehört, denn Tessari braucht keine äußere moralische Instanz, um die Maßnahmen der verantwortlichen Bosse als nur an der eigenen Bereicherung und dem eigenen Vergnügen orientierte Vorgehensweise zu offenbaren.
Diese geschäftsmäßige Kälte verdeutlicht sich nur langsam, denn äußerlich entwickelt Tessari ein typisches Bild des regionalen Zusammenseins von Kirche, Bürgern und dem allgegenwärtigen „Paten“, der sich um seine Schäfchen kümmert. Nicht ohne Grund vertraut sich Arzenta Nick Gusto mit seiner Bitte an, denn schon sein Vater arbeitete für die „Familie“ und selbst als er beginnt, den versehentlichen Tod seiner Familie zu rächen, bedeutet das keinerlei Kritik an der Institution an sich. Der deutsche Titel „Tödlicher Hass“ kann deshalb nur als veritable Fehlinterpretation angesehen werden, denn entsprechende Gefühle drückt Arzenta keinen Moment aus. Viel mehr wirkt seine Ruhe wie eine Erstarrung, die Denjenigen trifft, dem ausgerechnet durch seine Vertrauten die liebsten Menschen genommen wurden. Nicht überraschend ist es deshalb, dass er die Hand der Versöhnung annimmt, als auch sein Lebenswillen wieder zunimmt.
Geschickt spielt Tessari mit den Emotionen der Betrachter, die er damit aufs Glatteis führt, dass er diese Thematik in eine typische Actionstory einbettet mit blutigen Shoot - Outs, üblen Gewalttätigkeiten und Folterungen und nicht zuletzt in ihrer Direktheit sehr überzeugende Auto – Verfolgungsjagden, die auch vor unbeteiligten Opfern nicht zurückschrecken. Trotz seiner Rolle als Auftragskiller wird Arzenta zum Sympathieträger, was Tessari noch damit beschleunigt, dass er die meisten Mafiabosse als miese Egomanen schildert, die den Tod mehr als verdient haben. Es sind die Details, die diesen Film von heute üblichen Revenge - Filmen unterscheiden. Sämtliche Abläufe geschehen ohne übertriebene Emotionen, was bispielhaft an der Abschiedsszene zwischen Arzenta und seinem Sohn erkennbar wird. Während in der Gegenwart solche Szenen bewusst hoch stilisiert werden, um eine Begründung für die kommende Selbstjustiz des Helden abzugeben, überzeugt diese Szene hier durch ihre Beiläufigkeit, mit der ein müder Vater seinem Sohn den Wagenschlüssel freundlich in die Hand drückt. Noch friedlich lächelnd muss er erleben, wie dieser durch eine Autobombe stirbt, und so wie Tessari hier auf übertriebene Tränen verzichtet, findet später auch kein Triumphgefühl angesichts der Leichen statt, die Arzenta in einer Mischung aus Selbstverteidigung (die Mafia will schließlich ihren Fehler korrigieren) und Rache hinterlässt.
Rache- oder Selbstjustiz-Thriller unterscheiden sich vor allem im Ergebnis der beschriebenen Handlungen. Auch „Tony Arzenta“ kann einen gewissen Unterhaltungswert der Tötungsszenen nicht leugnen, die von der Überheblichkeit der Opfer und dem geschickten Vorgehen des Rächers geprägt sind, aber sie erzeugen keine Befriedigung, sondern vermitteln den Eindruck von Sinnlosigkeit, weshalb Arzenta langsam die Lust an seinem Rachefeldzug verliert, der zunehmend auch seinen Freundes- und Familienkreis gefährdet. Anders als in aktuellen Werken des Genres verzichtet der Film auf eine künstliche Lösung, die den Konflikt aus der Sicht des Rächers abschließt, der hier sogar wieder neue Gefühle für eine andere Frau entwickelt - undenkbar in den heutigen moralisch hochstilisierten Zeiten. Für Tessari kann es keine Lösung aus dieser Gewaltspirale geben, aber die Kälte die er dabei vermittelt, schockiert in ihrer abschließenden Konsequenz (8,5/10).