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Immer wieder ist es mal soweit: Hollywood gibt einem seiner Wunderkinder finanzielle und künstlerische Freiheit zur Umsetzung seiner persönlichen Visionen und Obsessionen – was manchmal zu kommerziellen Misserfolgen führt, darunter Judd Apatows „Funny People“ oder Michael Ciminos legendärer Megaflop „Heaven’s Gate“. Mit dem an der Kasse krachend gescheiterten „Babylon“ darf sich nun auch Damien Chazelle in diese Ahnengalerie einfügen.
Es geht um das klassische Hollywood der 1920er, ein legendäres Sündenbabel, dessen Exzesse bereits die Anfangsszene zusammenfasst, eine Party eines Hollywoodproduzenten, bei der alle Hauptfiguren erstmals aufkreuzen. Manny Torres (Diego Calva) ist ein Hollywoodhandlanger, dessen aktuelle Aufgabe das Management besagter Feier ist – worunter auch das Beschaffen eines Elefanten gehört. Jack Conrad (Brad Pitt) ist der größte Filmstar jener Ära, Nellie LaRoy (Margot Robbie) dagegen eine ehrgeizige Möchtegernschauspielerin, die durch eine aufreizende Tanzperformance auf der Party (und den überdosisbedingten Ausfall der Erstbesetzung) ihre erste Filmrolle ergattert. Lady Fay Zhu (Li Jun Li) singt als Showact schmutzige Lieder, Trompeter Sidney Palmer (Jovan Adepo) begleitet als Teil der Band den Abend musikalisch und Filmreporterin Elinor St. John (Jean Smart) ist nicht nur als Gast dort, sondern auch per Du mit all den Stars, über die sie berichtet.
Und schon am Auftakt merkt man: „Babylon“ stellt Exzess nicht nur dar, sondern ist selbst exzessiv. Erst nach ungefähr einer halben Stunde erfolgt die Einblendung des Titels, um zu verdeutlichen, dass die ausschweifende Party nur ein Prolog, eine Vorschau auf Kommendes war. In der Folgezeit arbeitet sich Nellie durch Talent, Sex-Appeal und Intrigen zum gefragten Jungstar hoch, Manny hingegen erklimmt langsam aber stetig Hollywoodkarriereleiter. Einige Figuren sind zu Beginn des Films bereits im Olymp, andere kommen erst noch dort hin – „Babylon“ erzählt die klassische Story von einer Glitzerwelt, in der es für die Protagonisten immer höher hinausgeht, bis der Fall kommt.

In „Babylon“ leitet das Aufkommen des Tonfilms den Anfang vom Ende ein, wenn auch nicht von jetzt auf gleich. Manny steigt als Toningenieur weiter auf, Sidneys musikalisches Talent ist nun auch vor der Kamera gefragt, während es für die Stummfilmschauspieler Jack und Nellie schwer wird sich den neuen Gegebenheiten anzupassen…
Man kann „Babylon“ – und das sogar fast schon wertfrei – als regelrecht größenwahnsinniges Werk bezeichnen. Chazelle will hier einfach alles zum Thema Kino, Film und Hollywood erzählen, ein Zuviel ist gerade gut genug für ihn. So endet der Film mit einem Kinobesuch, der in einer Montage die gesamte Geschichte des Mediums zu erzählen versucht, von früheren Stummfilmen über Experimentalklassiker wie „Ein andalusischer Hund“ und Musicals wie „Singin‘ in the Rain“ bis hin zu Effektmeilensteinen wie „Terminator 2“, „Jurassic Park“ und „Avatar“. Dabei ist „Babylon“ allerdings auch ein seltsamer Zwitter, der einerseits seine Liebe zum Kino an sich und zum klassischen Hollywood filmisch ausdrücken möchte, andrerseits dessen Schattenseiten aufzeigen will. Ähnlich unentschlossen wirkt die Darstellung der Exzesse, bei der nicht klar wird, ob „Babylon“ derartige Ausschweifungen abfeiern, dokumentieren, parodieren oder kritisch hinterfragen möchte. Oft hat man das Gefühl, das Chazelle alles davon auf einmal möchte, wenn die ausgelassenste Partystimmung und ein halb zu Tode gekokstes Starlet quasi Seite an Seite gezeigt werden.
Der Film spielt zu großen Teilen auf rauschenden Hollywoodpartys und an Filmsets, die in epischer Breite präsentiert werden: Die erste Stunde des Films wird fast ausschließlich von der erwähnten Party und dem turbulenten Filmdreh am Folgetag eingenommen. Ähnlich exzessiv wie der Inhalt ist auch die Form: Kamera und Schnitt ackern im Akkord, um das Treiben mit wilden Fahrten und aufregenden Parallelmontagen noch dynamischer wirken zu lassen. Einiges davon ist nicht nur technisch beeindruckend, sondern auch echte Kinomagie. Etwa wenn sich der Schnittrhythmus in der Szene, in der gleich mehrere Filme gleichzeitig gedreht wird, beständig steigert, wenn Nellie einen Take nach dem anderen abliefert, während Manny mit benötigtem Filmequipment zu Jacks Filmset rast. Wenn der hektische Dreh einer Schlachtszene mit dem Zeitlupenkuss zwischen Jack und seiner Filmpartnerin vor einem Sonnenuntergang einen epischen Abschluss findet. Oder wenn der letzte Partybesuch des Films in eine Unterwelt führt, die eher an einen Horrortrip durch schlechte Drogen erinnert, im wahrsten Sinne des Wortes: Mit angriffslustigen Alligatoren, Karnevalsfreaks und dem blutigen Einsatz einer Axt sowie der düsteren, andersweltlichen Ausleuchtung kommt hier auch die Filmsprache des Horrorgenres zum Einsatz.

Ähnlich exzessiv wie der Rest des Films ist auch das Casting: Da schaut Olivia Wilde für keine zwei Minuten als Jack Conrads (Ex-)Ehefrau vorbei, da gibt Eric Roberts für wenige Szenen den Vater von Nellie, da ist Samara Weaving für eine kurze Zeitspanne als Nellies Rivalin und Lookalike zu sehen. Flea von den Red Hot Chilli Peppers und Lukas Haas geben Hollywoodstrippenzieher, in einer Nebenrolle im Schlussakt spielt Tobey Maguire ganz groß auf. Den Löwenanteil der Aufmerksamkeit bekommt allerdings das Trio aus Brad Pitt, Margot Robbie und Diego Calva. Vor allem Pitt beeindruckt als Jack Conrad, der einerseits ein dauerbesoffener Hallodri ist, seinen Beruf andrerseits vollkommen ernst nimmt und das Kino vorwärtstreiben will. Wenn diese Entwicklung allerdings den Untergang Conrads heraufbeschwört und er sich diese Tatsache eingestehen muss, dann verkörpert Pitt dies mit unglaublicher Intensität. Margot Robbie spielt ihre gewohnt exzessive Rollenpersona gewinnbringend aus, während der vergleichsweise unbekannte Diego Calva da spielend mithalten kann. Er legt Manny als einen fleißigen Kerl an, dessen einziges Problem seine unerfüllte Liebe zu dem Freigeist Nellie ist, was ihm nicht nur emotionale Probleme beschwert, sondern ihn auch immer wieder in die Scheiße reitet. Daneben kommen Jovan Adepo, Li Jun Li und Jean Smart in weiteren nominellen Hauptrollen etwas kurz, trotz guter Leistungen.
Die hohe Qualität des Schauspiels kann allerdings eine Sache nicht verbergen: Wirkliche Empathie mit den Figuren will nicht entstehen. Zwar haben alle ihre Probleme, ihre menschlichen Stärken und Schwächen, doch diese Handlungsbögen gehen immer wieder in Chazelles Begeisterung für den Rausch und Exzess unter. Die sprunghafte Narration des Films tut ihm dabei auch keinen Gefallen, wenn immer mal wieder Jahre und wichtige Entwicklungsschritte übersprungen werden und Figuren mit einem Szenenwechsel vom Stern am Himmel Hollywoods zur Persona non grata geworden sind. Erzählerisch macht „Babylon“ da nichts falsch, denn aus dem Kontext ist immer schnell abzulesen, was in der Zwischenzeit passiert ist, doch emotional bleibt der Film dadurch unterentwickelt. Selbst wenn dort Leben zerbrechen und Existenzen zerstört werden, verfolgt man das Treiben doch etwas teilnahmslos, von einer Szene einmal abgesehen (Stichwort: verspiegelte Badezimmertür).

So muss sich „Babylon“ dann auch die Frage gefallen lassen, ob für diese Geschichte wirklich eine Laufzeit von über drei Stunden nötig war bzw. ob zumindest die Prioritäten innerhalb dieser Laufzeit richtig gesetzt wurden. Martin Scorseses „The Wolf of Wall Street“ (ironischerweise Margot Robbies Durchbruchsfilm) war ähnlich lang, ähnlich exzessiv, aber merklich fokussierter und wusste wesentlich mehr über seine Hauptfigur zu erzählen. Jener Film konnte sich jedoch auch für einen Hauptcharakter entscheiden, während „Babylon“ zwischen drei und sechs davon besitzt – bei Sidney, Fay und Elinor ist nie so ganz klar, ob sie nun wichtige Nebenfiguren oder minder wichtige Hauptfiguren sind, da die zwischendurch immer wieder Sendepause haben, an Schlüsselstellen wie einer wichtigen Montage gegen Ende dann wieder gleichberechtigt mit Nellie, Manny und Jack ihren Platz finden. Manchmal wird ihre Tragik auch nur angerissen, etwa im Falle von Fay: Diese ist gleichzeitig hilfreiche, brave Tochter, offen lesbische, sich verrucht gebende Sängerin und talentierte Zwischentitelautorin im Stummfilmbusiness, ehe die Studios sie sie eiskalt ins Aus befördern. In das neue, sich sauber gebende und bald vom Hays Code gegängelte Hollywood passt sie nicht mehr, aber an genau diesem Moment verschwindet sie auch beinahe aus dem Film.
So sind es dann immer wieder Einzelszenen, die sich einprägen. Slapstickhafte Momente, in denen etwa eine berauschte Nellie schon bei der Ankunft auf einer Party eine Statue umfährt, ein volltrunkener Jack vom eigenen Balkon in den Pool stürzt oder die Gäste einer Hollywoodparty in die Wüste fahren, weil sich einer von ihnen mit einer Klappenschlange duellieren will – mit urkomischen Folgen. Es gibt auch ein paar stille, einprägsame Momente, etwa die Parallelmontage, in der man sieht, wie die einzelnen Figuren den Morgen nach einer Party erleben: Jack fällt in die weichen Daunen in seinem Poolhaus, Sidney pennt rustikal auf zwei Stühlen, Nellie macht sich von dem erbärmlichen Drecksloch-Apartment, das sie mit ihrem Vater Robert (Eric Roberts) bewohnt, zum Filmdreh in Hollywoods Glamourwelt auf.

„Babylon“ ist ein in jeder Hinsicht exzessiver Film, im positiven wie im negativen Sinne. Er ist ein filmischer Rausch, teilweise atemberaubend gefilmt und montiert, er ist laut, schrill, überlang, er will zu viel und scheitert an seinen Ansprüchen zwischen Liebeserklärung an, Parodie auf und Anklage der Umtriebe des klassischen Hollywoodkinos. Er hat tolle Schauspieler, allen voran ein grandioser Brad Pitt, gibt den Figuren aber nicht den richtigen Unterbau in Sachen Drehbuch. Ein irgendwie faszinierender Film, wenn auch kein so wirklich guter.

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