Review

Requiem für eine Traumfabrik


„Damien, hier hast du 100 Mio. - mach mal!“. Das und nichts anderes müssen die Worte von Paramount vor dem Vorhaben „Babylon“ zu ihrem noch immer außergewöhnlich jungen Regisseur gewesen sein. Und das erinnert natürlich an solche Epen wie „Cabiria“ oder „Heaven's Gate“, die schon manches Studio in den Wahnsinn bis Bankrott getrieben haben. Aber wie geil ist das denn trotzdem und gerade drum, dass es sowas heutzutage noch gibt? Dass einem mutigen Visionär voller Tatendrang einfach freie Hand und ein derart dicker Geldbeutel gelassen wird? Dass man ohne Franchise oder große Vorlage im Rücken so in die Vollen geht? Wann gab es das letzte Mal einen solch grandiosen Regisseur in seinen Dreißigern? Und welcher große Klassiker wird hier (ohne seine eigene Identität zu verlieren!) eigentlich nicht zitiert? „Babylon“ ist ein wilder Ritt durch den Körper Hollywoods, durch dessen goldenes Kehlchen, aufgeblasene Gedärme und hinaus in einem Regen aus Scheisse und zerbrochenen Träumen. „Babylon“ ist Liebesbrief und Abrechnung zugleich. „Babylon“ ist Fortsetzung im Geiste und Antithese zu „La La Land“. „Babylon“ ist eine fette, fette Party mit tödlichem Kater. „Babylon“ ist Horror und Melodrama, Abgesang und Loveletter, großes Kino für eingefleischte Fans dieser Kunstform, irgendwo zwischen Tarantino, P.T. Anderson, Lynch, Luhrmann und natürlich auch vollkommen Chazelle selbst. Dieser Mann hat ohne Frage seine Ideen, Themen und Melodien gefunden. Erzählt wird in der dreistündigen Berg- und Talfahrt aus dem Leben mehrerer Menschen in Hollywood, vom Hoch der Stummfilmzeit bis weit in die Talkies hinein. Etwa von einem riesigen Star, dessen Zeit abgelaufen scheint als der Film das Reden lernt, von einem spanischen Hilfsarbeiter auf der brüchigen, rutschigen und dreckigen Leiter dieses tückischen Geschäfts, von einem sexy aufstrebenden Starlet mit Spielsucht. Und natürlich von einem System und einer profitablen wie perfiden Branche selbst, die genauso rauschende Orgien feiert wie über Leichen geht…

The Great Chazelle'sby

„Babylon“ ist mächtig und läutet das Kinojahr 2023 mit einem Knall, mit einem Tusch, mit einer ekstatischen Grimasse von Film ein. Es ist definitiv Chazelles bisher aufwändigstes Werk - und eins (passend zu seinem Thema) für die Ewigkeit! Polarisierend, wild, ungeschliffen, eigen. Freizügig, glorreich und bombastisch. Ich wurde in den Kinosessel gedrückt und wie neu geboren wieder ausgespuckt. Der Score geht von sensibel und sehr La La Land'ig bis zu druckreich ohne Ende, werde ich mir dieses Jahr sicher noch oft anhören. Margot Robbie und Brad Pitt waren, sind und bleiben Superstars und Sensationen - selbst wenn sie auch hier nur Variationen ihrer perfektionierten Archetypen spielen. Dennoch taten sie es selten mit mehr Chuzpe und Power, mit mehr Tränen in den Augen und Feuer im Popo. Die Sets und Kostüme sind detailverliebt und prachtvoll, die damalige Zeit wird stark zum Leben erweckt, das Kino wird gefeiert, in der Luft zerrissen und untergründig doch wieder mit Liebe und Hoffnung zusammengesetzt. Es wird getanzt, geschwitzt, geflucht und gefickt. Es geht in schillernde Paläste und in den groteskesten Untergrund, der unfassbar heftig andeutet, was Chazelle auch im Horrorbereich zu leisten im Stande wäre. Tobey Maguire war noch nie gruseliger. Hollywood war selten abstoßender und doch authentischer. Ein junger Regisseur war wohl noch nie sicherer in seiner Wahl der Worte, Weine und Witze. Letztere bleiben einem auch gerne mal im Halse stecken. Natürlich ist „Babylon“ über seine imposante Breite auch mal anstrengend, selbstverliebt, ausufernd und schwere Kost. Das ist schon absolut „Filmnische“. Der Mainstream darf gerne weiter in den nächsten „Avatar“ rennen. Und dennoch mochte ich an diesem Mammutprojekt jede Krampe, jede Falte, jede Schelle und jeden Schrei. Vor Freude wie vor Angst. Filme sind eine Leidenschaft. Und schon im Wort sowie in „Babylon“ steckt eben auch eine Menge Leiden. 

Fazit: „Babylon“ fühlt sich an wie „Der Pate“, wie „Apocalypse Now“, wie „Fitzcarraldo“ und wie „2001“. „Babylon“ fühlt sich an wie der Rausch eines jeden Filmliebhabers. „Babylon“ fühlt sich an wie ein Klassiker. Und dafür gibt’s in meinem Buch nur eine Erklärung - weil er einer ist! 

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