Erste von zwei Zusammenarbeiten zwischen Guy Pearce und Alex Pettyfer, die zweite, Sunrise (2024) in einem etwas anderen Metier zugeordnet und mit einer anderen Konstellation, die Beachtung selber gleich groß oder gleich gering, je nachdem, wie man das beurteilen und werten möchte, die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Hier übernimmt Pearce den aktiven Part, die Prämisse klingt beim bloßen Aufschnappen oder Überfliegen etwas an Stephen Kings Stark (1993), an Die Mächte des Wahnsinns (1994) oder Das geheime Fenster (2004), ohne oder doch mit den übersinnlichen bis in den Horrorfilm reichenden Komponenten; wer weiß das schon:
Der ehemalige Literaturdozent und Autor Bruce Cogburn [ Guy Pearce ] lebt seit über zwei Jahrzehnten zurückgezogen, trotz Drängen seiner Agentin, nach dem Erstling doch ein zweites Buch oder zumindest ein Vorwort zu einer Jubiläumsauflage zu schreiben. Der Grund für die Isolation ist ein Amoklauf kurz nach dem Erscheinen des Romans, wurden von dem seitdem als lebenslänglich Inhaftierten Dwight Tufford [ Alex Pettyfer ] über ein Dutzend Menschen erschossen; Tufford hat sich ausdrücklich auf das Buch bezogen und dieses als Auslöser und Grund für seine Mordtaten beschuldigt. Als Cogburn hintereinander mehrere Briefe eines William DuKent bekommt, der ihn um Hilfe bei seiner Schreibarbeit bittet, lehnt Cogburn energisch ab, hat aber bald mehr Geschehnissen und Bedrängnissen zu tun; er fragt die lokale Officer Laura Higgins [ Alice Eve ] um Rat und einen Gefallen.
Begonnen wird mit einer Radionachricht, die bereits ein Vierteljahrhundert alt ist, mit einer Tragödie à la Turm des Schreckens (1975), der Präsident hat den Angehörigen der zahlreichen Opfer kondoliert, der Präsident hört noch auf den Namen Reagan; wenn man rechnen kann, kann man sich ungefähr ausmalen, wann die eigentliche Geschichte spielt. Wo sie spielt, ist South Carolina, (wo sie gedreht ist, ist in der Region Algarve, Portugal), von Bergen und Hügeln umzogenes Flächenland, lange, leere, staubige Straßen, ab und zu mal eine isolierte Raststätte, im besten Fall mit angeschlossener Tankstelle. Telefonzellen stehen hier auch noch, dies ist auch das eigentliche Ziel des Fahrers, ein Anruf zu tätigen, es wird zweimal probiert, es wird gezögert, es wird abgebrochen, es wird neu eingeleitet, die Regie in Beobachtung und Habachtstellung, das Bild erweitert und eröffnet sich. Details kommen zum Vorschein, Zusammenhänge werden gerichtet, vorher wurden nur minimale Informationen bereitgehalten, jetzt verdichtet.
Der Mann ist ruhig und agitiert zugleich, er weiß, was er tut, er ist dennoch angespannt, er ist nicht begeistert von der Situation und er ist sich nicht sicher. Die Haltung ist ablehnend, was ihm nicht einfach fiel, aber eine Erleichterung ist, ein Stein ist vom Herzen gefallen, es liegen aber noch genug drauf, es sind noch weitere Belastungen vorhanden, man verhält sich wie und ist deutlich auf der Flucht. Ein Prozess ist längst in Gang gesetzt und er wird auch im Gange bleiben, eine Beharrlichkeit und Treue, die obsessiv ist und furchterregend scheint. Eine Adaption (nach "The Hilly Earth Society" von Louis Kornfeld, produziert für den "The Truth" Podcast) wird hier geboten, eine doppelte Metapher, eine zusätzliche Ebene, ein Film über ein Autor, der von einem anderen Autoren behelligt wird, geschrieben von einem Autor, dessen Werk nun von dem nächsten bearbeitet und in ein anderes Medium umgewandelt wird.
Das Originalwerk im Film heißt "The Infernal Machine", geschrieben 1981, plus 25 Jahre darauf, macht 2006 nach Adam Riese. Die Hauptfigur hat kein Telefonanschluss und kein Handy, sie hat kein Briefkasten, sie hat ein Postfach, wo fleißig die Anschreiben hineinfließen, die erste noch freundliche Absage ist ein Fehler, da eine Kontaktaufnahme oder zumindest Erwiderung, der zweite Anruf ist noch deutlicher und gröber, ein nächster Fehler. Kommuniziert wird hier ansonsten oft mit unterschiedlichen Mitteln, meist nonverbal, die Briefe, die fein säuberlich vorbereitet werden, alle gleich, wie aus der Druckerpresse, dann mal ein Päckchen, auch anderen Handlungen sind oft selbsterklärend, sie werden nicht etwa verklausuliert, sie werden angedeutet, sie präsentieren sich selber; Filmemacher Andrew Hunt hält sein Publikum für intelligent genug, er fordert ihm einiges ab, er stellt es auf eine Probe, ein Gedankenspiel, ein Experiment wie The Game - Das Spiel seines Lebens (1997); welches lang genug, nicht ewig, nicht gänzlich über den Showdown hinaus funktioniert, was aber frühzeitig erkannt und auch vorbereitet wird: "Because your protagonist is too aware of your narrative now, and to make matters worse, he's also a writer. So he knows exactly what a good story needs, and also how to sabotage one. What's the greatest sin a writer can commit? Do you know? Being dull. And that's exactly what I'm going to give you, you stupid fucking cunt. A long, drawn-out, uneventful, boring ending. Because nobody gives a damn about an inspired second act if your finale is a big pile of shit. Wouldn't you agree?"
Ein Psychogramm wird hier gezeichnet, der Mann lebt alleine, er lebt zu lange alleine, er ernährt sich zu oft von Hochprozentigen, er hat ein Trauma, er hat eine Sucht und er hat eine gewisse Paranoia, eine schlechte Kombination, ein gefährliches Abenteuer. Er legt sich einen Hund als Abschreckung zu, er nimmt die Post nicht mehr an, er bekommt weiter Briefe. Er schreibt nicht mehr, er liest, der Film bleibt an ihm dran, der Autor, der Mensch im Porträt, tagein, tagaus, seine Existenz, die in wenigen Worten zusammengefasst werden kann und dennoch eindeutig und dennoch auch mehrdeutig ist, mehrere Schichten bietet, unterschiedliche Perspektiven, innere und äußere Einflüsse, wie sie uns alle umgeben.
"WHO AM I? Who am I, really? That's the question that every protagonist needs to answer by the end of their story."; ein Unterricht wird gehalten, eine Lehre, Interaktionen finden statt, mal in der Vergangenheit, mal in der Gegenwart, oft einseitig gehalten, dann tatsächlich im direkten Kontakt, im Gespräch, eine Erweiterung der Prämisse, in der man sich dem stellt, wovor man sich fürchtet, und entweder die Befürchtungen verarbeitet oder diese sich verflüchtigen, oder sich realisieren oder als tatsächliche Bedrohungen herausstellen. Überraschungen sind in diesem Fall hier meist böser Natur, sie schleichen sich langsam heran, der Film hat einen gewissen Druck zu bieten, er forciert das aber nicht über Tempo. Hilfe ist rar und wird dankend angenommen, eine Zufallsbekanntschaft, die zufällig auf Polizistin ist, ein Hund aus dem Tierheim, der zur Wache da ist und der einzige ehrliche Begleiter; gespielt und dramatisiert ist das gleichsam mit Sorgfalt, mit angenehmer Präzision, ohne überzogen zu wirken. Die Albträume werden realer, die Einschläge kommen dichter, eine Reise wird angetreten, mit vielen unbeantworteten Fragen und vielen Rätseln, die Anspannung wird enger, ein Slow-burner, mit sorgfältig orchestrierten, meist nur in der Fantasie abspielenden Gewaltausbrüchen. Lange Zeit ist dies ein Einzel-Film, mit einer einzelnen Person im Blickfeld, nach und nach erst erwächst ein Kontakt, dann ein zweiter, glaubt man zumindest, wird der Kreis der handelnden Person und der Kreis der handelnden Personen vergrößert, vom Monolog zum Dialog, vom Gedachten und Gesprochenen und Gehörten zum Geschriebenen, vom Protagonisten zum Gegenüber, eine Ermittlung steht an, man kommt der Wahrheit gleichzeitig zu nah und ihr nicht näher: "Who am I? Who am I, really? That's the question that every protagonist needs to answer by the end of their story. If your hero hasn't reached some sort of cathartic realization about who they are or what they believe in by the last page,then I'm sorry to inform you, laddies and gents, you have failed your reader. The road you construct for your characters to travel along, it shouldn't be paved, shouldn't be easy. Because finding out who you are never is."