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Guillermo del Toro macht sich die Pinocchio-Geschichte auf faszinierende Weise zu eigen. Und zwar nicht nur, weil hier zahlreiche Motive aus dem Werk des Regisseurs auftauchen. Mit einem neuen Prolog, in dem Gepetto seinen kleinen Sohn im ersten Weltkrieg verliert, verändert er sowohl Motivation als auch Tonalität der Vorlage völlig. Zwar folgt sein Film danach dem episodischen Original, jedoch packt del Toro deutlich mehr Tiefe und vielschichtigere Bedeutungsebenen in die märchenhafte Story, und das, ohne den Film dabei zu überfrachten.

Es geht um Verführung und Macht, um Religion und Tod und um die Beziehung zwischen Vätern und Söhnen. Dabei gelingen del Toro und seinem Animationsregisseur Mark Gustafson verblüffende Analogien. So inszenieren die beiden Pinocchios Geburtsstunde als alkoholgeschwängerten Schöpfungsprozess, bei dem Gepetto eher einem Mad Scientist gleicht als dem netten Tischler von nebenan. Und da fragt sich der Junge aus Holz, warum alle denn die Holzfigur am Kreuz in der Kirche so lieben und ihn nicht.

Die Figur des Pinocchio selbst stürmt mit einer unbändigen – und, ja, auch kindlich nervigen – Energie durch den Film, ohne Rücksicht auf seine Umwelt und sein eigenes Leben, denn wie sich herausstellt, ist er als Puppe unsterblich. Das rückt auch den Wunsch, ein lebendiger Junge zu werden, nochmal in eine andere Perspektive.

Die Animation ist ein echtes kleines Wunder, seit A NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS und CORALINE hat man nicht mehr solch fantastische düstere Welten und Figuren in einem Stop-Motion-Film gesehen, alles ist mit großer Liebe zum Detail gestaltet und man kann kaum glauben, dass das meiste hier tatsächlich in Handarbeit entstanden ist – wie zum Beweis hat Netflix dem Film eines seiner seltenen „Making ofs“ angehängt.

Auch das Voice Acting ist fabelhaft, Ewan McGregor führt warmherzig und humorvoll durch den Film, Christoph Waltz gibt überzeugend weltmännisch den geschäftstüchtigen Zirkusdirektor, Cate Blanchett wollte so gerne mitspielen, dass sie sich auch mit der Rolle des Affen begnügte (und dies ganz herrlich meistert) und Gregory Mann in der Titelrolle passt nicht nur perfekt sondern überrascht auch mit einer richtig schönen Singstimme. Denn, ja, es wird auch gesungen in Pinocchio. Das sind dann zwar nicht unbedingt die Sternstunden des Films, doch ist der Gesangsanteil bei den rund zwei Stunden Laufzeit zu verschmerzen.

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