„Das Gesetz des Karma funktioniert überall.“
Mit dem elften Fall des Wiesbadener LKA-Kriminalhauptkommissars Felix Murot (Ulrich Tukur) debütierte der Hamburger Regisseur Matthias X. Oberg („Unter der Milchstraße“) innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe. Zusammen mit Lars Hubrich verfasste er auch das Drehbuch. Die Erstausstrahlung erfolgte am 25. September 2022, doch am 9. September 2022 wurde „Murot und das Gesetz des Karma“ bereits auf dem Ludwigshafener Festival des deutschen Films gezeigt, wo er für den Rheingold-Publikumspreis nominiert wurde.
Nachdem Felix Murot im Continental-Hotel vor Vertreterinnen und Vertretern der Versicherungsbranche einen Vortrag zum Thema Cyberkriminalität gehalten hat, lernt er an der Lobbybar die attraktive junge Eva (Anna Unterberger, „Die Toten von Salzburg“) kennen und isst mir ihr zu Abend. Jedoch handelt es sich um eine Trickdiebin, die ihn kurzerhand mittels K.O.-Tropfen außer Gefecht setzt. Als er wieder zu sich kommt, fehlt seine Brieftasche. Seine Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp), die ihn schon lange zu erreichen versucht hat, berichtet ihm außerdem von einem Mord, der im selben Hotel stattgefunden hat: IT-Spezialist Martin Landrot (Dirk Martens, „Die Liebe des Hans Albers“) wurde erstickt. Was er nicht weiß: Jene Eva hatte Landrot kurz zuvor um dessen Laptop erleichtert. Dieser sollte eigentlich für viel Geld dem Kriminellen Xavier (Thomas Schmauser, „Nach fünf im Urwald“) ausgehändigt werden, einem gefährlichen Handlanger Schöllers (Philipp Hochmair, „Blind ermittelt“), Chef des dubiosen Finanzunternehmens „Delphi Invest“. Auf dem Laptop befindet sich brisantes Material, das Schöller unbedingt zurückbraucht. Nachdem Xavier Landrot erstickt hat, befindet er sich fieberhaft auf der Suche nach dem Laptop, bis er schließlich auf Evas Spur kommt – die sich wiederum als Tochter einer alten Urlaubsbekanntschaft Murots entpuppt. Ihm gibt Eva für alles die Schuld, was nach dem Beziehungs-Aus im Leben ihrer Mutter schieflief…
Murot-„Tatort“-Episoden verfolgen keinen folgenübergreifenden Stil, sondern sind jedes Mal anders, dabei häufig aus der Reihe fallend, experimentell, künstlerisch ambitioniert oder kontextuell mit anderen Filmen in Verbindung stehend. Als Überbau über der eigentlichen Handlung steht diesmal das spirituelle Konzept des Karmas, von dem Murot annimmt, es könne ihn verfolgen. Es präsentiert sich als Verwicklung mehrerer Zufälle, die sich gegen einen wenden, und erklärt somit den von ihnen stark abhängigen Handlungsaufbau, der zwar in der Realität verwurzelt, doch ihr zugleich entrückt scheint, ohne ins Surreale abzudriften. Das macht „Murot und das Gesetz des Karma“ in Kombination mit schwarzhumorigen Versatzstücken zu einer Kriminalgroteske, der mit üblichem Logikverständnis kaum beizukommen ist.
Jener Humor speist sich in erster Linie aus der Figur Xavier, die als eiskalter Mörder eingeführt wird, sich im weiteren Verlauf jedoch als Prügelknabe entpuppt, dem, unter Schöllers Knute stehend, auf seiner Laptop-Suche stets übel mitgespielt wird. Eva hingegen erweist sich nicht nur als äußerst wehrhaft gegenüber Xavier, sondern auch als wandlungsfähige, schlaue Diebin, die erkennt, welche Chance der Laptop für sie und ihre Freundin (Marlina Mitterhofer, „Tatort: Liebe mich!“) bedeutet, mit der sie außerhalb auf dem Lande zusammenlebt. Anna Unterberger schlüpft in zahlreiche verschiedene Kostüme und somit Rollen, die sie allesamt brillant verkörpert. Ihre Ausstrahlung erinnert des Öfteren an ihre Schauspielkollegin Alice Dwyer. In Personen eines indischen Arztes (Mohammad-Ali Behboudi, „Julia muss sterben“) und eines Bauchredners bereichern weitere skurrile Gestalten diesen „Tatort“.
Die Szenen, die sich mit Murots Vergangenheit auseinandersetzen, sind von unangenehmer Melancholie geprägt und verleihen der Episode zeitweise eine tiefergehende Gefühlsebene. Da Murot glaubt, es könne sich bei Eva um seine Tochter handeln, beraumt er einen Vaterschaftstest an, dessen Ergebnis jedoch bis zum Schluss offenbleibt. Star des Falls ist Eva, die zur Sympathieträgerin avanciert, während Xavier zum fast schon bemitleidenswerten Opfer degradiert wird und Murot diverse charakterliche Schwächen offenbart. Regisseur Oberg und sein Team tauchen diese Episode in eine beeindruckende, jedoch nie aufdringlich artifizielle Ästhetik, die wiederum von der Einfachheit der Super-8-Urlaubsvideoausschnitte kontrastiert werden, die Murots damalige Freundin zeigen (und offenbar einem realen YouTube-Video entnommen wurden). Das sonnig-frühherbstliche Ambiente spiegelt die Stimmung gut wider. Ein klassischer Spannungsbogen ist nicht unbedingt Obergs Anliegen, was die meiste Zeit aufgrund des recht hohen Unterhaltungspotentials kein Problem ist und lediglich in der Mitte zum einen oder anderen Durchhänger führt – stets dann, wenn man sich den klassischen Krimithemen wie hier dem Inhalt des Laptops und den Gründen für Schöllers Interesse widmet…