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Im Kriegsfilm was Neues? - Remarques Klassiker goes Netflix


Erich Maria Remarques autobiographischer Roman „Im Westen nichts Neues“ ist ein Klassiker der Weltliteratur, vor allem aber bis heute mit die anschaulichste und eindringlichste Schilderung des 1. Weltkriegs aus Sicht des einfachen Soldaten. Das Grauen des ersten industriellen Großkrieges der Geschichte (der amerikanische Bürgerkrieg blieb auf den nordamerikanischen Kontinent begrenzt), das gnadenlose Verheizen Millionen junger Soldaten, die von der brachialen Gewalt moderner Waffensysteme regelrecht in Stücke gerissen wurden, wird gerade aufgrund der nüchternen Darstellung Remarques in all seiner menschenverachtenden Brutalität entlarvt. Die Mär vom heldischen Soldatentum oder gar Soldatentod zerschellt an Remarques präziser und zugleich lakonischer Sprache in ihre Atome. Dass die Nazis den Roman verboten hatten ist vor diesem Hintergrund keine Überraschung und bestätigt dessen Qualitäten.

Natürlich ist ein solcher Stoff wie geschaffen fürs Kino, denn die Wucht und Brutalität des Kriegsgeschehens wird durch Ton und Bild noch einmal deutlich verstärkt. Bereits 1930 wagte sich Hollywood an eine Verfilmung und erzielte eine ähnliche Wirkung wie die Romanvorlage. Lewis Milestones Film gewann 2 Oscars und gilt auch noch fast 100 Jahre später als Klassiker des Genres. Delbert Manns „Remake“ von 1979 wurde diese Ehre trotz positiver Kritikerresonanz und besserer filmtechnischer Möglichkeiten nicht zuteil, aber vielleicht lag es auch am vergleichsweise biederen TV-Format, dass sich die intensive Wirkung von Roman und Erstverfilmung einfach nicht einstellen wollte.

Vor diesem Hintergrund mag die vom Streaming-Giganten Netflix in Auftrag gegebene dritte Romanadaption manchen als ein Wagnis erscheinen, aber bei genauerem Hinsehen ist eher das Gegenteil der Fall. Milestones Film dürfte aufgrund seines Alters nur noch bei ausgesuchten Filmliebhabern auf gesteigertes Interesse stoßen und die zweite Verfilmung ist praktisch vergessen. Dazu haben sich die Sehgewohnheiten und -möglichkeiten des breiten Publikums radikal verändert. Das lange Zeit miefige TV-Format ist hipper denn je. Dazu sorgen technische Neuerungen wie Beamer, Surroundanlagen und vor allem großformatige Fernsehgeräte mit brillanter Bildtechnik für ein ganz anderes Seherlebnis.

Und das wird definitiv geboten. In ultrarealistischen und folgerichtig ultrabrutalen Bildern wird der Grabenkrieg an der Westfront auf den Zuschauer los gelassen. Überall Dreck, Blut und Chaos. Das sinnlose Anrennen der jeweiligen Kriegsparteien auf die gegnerischen Stellungen wird als das inszeniert was es war. Ein apokalyptisches Schlachthaus für den einfachen Soldaten und ein Wahnsinn der befehlenden Offiziere, die das Wesen des modernen Materialkrieges nicht im Ansatz erfasst hatten. Im Film gibt es zwei große Schlachtsequenzen die in Anlage, Aufwand, Inszenierung und Intensität an den Auftakt von Steven Spielbergs „Saving Private Ryan“ erinnern und da auch definitiv mithalten können. Allerdings sind diese 25 Minuten des einzig Herausragende an Spielbergs ansonsten ärgerlich altmodischem Heldenepos, das zudem stark manipulative und tendenziöse Züge trägt.

Letzteres kann einem deutschen Kriegsfilm natürlich nicht passieren, zumindest wenn man den Worten von Regisseur Edward Berger Glauben schenkt: «Anders als bei amerikanischen oder britischen Werken kann es bei einem deutschen Kriegsfilm das Gefühl der Glorifizierung nicht geben», sagte Berger. «Bei uns dürfen wir keine Heldengeschichte erzählen, es geht immer um Trauer, Scham, Schuld und Terror. Und natürlich gibt es nichts, worauf man stolz sein kann in diesen Kriegen. » Der Regisseur attestiert damit der Anglo-amerikanischen Sicht das Recht auf eine Heroisierung des 1. Weltkrieges, eine höchst befremdliche Ansicht, wurde der erste Weltenbrand doch in allen europäischen Ländern zunächst begrüßt, teilweise sogar bejubelt, zumindest aber nirgends ernsthaft zu verhindern versucht. Wer aber das von der Zeit umkommentierte Interview mit Produzent Malte Grunert liest, dessen Verwunderung schwindet in Windeseile. „Die deutsche Perspektive“, so Grunert, „ist notwendigerweise eine ganz andere, wir aus einem Land heraus, das verantwortlich ist für diese beiden Weltkriege …“ Vielleicht hätte er mal Christopher Clarks „Die Schlafwandler“ (immerhin schon von 2012) lesen sollen, dann wüsste er, das die Mär von der alleinigen Kriegsschuld des Deutschen Reichs am 1. Weltkrieg längst als eine bewusste Unterstellung der Sieger entlarvt ist, die so vor allem den sehr harten Versailler Friedensvertrag  rechtfertigen konnten und wollten.

Mit historischem Hintergrundwissen über das verfilmte Sujet ist es also bei den beiden Machern des Films nicht allzu weit her, was für einen solchen Film schon mal kein gutes Omen ist. Was aber mindestens genauso ins Kontor schlägt, ist der ebenfalls sehr laxe Umgang mit der Romanvorlage. Da werden neue Figuren geschaffen, diverse Hintergrundgeschichten erfunden sowie ein ganz neuer Handlungsstrang um den liberalen Politiker Matthias Erzberger (Daniel Brühl) eingebaut. Als Bevollmächtigter der Reichsregierung unterzeichnete er den Waffenstillstand und ermöglichte so dem Militär die Entwicklung der „Dolchstoßlegende“. Diese Idee liest sich besser als sie im fertigen Film ist, womit die zahlreichen Probleme dieser Neuverfilmung beginnen.

Da wäre zunächst die sehr holprige und jegliche Empathiechancen ausbremsende Dramaturgie. Remarques Buch fokussiert die Sicht des einfachen Frontsoldaten, was angeblich auch der Film will. Aber durch die ständigen Unterbrechungen der Erzberger-Szenen wir man immer wieder aus der Erlebniswelt des Protagonisten Paul Bäumer (Felix Kämmerer mit einer ungemein intensiven Leistung) heraus gerissen. Dazu ist Edward Berger offenbar ein Fan der selbstverliebten Sam Mendes-Oper „1917“, jedenfalls kopiert er dessen entrückte Bilder einer friedlichen Natur. Dieser Kontrast zwischen Ryan-Fleischwolf und Arthouse-Naturdoku soll wohl das Apokalyptische und Groteske des Krieges veranschaulichen, wirkt in seiner plumpen Plakativität aber nur maximal aufgesetzt und reißt den Zuschauer immer wieder aus seinen Empathiebemühungen. Überhaupt ist der Film vollgestopft mit Manierismen, die wohl die angepeilten Oscarchancen erhöhen sollen und den schnöden Zuschauer damit hochnäsig übergehen. Exemplarisch wäre da die atonalen Dröhnungspaukenschläge zu nennen, die im Filmauftakt alle 5 Sekunden über die in wenigen Minuten abgefrühstückte Kriegsbegeisterung der jungen Rekruten und ihre Ausbildung gekleistert werden. So nach dem Motte, hört her Leute, da kommt noch was ganz Schlimmes auf die armen Burschen zu. Leider ist das pompöse Getöse nur maximal durchsichtig und enervierend.

Überhaupt ist die oberlehrerhafte Plakativität die eigentliche Essenz des Films, so gesehen seine DNA. (Achtung Spoiler) Da wird Felix Bäumers Kriegskameraden Kat ein an Pocken verstorbener Sohn angedichtet um die Identifikation mit ihm zu verstärken. Aber es geht noch weiter. Kat stirbt im Roman auf dem Schlachtfeld, aber das war wohl zu gewöhnlich. Also wird er hier wenige Stunden vor Kriegsende von einem Bauernjungen erschossen, weil er dessen Eier geklaut hatte. Purster Kitsch aus dem Handbuch für Kriegsfilm-Schmonzetten. Natürlich in einem entrückt-idyllischen Arthouse-Wäldchen. Am schlimmsten trifft der Holzhammer-Message-Wahn Bergers aber seinen Protagonisten. So muss Paul ein Stunde vor dem offiziellen Kriegsende auf Befehl eines Generals noch einmal einen Sturmangriff auf die französischen Stellungen mit machen, wo er von einem gegnerischen Soldaten erdolcht wird, während ein weiterer die Sekunden bis zum Waffenstillstand auf seiner Uhr runterzählt. (Spoiler Ende) Um wie viel besser und verstörender ist da Remarques Version, in der Bäumers Tod beiläufig in einem Heeresbericht erwähnt wird der die Worte „Im Westen nichts Neues“ enthält.

Natürlich hat sich das bundesdeutsche Feuilleton mal wieder überschlagen mit seinen Lobeshymnen auf diese Neuverfilmung. Die mit dem Holzhammer und allerlei Kunst(fehl)kniffen vorgetragene Antikriegsbotschaft passt sehr gut in eine von oberflächlichen PC-Dogmen beherrschte Landschaft, in der man sich um unbequeme Hintergründe, vor allem aber nicht ins Bild passende Fakten wenig schert, ja diese zum Teil nicht mal kennt. Bei nüchterner und sachlicher Betrachtung bekommt man hier nur einen bestenfalls mittelmäßigen Kriegsfilm serviert, der mit enormem technischen Aufwand und guten Darstellerleistungen punktet, aber weder dramaturgisch noch historisch und schon gar nicht die literarische Vorlage betreffend zufrieden stellen kann. Auch wenn es hart klingt, aber als Urteil bleibt nur: „Im bundesdeutschen Kriegsfilm nichts Neues“.

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