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„Du hast aber einen schönen Ball…“

Fritz Langs erster Tonfilm – zugleich einer der ersten deutschen Tonfilm überhaupt – bedeutete zugleich Langs Abkehr von seinen opulenten Stummfilm-Epen wie „Die Nibelungen“ oder „Metropolis“ und die Hinwendung zu einem in der damaligen Realität verwurzelten, authentischeren Stil. Das vom realen Fall des Düsseldorfer Serienmörders Peter Kürten und anderen Serienmördern inspirierte Drehbuch des mehrschichtigen Films verfasste er zusammen mit seiner damaligen Frau Thea von Harbou. Die Mischung aus Kriminaldrama, Thriller und Gesellschaftsporträt „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ aus dem Jahre 1931 gilt auch ungeachtet seiner Pionierstellung als großer Klassiker und einer der wichtigsten (nicht nur deutschen!) Kinofilme schlechthin.

„Pfui Deibel, stinkt der Käse jut!“

Ein unbekannter Kindermörder (Peter Lorre, „Casablanca“) treibt sein Unwesen in Berlin und versetzt die Stadt in Angst und Schrecken. Nicht nur die Polizei ist hinter ihm her, sondern bald auch die urbane Unterwelt, der das verstärkte Polizeiaufkommen gar nicht schmeckt und die möglichst bald wieder weitestgehend ungestört ihren Geschäften nachgehen möchte. Doch während man weiter im Dunkeln tappt und die Gesellschaft immer dünnhäutiger und paranoider wird, erkennt ausgerechnet ein blinder Ballonverkäufer (Georg John, „Die Nibelungen“) den Täter anhand dessen Marotte, Edvard Griegs „In der Halle des Bergkönigs“ vor sich hinzupfeifen. Er schickt daraufhin einen Jungen los, der den Mörder unbemerkt mit einem „M“ aus Kreide markiert…

Die Eröffnungssequenz, in der ein Schatten – der Mörder – ein Kind (Inge Landgut, „Emil und die Detektive“) anspricht, ist nicht weniger als ikonisch, ein Paradebeispiel für die Übernahme expressionistischer Stilmittel in den Tonfilm und in ihrer Ausführung schlicht perfekt. Im weiteren Verlauf erweist sich Lang als guter Beobachter gruppendynamischer gesellschaftlicher Prozesse, indem er aufzeigt, was eine solche Mordserie mit einer Gesellschaft macht, aber auch, was sie mit sich machen lässt und welch große Rolle die Presse dabei spielt – ständig bekommt man Schriftstücke und Druckerzeugnisse in Nahaufnahme zu sehen. Die Gesellschaftskritik ist offensichtlich. Der Mörder wird dem Publikum gegenüber recht früh enttarnt, woraufhin man jedoch lange gar nichts mehr von ihm sieht. Eine ungewöhnliche Herangehensweise, die dem Gattungsmix des Films geschuldet ist: Lang vermittelt beinahe dokumentarisch die kleinteilige, verzweifelte Ermittlungsarbeit der Polizei, die in ihrer Detailliertheit von Langs Bekanntschaft zur Berliner Polizei profitierte. Kongenial sind dabei die Überblendungen von polizeiinternen Gesprächen zu einer konspirativen Besprechung der Unterwelt, die die starken inhaltlichen Überschneidungen aufzeigen.

Während die Bevölkerung immer mehr sowohl in Angst als auch in Angriffslust verfällt, Lynchabsichten zu hegen beginnt und sich untereinander denunziert, nimmt die Unterwelt das Heft in die Hand und durchkämmt unter Leitung des Schränkers (Gustaf Gründgens, „Hokuspokus“) die Stadt nach dem Triebtäter. Zugleich lernt man diesen als Zuschauerin oder Zuschauer jetzt besser kennen, die Regie richtet ihren Fokus nun auf ihn und begleitet ihn bis zum Hinterhoftribunal der Gangster. „M“ ist damit zu einem richtig spannenden Thriller geworden, in dessen Finale der großartig aufspielende Lorre seine Pein als unzurechnungsfähiger, triebgesteuerter, kranker Mörder schildert. Der Pöbel fordert Lynchjustiz, mit Ausnahme des „Verteidigers“, der Schutz vor Mord auch für den Mörder einfordert. Lang exerziert damit den Unterschied zwischen krimineller Energie und Krankheit durch und bezieht damit, ohne es allzu plakativ zu machen, Position gegen den Lynchmob und die Todesstrafe für psychisch derart derangierte Täter. Der auf diese „Verhandlungen“ folgende echte Gerichtsprozess wird im Anschluss nur kurz angerissen.

Den Nazis war der humanistische Film ein Dorn im Auge, sie verboten ihn nach ihrer Machtergreifung. Doch so großartig besagtes Tribunal auch konstruiert und gespielt ist, findet sich hier auch die einzige inhaltliche Schwachstelle des Films: Wie bis heute so oft geht es auch hier mehr um den Mörder und ein gewisses Mitleid ausgerechnet für ihn als um die Opfer und die Hinterbliebenen der getöteten Kinder. Interessant ist Langs Verwendung der neuen Tonfilm-Möglichkeiten: Anstatt den Filmton übermäßig einzusetzen oder gar eine dominante musikalische Untermalung zu verwenden, bleibt „M“ in einigen Szenen komplett stumm und bleibt die einzige „Musik“ das Pfeifen der immergleichen Melodie durch den Mörder. Dies trägt zur besonderen und zuweilen sehr intensiven Atmosphäre des Films bei, der sich zugunsten des Inhalts in Sachen Spektakel angenehm zurückhält. Zudem arbeitete Lang bereits 1931 bewusst und dabei recht effektiv mit Bild-Ton-Asynchronität.

Einer der Subtexte des Films dürfte zudem eine Art Abgesang auf die Weimarer Republik sein, denn die unbeschwerten 1920er-Jahre scheinen hier nicht nur aufgrund des Datums ein für alle Mal vorbei zu sein. Eingedenk dessen, was recht bald in Deutschland folgen sollte, ist „M“ ein umso bedeutenderes Zeitzeugnis. Trivium zum Schluss: Die von Otto Wernicke („Das Parfüm der Mrs. Worrington“) gespielte Figur des Kommissars Lohmann griff Lang für „Das Testament des Dr. Mabuse“ aus dem Jahre 1933 erneut auf.

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