Einen fast achtzig Jahre alten Film mit den heutigen Sehgewohnheiten anzusehen, ist eine schwierige Situation. Auf der einen Seite wäre es nicht gerecht, ihn an heutigen Standards zu messen, auf der anderen aber auch nicht, ihm wegen seines Alters einen Bonus zu geben. Ich will daher versuchen, einen Mittelweg zu finden.
M erzählt die Geschichte eines Kindermörders in Berlin. Während die Polizei vergeblich versucht den Täter zu fassen, wird die Bevölkerung immer paranoider. Etliche falsche Fährten werden der Polizei gemeldet, Männer die mit Kindern sprechen unter Generalverdacht gestellt. Eine Gruppe von Kriminellen entschließt sich mit Hilfe der Bettler den Täter auf eigene Fasut zu stellen. Als sie ihn in einem Bürogebäude zu fassen bekommen, machen sie ihm selber den Prozess...
Die Entführung des Kindes zu Beginn des Filmes ist meisterhaft inzeniert. Das Werfen des Balles gegen den Steckbrief des Mörders, worauf dessen Schatten darauf fällt und er das Kind anspricht, sowie die darauf folgenden Einstellungen auf den leeren Mittagstisch und den aus einem Busch rollenden Ball machen die Geschehnisse deutlich, ohne dabei den Mord tatsächlich zu zeigen.
Obwohl es Langs erster Tonfilm ist, setzt er ihn bereits gekonnt ein. Zwar fehlt eine Filmmusik und auch Geräusche werden nur in Einzelfällen verwendet, aber die Dialoge werden nicht nur auf theaterähnliche Art und Weise sondern auch mit Voice-Overs und Tonbrücken verwendet. Klasse fand ich auch das Hin-und-Herschneiden zwischen Polizei und Unterwelt, die fast die selben Dialoge sprachen, um deren ähnliche Vorgehensweise deutlich zu machen.
In der zweiten Hälfte, wenn der Mörder von den Ganoven gesucht wird, müsste der Film eigentlich das Tempo steigern. Stattdessen wird gemächlich das Gebäude durchsucht. Vermutlich als Mittel der Spannungssteigerung gedacht, fand ich es einfach zu langatmig. Auch das folgende Gespräch zwischen einem Ganoven und dem Komissar nimmt unnötig das Tempo aus dem Film.
[Hier wird das Ende verraten]
Die "Gerichtsverhandlung" vor den Gangstern ist für diese Zeit jedoch überraschend. Lang gibt sich Mühe, den Täter menschlich darzustellen, als ein Opfer seiner Triebe, der sich vor sich selbst fürchtet. Dass Lang hier ein differenziertes Bild eines Kindermörders zeichnet, ist schon beachtlich. Bevor der Täter durch den Lynchmob getötet wird, trifft die Polizei ein. Doch auch nach dem rechtmäßigen Urteil (das unbekannt bleibt), sagt die Mutter der zu Beginn ermordeten "Dadurch werden unsere Kinder auch nicht mehr lebendig". Lang bezieht also nicht nur gegen die Lynchjustiz Stellung, sondern regt den Zuschauer auch zum Reflektieren über das bestehende Justizsystem an.
Auch wenn dieser Film sein Alter nicht verleugnen kann, ist er thematisch immer noch aktuell. Auch heute werden in manchen Medien Stimmen stark, Mörder oder Vergewaltiger von Kindern zu töten, foltern oder verstümmeln. Und auch die bestehende Justiz, die der in der Weimaher Republik nach wie vor stark ähnelt, sollte hinterfragt werden. Während der Film in Sachen Unterhaltung nicht mehr so wirken kann wie vor 80 Jahren, regt er immer noch zum Nachdenken an und bleibt in seiner Aussage Zeitlos.
7/10