Sowohl „Predators“ als auch „Predator – Upgrade“ spielten zwar das Doppelte bis Dreifache ihres Budgets ein, waren aber keine Fan- und Kritikerlieblinge, weshalb es in beiden Fällen nicht zu den angedeuteten Sequels kam. 2022 ging mit „Prey“ dagegen ein Prequel zur „Predator“-Reihe an den Start, das seine Premiere jedoch im Streaming feierte.
In Sachen Titel geht es also vom Raubtier zur Beute, die aber schon seit Arnies Zeiten immer das Protagonistenpersonal stellte. Viel wichtiger ist dagegen der Wechsel im Setting: Spielten die sonstigen Filme der Reihe in der Gegenwart oder nahen Zukunft, so geht „Prey“ zurück ins Jahr 1719. Im Stammesgebiet der Comanchen will sich die junge Naru (Amber Midthunder) als Jägerin beweisen, obwohl dies in erster Linie den Herren der Schöpfung vorbehalten ist. „Prey“ zeigt die Vorbehalte der männlichen Kollegen, stellt die Comanche-Gesellschaft jedoch nicht als verbohrt da: Narus Teilnahme am entsprechenden Ritual wird nicht komplett abgelehnt, kann der Stamm doch fähige Jäger gebrauchen.
Naru sieht einen Feuervogel landen – das Publikum hingegen ahnt schon, dass es sich hierbei um das Schiff eines Predators handelt. Auch der außerirdische Jäger als eine anderer als seine Kollegen aus den anderen „Predator“-Filmen: Seine Ausrüstung ist noch nicht so weit entwickelt, weshalb seine Schulterkanone Bolzen anstelle von Laserstrahlen verschießt, er muss das Verhältnis von Jäger und Beute auf der Erde noch genau beobachten und er ist schwächer als seine Nachfolger, weshalb ihn ein Wolf im Kampf verwunden und ein Bär beinahe die Oberhand gegen ihn gewinnen kann. Seine Maske ist primitiver, aus Knochen gemacht, was seine Wesensverwandtschaft zur indianischen Stammesgesellschaft betont.
Während die Jagdgesellschaft der Comanchen noch an einen Berglöwen oder einen Bären denkt, der ihr Revier unsicher macht, ist sich Naru bald sicher, dass etwas anderes sein Unwesen treibt. Für den Predator wiederum sehen die Indianer nach würdigen Gegenspielern aus, woraufhin ein Kampf über Überleben beginnt…
„Prey“ bleibt der Grundstruktur der Reihe treu, der zufolge erst große Gegnermengen und überlegene Feuerkraft nichts gegen den außerirdischen Jäger ausrichten können, ehe es dann am Ende der menschliche Erfindungsgeist und der archaische Zweikampf sind, die den Sieg bringen. Schon Dutch Schaefer im Original richtete mit Schlammtarnung, Kampfmesser und Fallenstellen im Finale mehr aus als sein ganzer Söldnertrupp mit Gattling-Guns und Granatwerfern. Hier ist es also Naru, welche die Umgebung einsetzt, technischen Einfallsreichtum beweist, etwa wenn sie ihr Tomahawk zum schnelleren Zurückholen an ein Seil bindet, Improvisationsgabe besitzt und aufmerksamer als andere ist. Fast wie ein Final Girl im Horrorfilm bemerkt sie die Präsenz des Killers, als andere noch nach anderen Erklärungen suchen. Ein Trupp französischer Trapper greift als weitere Partei ein, die sich sowohl im Krieg mit den Comanchen als auch mit dem Predator befindet – analog zu den Gangs aus „Predator 2“.
„Prey“ steckt sowieso voller Anspielungen auf die Reihe, die glücklicherweise nicht zu gewollt oder gekünstelt wirken. Einer der Indianer stellt fest „If it bleeds, we can kill it“ wie im Original, die antike Pistole vom Ende von „Predator 2“ kommt vor usw. Regisseur und Storylieferant Dan Trachtenberg ließ zudem in einem Interview verlautbaren, dass ihn das Schicksal von Billy Sole aus „Predator“ zu dem Film inspirierte: Der Indianer im Kampf Mann gegen Mann gegen einen anderen archaischen Jäger – für viele „Predator“-Fans ist Billy nun eine Reinkarnation von Narus Bruder Taabe (Dakota Beavers), der hier eine wichtige Rolle spielt. Wie schon in den Vorgängern wird die Jagdgesellschaft nach und nach dezimiert, wobei „Prey“ hier einen Nachteil hat: Bis auf Naru und Taabe sind die meisten davon reichlich austauschbar, während die Vorgänger allesamt markige, sehr eigenständige Typen präsentierten, von denen jede und jeder ein eigenes Profil besaß.
Dafür besitzt „Prey“ mit seinem Setting ein Alleinstellungsmerkmal. Mit vergleichsweise primitiven Waffen müssen sich die Menschen hier dem außerirdischen Jäger stellen, der ähnlich wie Naru auf einen rituellen Beutezug geht, um sich seine Sporen zu verdienen. Die Parallele wird dadurch betont, dass der Predator hier noch Räuber-Beute-Ketten beobachtet: Ratten fressen Insekten, Schlangen wiederum fressen Ratten. So genügen dem Jäger erst Schlangen- und Wolfsschädel, ehe er sich an größere Beute wagt – ähnlich wie Naru, die erst Hasen jagt und danach zu größeren Gegnern übergeht. Das Casting besetzte indigene Darsteller (auch wenn nicht alle Comanchen sind), entsprechend bewanderte Spezialisten sorgten für größtmögliche Authentizität am Set. Trachtenberg drehte den Film auf Englisch, streute jedoch immer wieder einige Brocken Comanche ein, um zu verdeutlichen, dass die Indianer untereinander natürlich in ihrer Muttersprache kommunizieren. Zudem gibt im Stream sogar eine weitere, nachsynchronisierte Tonspur, in der alle Figuren ihre tatsächlichen Sprachen sprechen, der Film also größtenteils auf Comanche ist. Die eingängige, klanggewaltige Musik von Sarah Schachner erinnert an große Indianer-Epen der 1990er, vor allem Michael Manns „Der letzte Mohikaner“.
Dabei beweist „Prey“ trotz seiner Streaming-Auswertung echte Kinoqualitäten mit erhabenen Breitwandbildern und entsprechendem Flair, dem man das Budget von 65 Millionen Dollar ansieht. Auch die Tricks können größtenteils mit Kinoproduktionen mithalten; lediglich ein Kampf zwischen Naru und einem Berglöwen in einer Baumkrone sieht etwas zu sehr nach Rechenknecht aus. Sonst gibt es an den FX jedoch wenig zu meckern – bis auf Narus Hund stammen alle Tiere (überzeugend) aus dem PC, während der alle Vierbeiner hervorragend dressiert ist.
Natürlich steht und fällt die altbekannte Survivalplotte nicht nur mit ihrem Setting und ihrer Atmosphäre, sondern natürlich auch mit ihrer Action. Die ist – auch aufgrund des Settings – etwas kleiner und intimer als in den Vorgängern, jedoch hervorragend inszeniert, inklusive der im Actionkino derzeit beliebten One-Take-Sequenzen, etwa wenn Naru ihren Wauwau aus den Händen der fiesen Trapper befreit. Das Gehaue, Gesteche und Geschieße ist stark choreographiert und trotz eingeschränkter Waffenauswahl erfreulich abwechslungsreich – da heben Stunt Coordinator Steven McMichael und Fight Coordinator J.J. Park ganze Arbeit geleistet. Trotz der Übernahme von Fox durch Disney ist „Prey“ auch alles andere als zimperlich, sowohl in der Darstellung der Kills als in der Einstellung der Figuren. So hat auch Heldin Naru keine Probleme dabei, einen zugegebenermaßen ziemlich arschigen, verwundeten Trapper als Köder für den Predator zu benutzen.
Trachtenberg ärgerte sich, dass frühzeitig bekanntgemacht wurde, dass es sich bei dem Projekt um einen neuen „Predator“-Film handelte – er hätte dies lieber als Überraschungsmoment gelassen. Vielleicht war der wagemutige Filmemacher da auch eine Spur zu wagemutig, denn „Prey“ setzt nicht nur eine bei Fans und Kritikern etwas lädierte Franchise fort, sondern verzichtet gänzlich auf Stars oder auch nur bekannte Gesichter. Dabei empfehlen sich vor allem Amber Midthunder und Dakota Beavers mit ihren starken Performances für höhere Aufgaben, der Rest vom Fest spielt ebenfalls überzeugend, hat aber zu unmemorable Rollen, um nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen.
Auf „Prey“ hatte im Vorfeld vielleicht niemand gewartet, aber dass er die Fanherzen erobern konnte, ist angesichts seiner Qualitäten nicht verwunderlich. Ein spannender Survivalactioner, der die „Predator“-Formel erfolgreich in ein neues Setting überträgt, kleiner skalierte, aber dennoch spektakuläre Kampf- und Actionszenen bietet und mit einem starken Soundtrack daherkommt. Schade zwar, dass es den Nebenfiguren quasi durchweg an Profil mangelt und es hin und hier kleine Schwächen bei den Tricks gibt, aber die beiden vorigen Franchise-Einträge steckt „Prey“ ganz klar in die Tasche.