Review
von Leimbacher-Mario
Ich hab' dich zum Fressen gern
„Bones & All“ durfte ich einfach nicht im Kino verpassen - zu sehr verehre ich Luca Guadagninos bisherige Werke, welche nicht nur wunderschön anzusehen waren, sondern auch immer ihren ganz eigenen Dreh auf ihr Genre oder Thema geschaffen haben. Vor allem „Call Me By Your Name“ hat es mir ewig angetan, aber auch sein „Suspiria“ steht weit oben in der Liste der Horrorremakes. Seine Bildsprache ist zum Niederknien und seine Balance aus Fiktion, Genre und Realität ist jetzt schon legendär. Umso schöner und essenzieller, dass ich seine Kannibalenromanze gerade noch so im Kino abfangen konnte - denn solche Bilder gehören eben auf die große Leinwand! Erzählt wird in „Bones & All“ von einer jungen Frau, die von zuhause und ihrem Vater flüchtet, dabei auf einer turbulenten Reise durch das US-Hinterland einen ihr sehr ähnlichen jungen Mann trifft und sich in ihn verliebt - denn beide bevorzugen Menschenfleisch als Hauptnahrungsquelle…
Nicht nur Soulsbornespieler wissen: Menschenfresser kommen in Paaren!
Ich kenne keinen Regisseur, der momentan solche klaren, intimen und filmischen Bilder auf die Leinwand zaubert wie Guadagnino. Von Genre- bzw. Horrorregisseuren mal ganz abgesehen. Und „Bones & All“ ist da eher Regel als Ausnahme. Allein seine Aura, Farben, Atmosphäre, sein Filmkorn und seine collageartige Schnittechnik, sein Timing und sein Gefühl für ruhige Momente, in denen man und die Figuren atmen können, heben ihn weit vom Rest der Klasse ab. „Bones & All“ ist allein deswegen vollkommen einnehmend und bildhübsch. Hinzu kommen starke Figuren, Darsteller, ungewöhnliche Rollen für einige seiner Stars, diese bizarre Kreuzung aus Sensibilitäten und Schocks, aus Kannibalen und Liebenden, aus Roadtrip und Flucht. Exquisit ist das, ich kann es nicht anders sagen. Ich bin aber auch Fan des Mannes, das kann ich nicht abstreiten. Auch Fan vom Jungstar der Stunde, Monsieur Chalamet. Aber trotz dieser leicht subjektiven Beugung bin ich deutlich der Meinung, dass „Bones & All“ auch neutral gesehen einer der zärtlichsten Horrorfilme ist, der je gedreht wurde. Zwischen Jarmusch und Romero. Das ist anders, das ist zeitlos, das tut weh und gut zugleich. Das ist im Kino letztes Jahr etwas untergegangen. Aber wem schon „Raw“ oder Guadagninos vorangegangene Würfe gefallen haben, der darf hier zumindest daheim bald gar keine Ausrede mehr haben. „Bones & All“ wird sich tief unter deine Haut krallen, in ein Stück deines Herzens beißen - und du wirst jeden Moment davon genießen! Kleine Abzüge gibt’s für das Ende, welches ich schon vor dem Beginn nahezu genau so hätte vorhersagen können und für die ein oder andere Wiederholung seiner Themen und Motive, ohne die man meiner Meinung nach fast unter zwei Stunden hätte in's Ziel kommen können. Ansonsten ist das tadellos und seiner Genrekonkurrenz Ligen überlegen.
Fazit: eines der sensibelsten und hübschesten „Horrordramen“ aller Zeiten. Guadagnino weiß Romantik, Schocks und die Schönheit beider Seiten (!) meisterlich zu verbinden. Und trotz ein paar Längen ist „Bones & All“ ein Gourmethappen in dieser speziellen Kombi!