„Kotzeschtonk!“
Die Veröffentlichung gefälschter Tagebücher Adolf Hitlers durch das Hamburger Magazin „Stern“ im Jahre 1983 gilt als einer der größten bundesdeutschen Medienskandale der Nachkriegszeit und war Regisseur Helmut Dietl („Der Durchdreher“) 1992 Anlass für seinen nach einigen Serienbeiträgen zweiten Spielfilm, die Mediensatire in Komödienform „Schtonk!“.
„Ich will Ihren Nazi-Scheiß nicht mehr hören! Das will niemand wissen!“
„HHpress“-Journalist Hermann Willié (Götz George, „Der Totmacher“) hat sich finanziell mit dem Kauf der Yacht des ehemaligen Reichsmarschalls Hermann Göring übernommen und auch seine Beziehung mit der Görings Nichte Freya Freifrau von Hepp (Christiane Hörbiger, „Mrs. Harris - Ein Kleid von Dior“), die er daraufhin eingeht und monetär wie journalistisch auszuschlachten versucht, bringt nicht den gewünschten Erfolg. Er wittert jedoch seine große Chance, als sie ihn zu einem alljährlichen Treffen von Altnazis mitnimmt, wo er von einem angeblichen Tagebuch Adolf Hitlers erfährt. Daraufhin nimmt er Kontakt mit dem NS-Devotionalien-Händler Prof. Dr .Knobel (Uwe Ochsenknecht, „Männer“) Kontakt auf, der ihm rund 60 weitere Hitler-Tagebücher in Aussicht stellt. Ohne die Chefredaktion einzuweihen, gelingt es ihm, die geforderte Summe von neun Millionen DM vom Verlag für den Kauf zur Verfügung gestellt zu bekommen. Was Willié nicht ahnt bzw. nicht wahrhaben will: Knobel ist weder Professor noch Doktor, sondern passionierter Fälscher, der nun mit der Arbeit an den Tagebüchern beginnt… Bald erliegt auch die HHpress-Redaktion der Faszination für die vermeintlichen persönlichen Führer-Aufzeichnungen und verkündet mit stolzgeschwellter Redakteursbrust, dass die deutsche Geschichte zu großen Teil neu geschrieben werden müsse – bis das BKA dem Schwindel auf die Schliche kommt.
Mit Schwarzweiß-Bildern des Zweiten Weltkriegs und Hitlers Tod eröffnet Dietl seine Satire und setzt Knobel als Erzähler ein, der in seine Kindheit zurückblickt, in der er den US-Besatzern bereits vermeintliche Nazi-Reliquien gewinnbringend veräußerte. Auch die „Wirtschaftswunderjahre“ werden in kritischem Tonfall Revue passiert, bis Knobel mit seiner Biggi (Dagmar Manzel, „Coming Out“) ins Schwäbische zieht, womit der Prolog endet und die Bilder farbig werden. Nun wird der Zuschauer mit Willié bekanntgemacht, der Görings Yacht ersteht und diese erfolglos dessen Nichte weiterzuverkaufen versucht, wofür er sogar mit ihr ins Bett steigt. Götz George mimt den schmierigen, rückgratlosen Journalisten karikierend und komödiantisch überzeichnet, beweist damit komisches Talent ebenso wie Mut zur (inneren) Hässlichkeit. Knobel fälscht derweil ein Aktgemälde Eva Brauns, für das ihm Landarbeiterin Martha (Veronica Ferres, „Babylon - Im Bett mit dem Teufel“) Modell steht, nachdem seine Frau Biggi sich weigerte. Auch diese Fälschung kann er an die alten Nazis verschachern, der eitle Professor Strasser (Karl Schönböck, „Otto – Der Film“) will sogar dabei gewesen sein, als Hitler das Bild gemalt habe.
Spätestens jetzt hat der Zuschauer einen Überblick über die Hauptcharaktere, die für unterschiedliche Befindlichkeiten und Lebensentwürfe stehen, vom sensationslüsternen, sich zu Höherem berufen fühlenden Schreiberling über unbehelligte, um Bedeutung, Anerkennung, Vergangenheitskonservierung und Revisionismus ringende Nazis bis hin zum aus all diesen Eitelkeiten Kapital schlagenden, verschlagenen und bauernschlauen Hochstapler, der sich ohne jede Berührungsängste in diesen Kreisen bewegt.
Für seinen Film hat Dietl die Namen der Beteiligten geändert, orientiert sich ansonsten aber näher an der Realität, als es ohne Vorkenntnisse zunächst den Anschein haben mag: Bei Knobel handelt es sich natürlich um den nach seiner Haftentlassung populär gewordenen, überaus talentierten Fälscher Konrad Kujau, während Hermann Willié „Stern“-Reporter Gerd Heidemann nachempfunden ist, der tatsächlich fünf Jahre lang mit Göring-Tochter Edda liiert war. Was damals geschehen war, war wirklich unglaublich und nur die Spitze des Eisbergs in Hinsicht auf reißerische Nazi-Storys im Speziellen und fragwürdige bis krass falsche Berichterstattung der Massenblätter im Allgemeinen. Kujau muss man bis heute dafür dankbar sein, Heidemann, den „Stern“ und Konsorten derart an der Nase herumgeführt und damit letztlich öffentlich vorgeführt zu haben. Doch Dietl behandelt nicht nur das Thema der Medienethik anhand dieses Falls, sondern zieht auch auf durchaus hintergründige Weise den bundesdeutschen Umgang mit Altnazis nach ausgebliebener Entnazifizierung kräftig durch den Kakao, was Rückschlüsse auf das ambivalente, zwischen Ablehnung und vor allem aber Faszination pendelnde Verhältnis weiter Teile Deutschlands zur NS-Vergangenheit tatsächlich bis in die bunten 1980er Jahre hinein erlaubt – woran sich bis heute auch nichts grundlegend geändert zu haben scheint. Etwas schade ist lediglich, dass das Drehbuch keinen Platz dafür fand, die diesem Phänomen zugrundeliegenden Ursachen stärker anzureißen – wenngleich diese auch nicht das eigentliche Thema des Films darstellen.
Im Zuge der satirischen Überspitzung lässt Dietl Knobel hitlereske Züge annehmen, je tiefer dieser versucht, in die Gedankenwelt des GröFaZ einzutauchen, während Willié dem Wahnsinn immer näher scheint und in seiner Selbstüberschätzung endgültig zu einer Karikatur seiner selbst gerät. Es ist schön zu sehen, wie sich deutsche Schauspielgrößen in diese Rollen mit viel Verve einfanden und so ein überaus charakteristisches Stück deutscher Mediengeschichte in zynisch-humorvoller Weise aufarbeiteten. Mit „Schtonk!“ ist Dietl eine größtenteils stimmige Groteske gelungen, die derart abwegig anmutet, dass sie tatsächlich nur auf wahren Begebenheiten beruhen kann, die sich innerhalb einer jeglicher Vernunftbegabung entbehrender Klientel abgespielt hat, über das man sich natürlich tief empören, vor allem aber vollkommen zurecht lustig machen kann, nein, muss – und dies dank „Schtonk!“ immer wieder aufs Neue kann. Dafür verschachere ich nur allzu gern 7,5 von 10 geheimen Filmtagebüchern meistbietend.