Ich habe lange darüber nachgedacht, über "Corsage" eine Review zu schreiben. Dieser auch Oscar-prämierte Film ist aufgrund des Verhaltens einer seiner Darsteller in aller Munde.
Seine Vergehen oder Verbrechen sind zu verurteilen. Hierüber gibt es Nichts zu diskutieren.
Dass der Film beim Award "Österreichischer Filmpreis" 4 Preise gewann, ist berechtigt. In jenen Kategorien, in welchen er diese Preise auch verdient hat. Make-Up, Kostüm, Ausstattung und beste Hauptdarstellerin.
Kann man "Corsage" bewerten, ohne die Greueltaten eines Darstellers mit in die Bewertung einfließen zu lassen?
Ja. Man kann. Ich kann es. Ich sah den Film bevor dieser Skandal auftauchte.
Ich denke, hier benötige ich keinen Spoiler, denn die Handlung dürfte bekannt sein. Kaiserin Elisbath von Österreich durchforstet ihr langweiliges, ödes Leben, um Etwas oder Jemanden zu finden, das und welcher ihrem Leben einen Sinn verleiht. Natürlich vergebens. Die Geschichte hat es geschrieben. Ob es tatsächlich so war, wissen wir nicht. Vieles spricht dafür, doch wie sie tatsächlich fühlte, oder handelte, wie sie es tat, können wir nur durch Überlieferungen interpretieren.
Die Parallelle zu Ludwig II. wird aufgebaut. Elisabeth ist 40, ein recht hohes Alter in diesem Jahrhhundert. Sie trachtet nicht mehr nach ihrer Jugend oder Schönheit. Beides hat sie schon längst hinter sich gelassen. Für uns beginnt mit 40 Jahren das Leben, damals war dies der Anfang vom Ende. Sie ergriff die dauernde Flucht vor sich selbst, stellte sich in gewissen Momenten ihrer Selbst, doch die Vergangenheit und die Langeweile sowie Leere in ihrem Leben holten sie ein.
Das ist die Geschichte. Vielleicht hat es sich so zugetragen, vielleicht auch nicht.
Die Hauptdarstellerin ist gut gewählt, in gewissen Sequenzen könnte man sich wirklich vorstellen, die Kaiserin vor sich zu haben. Aber es reicht nicht. Ich kann ihren Filmpreis nicht nachvollziehen. Der deutsche Dialekt und Akzent stören. Ja, Elisabeth war Deutsche, doch ist in dieser Darstellung kein einziges österreichisches Element zu erkennen. Die Darstellerin wirkt wie ein Fremdkörper in einer detailreichen, jedoch recht billig wirkenden Inszenierung. Alle anderen DarstellerInnen spielen keine merkliche Rolle.
Natürlich muss man "Corsage" mehrere Male sehen, um sich, nicht nur in den Film, sondern auch in diese Zeit versetzen zu können. In einigen Sequenzen klappt dies, in vielen wieder nicht.
Es wurde in den letzten Jahren versucht, Elisabeth mehrmals auf Band zu bannen, ob in einer Serie auf Netflix oder einem Fernseh-Doppler. All das hat nicht funktioniert.
"Corsage" kommt dem Thema zwar etwas näher, zeigt, dass es auch damals eine gewisse Menschlichkeit gab, doch wirkt diese meist überzogen.
Hier helfen kein Make-Up, keine sterilen Drehorte, welche aus drei Räumen sowie einer Landschaft bestehen, noch eine hochmotivierte Regisseurin.
Irgendetwas fehlt oder stört. Ich kann nicht sagen, was genau, doch wenn Mancheiner jemals die Hofburg in Wien besucht, den dortigen Flair gespürt hat, der erkennt, dass diese Darstellung nicht der Kaiserin von Österreich gleichkommen kann.
Elisabeth war als Mensch viel schlimmer, als hier dargestellt. Sie war eine Tyrannin und konnte sich mit ihrer Rolle sehr wohl abfinden. Sie genoß ihre Rolle und nutzte sämtliche Privilegien aus, welche ihr zur Verfügung standen. Ein Jeder war froh, wenn man sie am Hofe nicht sehen musste. Sie war weder intellektuel noch hatte sie Sehnsuch nach den Bergen. Elisabeth nervte zwischenmenschlich sehr hegte weder Gefühle für ihre Kinder, noch für ihren Mann. Mancheiner sagt, man hätte sie nicht sprechen lassen, doch entspricht nicht annähernd der Wahrheit. Sie konnte sprechen. Doch Elisabeth war dumm, ein innerliches Kind, und trug dieses Erscheinungsbild auch nach Außen. Auch wenn Sie mehrere Sprachen sprach, war sie politisch gesehen nicht mehr als ihr Pferd in Uniform.
"Corsage" versucht eine Elisabeth darzustellen, welche es nicht gab. Eine verzweifelt, emanzipzierte Frau für ihre Zeit. Doch das war sie nicht. Sie war tatsächlich drogensüchtig, magersüchtig und in ihrem Umfeld verhasst.
Ernst Marischek versuchte in den 50er und 60er Jahren Elisabeth einen romantische Touch zu verpassen. Auch noch in den 70er Jahren wurde das Klischee "Elisabeth" verwendet, um Ludwig II. zur Sinnlosigkeit seines Lebens zur Gänze zu überzeugen.
Ich hätte mir von "Corsage" mehr erwartet. Ich hatte sehr hohe Erwartungen an diesen Film. Er hat mich enttäuscht. Wie gesagt, tolle Detailinszenierung, nettes Szenenbild, super Kostüme. Aber das war's leider auch schon.
Vom Ende möchte ich eigentlich gar nicht sprechen, doch ist es nicht in meinem Sinne, jedenfalls nicht in diesem Zusammenhang. Gesellschaftskritisch mag "Corsage" sein, für die damalige Zeit war das Leben als Frau nicht einfach. Aber man kann eine solche Emanzipation nicht ohne Weiteres in das Jahr 1890 transferieren, jedenfalls nicht in einer solchen Form auf der Leinwand, aus dem Blickwinkel einer höchst privilegierten Kaiserin. Eigentlich ist dies zynisch, da sich seinerzeit keine Frau eine solche Emanzipation "leisten" konnte. Vielleicht ist es einfach auch nur Ironie. Doch diese Ironie langweilt.
FAZIT: Budgetär minimalistisch aufgesetzt, kann "Corsage" für drei Tage unterhalten. Langsam, sehr langsam. Abgesehen von diesem ekelhaften Skandal um einen Schauspieler, ist "Corsage" nett. Ich hätte die Geschichte gerne noch viel düsterer, schmutziger und der damaligen Zeit angepasst gesehen, als in dieser Fassung, in welchem jeder Satz einem gesprochenen Satz im Theater gleicht, und nur versucht, Emotionen zu übermitteln, es aber nicht tut.