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„Der Schlittschuh-Mörder von der Isar?“

Im Münchner „Polizeiruf 110“-Arm hatte es Elisabeth „Bessie“ Eyckhoff (Verena Altenberger) in ihrem vierten Fall „Bis Mitternacht“ zur Oberkommissarin bei der Mordkommission gebracht. Regisseur Filippos Tsitos („Tanze Tango mit mir“) verfilmte für Eyckhoffs am 15. Mai 2022 erstausgestrahlten fünften Einsatz ein Drehbuch Sebastian Brauneis‘ und Roderick Warichs und schuf damit eine ungewöhnliche Mischung aus Kriminalfilm und Psychodrama.

„Hey, nicer Drop!“

An einem Waldstück wird der in Plastikfolie eingepackte Leichnam Laura Langhammers gefunden, einer Jugendlichen, die in ihrer Freizeit gern den Münchner Eistanz-Palast aufsuchte. Oberkommissarin Eyckhoff wird von Caroline Ludwig (Anna Grisebach, „Heiter bis tödlich – Koslowski & Haferkamp“) darauf gestoßen, dass Parallelen zum Fall ihrer vor zwei Jahren spurlos verschwundenen Tochter Anne existieren. Tatsächlich sahen sich beide Mädchen sehr ähnlich und in beiden Fällen wurde ein weißer Transporter gesichtet. Die Ermittlungen Eyckhoffs und ihres ihr bereits aus Streifendienstzeiten bekannten neuen Kollegen innerhalb der Mordkommission, Dennis Eden (Stephan Zinner), führen jedoch ausgerechnet zu Caroline: Überwachungskamerabildern zufolge hatte sie sich kurz vor deren Ermordung mit Laura an der Schlittschuhbahn unterhalten. Caroline ertränkt seit Annes Verschwinden ihren Kummer im Alkohol und stellt Mädchen, die ihr ähnlichsehen, nach – so auch Stefanie Reither (Zoë Valks, „Meine Nachbarn mit dem dicken Hund“), die mit ihrem dauerbekifften und sehr anhänglichen Halbbruder Patrick Kundisch (Aniol Kirberg) zusammenlebt und Drogen vertickt. Eyckhoff tastet sich vorsichtig an die Gemengelage heran und versucht, sich einen Gesamtüberblick über sämtliche Verstrickungen zu verschaffen…

„Das Licht, das die Toten sehen“ ist kein gewöhnlicher Krimi. Nicht nur der Leichenfund gibt Rätsel auf (Täter? Motiv?), sondern auch die äußerlichen Ähnlichkeiten zwischen den drei jungen Frauen und zwischen den Müttern der verschwundenen bzw. toten Mädchen. Nicht minder rätselhaft ist die Beziehung zwischen der attraktiven, selbstbewussten Stefanie und ihrem nichtsnutzigen, schmalbrüstigen Halbbruder, der die gemeinsame Wohnung nie zu verlassen scheint. Undurchsichtig sind auch Carolines familiäre Verhältnisse um ihre Tochter und ihren Ex-Mann (Gerhard Wittmann, „Die reichen Leichen. Ein Starnbergkrimi“). Offensichtlich hingegen sind ihre Trauer sowie die quälende Ungewissheit den Verbleib Annes betreffend, an der sie endgültig zu zerbrechen droht. Zugleich macht sie sich verdächtig. Hat sie eines der Mädchen auf dem Gewissen? Oder gar beide?

Da Tsitos’ erster „Polizeiruf 110“-Beitrag alles andere als geschwätzig ist, wird die mysteriöse Grundstimmung lange aufrechterhalten und in ein urbanes Ambiente eingebettet, in dem Hochhausschluchten auf Stroboskop und Kälte der Eislaufbahn treffen, jugendliche Verunsicherung und Langeweile mit Drogen bekämpft werden und die Manipulation von Mitmenschen als besonderer Kick herhalten muss. Erzählt wird diese Geschichte in zwei lange Zeit parallel verlaufenden Handlungssträngen (inklusive einer Rückblende), die nach und nach immer mehr Berührungspunkte aufweisen, bis sie im Finale aufeinanderprallen. Dieses bestreitet Eyckhoff mit psychologischer Finesse und Empathie in einer Art klassischer Verhörsituation, ohne dass dieser „Polizeiruf 110“ dadurch auch nur annährend angestaubt oder langatmig wirken würde. Stattdessen vermengen sich Spannung und Suspense zu einer reizvollen Melange. Melancholie und Tristesse bestimmen die besondere frühherbstliche Atmosphäre dieses Falls, zu der Eyckhoff mit ihrer Menschlichkeit und positiven Lebenseinstellung einen Gegenpol bildet.

Die fein austarierte, neugierig machende Figurenpsychologie fordert etwas Konzentration ab. Gelingt es, sie aufzubringen und sich auf die Figuren einzulassen, sich zu versuchen, in sie hineinzudenken, wird dies mit unheimlichen guten schauspielerischen Leistungen sowie einem beeindruckenden Stilwillen Tsitos‘ und Kameramann Netzers belohnt. Zoë Valks ist die Entdeckung dieser Episode und deren visuelle Ausgestaltung eine Klasse für sich, ohne in Artyfarty-Niederungen abzudriften. Auf der horizontalen Erzählebene scheint man in Eyckhoff/Eden ein ungleiches Ermittlerduo etablieren zu wollen, das grundverschieden (menschelnd empathisch versus sachlich distanziert), aber dennoch in der Lage zur konstruktiven Zusammenarbeit ist. „Das Licht, das die Toten sehen“ beantwortet am Ende viel und doch so wenig – was jedoch seinen Teil dazu beiträgt, ihn zu einem der auf eine böse Weise faszinierendsten Fälle dieser öffentlich-rechtlichen Krimireihe zu machen, der lange in mir nachhallt.

8,5 von 10 Schlucken direkt aus der O-Saft-Flasche rinnen dafür meine Kehle hinunter.

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