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"Die Frauen sind heute viel zu bereitwillig, viel zu leicht zu haben"

An seiner neidvollen Reaktion wird deutlich, dass der Staatsanwalt diese Erfahrung gerne geteilt hätte, aber ganz so einfach wie es der des Mordes angeklagte Berufs-Offizier Andrea Rossi-Colombotti (Marcello Mastroianni) schildert, ist es nun doch nicht. Gewisse optische Vorzüge sollte man als Mann schon mitbringen. Trotzdem kulminiert in dieser Aussage der gesamte Film - für den Protagonisten ist es die Ursache seiner Impotenz, für seinen Psychiater (Enrico Maria Salerno) der Bodensatz allen Übels und für die damaligen Kritiker der Grund, Mario Monicellis Film Oberflächlichkeit zu unterstellen. Anders als es die sexuellen Abenteuer des modernen Casanova vermittelten, begannen die Moralvorstellungen Mitte der 60er Jahre erst langsam zu bröckeln, besaß eine sexuell offensive Frau nach wie vor einen miserablen Ruf. Die Ironie des Films zeigt sich in der Parallelität bürgerlicher Scheinmoral: in ihrer Abscheu gegenüber der sich verändernden Frauenrolle waren sich Filmkritiker, ein konservatives Publikum und – selbstverständlich aus anderen Beweggründen - der Schwerenöter Andrea einig.

Dieser provokative Subtext war das Wesen der „Comedia all’italiana“, zu dessen führenden Vertretern Monicelli seit seinem gemeinsamen Beginn mit Regie-Partner Steno („Guardie e ladri“ (Räuber und Gendarm, 1951)) zählte. Direkt komisch ist der Film nur selten, sieht man von seiner generellen Absurdität ab. Beispielhaft ist dafür eine zentrale Szene, als Andrea Zeuge eines Familienzwists in einer sizilianischen Osteria wird. Der Bräutigam einer Schönen (Jolanda Modio) weigert sich, diese zu heiraten, weil sie keine Jungfrau mehr wäre, wird aber mit Händen und Füßen von ihren zahlreichen Brüdern an der Flucht gehindert. Für Andrea, der nur unter Lebensgefahr zum Sex in der Lage ist, eine Idealsituation. Er gibt sich als Arzt aus, der die Wahrheit feststellen will, und schläft mit ihr, während die aufgeputschten Brüder vor der Tür auf das Ergebnis warten. Leider kommt ihm ein echter Arzt in die Quere und er wird von den Brüdern gnadenlos gejagt, bis er mit seinem Auto von einer hohen Klippe stürzt. So überdreht diese Situation auf den heutigen Betrachter wirken mag – unrealistisch ist daran nur, dass Andrea sie mit ein paar Schrammen überlebt.

Trotz dieser Konzession an eine Komödie blieb in „Casanova ‘70“ immer die persönliche Tragik des Frauenhelden spürbar. Mastroianni gab ihn im Stil eines konservativen Bonvivants, der irritiert auf die sich verändernde Sozialisation und damit das Verhalten der Frauen reagiert. Seine lebensgefährlichen Trips sind kein Ausdruck wachsenden Irrsinns, sondern der verzweifelte Versuch, an seinen bisherigen Erfahrungen festzuhalten. Für einen klassischen Liebhaber wie ihn war es die größte Herausforderung, den Widerstand einer geliebten Frau zu brechen. Um noch Lust empfinden zu können, sucht er äußerliche Gefahren bei der Beziehungsanbahnung

Eine selbstzerstörerische Konsequenz, die ihm trotzdem Sympathien einbringt, denn sie wendet sich nicht gegen die Frauen, wie bei seinen Geschlechtsgenossen sonst üblich. Deren Schwierigkeiten mit der Emanzipation lassen sich in Enrico Maria Salernos Verkörperung eines misogynen Psychotherapeuten und in der Figur des eifersüchtigen Ehemanns der schillernden Marisa Mell nicht übersehen. Dass Regisseur Marco Ferreri diesen in einem seiner seltenen Leinwandauftritte mit diabolischem Gestus gab, war mehr als ein Fingerzeig, denn Ferreri („La grande bouffe“ (Das große Fressen, 1973)) blieb bis zu seinem Tod in den 90er Jahren ein so kritischer, wie vehementer Begleiter der soziokulturellen Entwicklung nach dem Krieg. Schon 1953 beteiligte er sich am Drehbuch von „L’amore in città“ und wurde als junger Regisseur in den frühen 60er Jahren zu einem glühenden Vertreter des Episodenfilms („Controsesso“, 1964).

Das galt auch für Mario Monicelli. Die Nähe zum Episodenfilm ist „Casanova ‘70“ entsprechend in mehrfacher Hinsicht anzumerken: die episodenhafte Struktur der Story, die nur durch wenige erzählerische Klammern (die Sitzung beim Psychotherapeuten, die abschließende Gerichtsszene) aufgehoben wird, der provokative Umgang mit der bürgerlichen Moral, der zum Markenzeichen des Episodenfilms wurde, und nicht zuletzt die breite Mitwirkung künstlerischer Wegbegleiter. Neben den Leib-Autoren Agenor Incrocci und Furio Scarpelli waren noch die Antonioni- („Il deserto rosso“ (Die rote Wüste, 1964)) und Visonti-Vertrauten („Vaghe stelle dell'orsa...“ (Sandra, 1965)) Tonino Guerra und Suso Checchi D’Amico mit am Drehbuch beteiligt. Gemeinsam mit Checchi D’Amico hatte Monicelli auch seine Episode zu „Bocacccio ‘70“ entworfen, auf den er mit seinem Filmtitel unmissverständlich anspielte. Beide Filme verstanden sich als Blick in die Zukunft gesellschaftlicher Veränderungen.

Dass dabei auch die Frauen nicht ungeschoren davon kamen, war zu erwarten. Besonders Marisa Mell als Ehegattin des so reichen, wie eifersüchtigen Conte (Marco Ferreri) nutzt den risikoreichen Hang ihres Möchtegern-Liebhabers für ihre Zwecke. Berechnend setzt sie ihre erotische Wirkung ein, um Andrea immer im letzten Moment mit Verweis auf ihren brutalen Ehemann zurückzuweisen. Prinzipiell eine „Win-win“-Situation: sie will ihren Ehemann loswerden und er kann sich über zu wenig Gefahr nicht beklagen. Den entgegengesetzten Part übernahm Virna Lisi als Tochter aus gutem Hause. Gigliola (Virna Lisi) entspricht noch ganz dem Anforderungsprofil an eine integre kommende Ehefrau, für die Sex vor der Ehe nicht in Frage kommt. Angesichts der schönen Virna Lisi normalerweise eine Geduldsprobe für jeden angehenden Ehemann. Nicht so bei Andrea. Sein Versuch, sein Seelenheil in einer konventionellen Beziehung zu finden, erweist sich als Trugschluss, weshalb er froh über ihre Enthaltsamkeit ist. Als Gigliola aber zu seiner Überraschung breit ist, vor der Ehe eine Nacht mit ihm zu verbringen, beendet er die Verlobung – offiziell aus moralischen Gründen.

„Casanova 70“ verfügt über eine Vielzahl an schönen Darstellerinnen, die Monicelli erotisch inszenierte, auch wenn die einzigen konkreten Nacktaufnahmen gleich zu Beginn in einem Pariser Striptease-Club stattfinden (und den Protagonisten Andrea storygemäß zum Einschlafen bringen). Der „Katholische Filmdienst“ bezeichnete Monicellis Film als „Sexualposse“. Ein Fehlurteil, geschuldet der damals grundsätzlich Empörung hervorrufenden Sexual-Thematik, denn die optischen Reize des Films stehen ganz im Dienst eines satirischen Blicks auf die sich wandelnden Geschlechterrollen – die „70“ im Filmtitel ließe sich bequem bis in die Gegenwart verschieben. (8/10)

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