Review
von Leimbacher-Mario
Ich sag dir was durch die Pusteblume
Umso älter man wird, umso mehr man gesehen hat, umso mehr inneren Abstand man zur Not von der Leinwand „einstellen“ kann, desto schwerer haben es Filme einem „Veteranen“ wirklich Angst zu machen. „Men“ vom „Ex Machina“-Macher Alex Garland hat das über locker 60% seiner Laufzeit aber endlich mal wieder richtig bei mir geschafft. Da ich Ähnliches auch bei „It Follows“ hatte, scheine ich mir eingestehen zu müssen, das „Verfolgung“ und „Ungewissheit“ und „nackte Menschen“ (gerne auch in Kombi), wenn sie sehr gut inszeniert sind, auf mich extrem beunruhigend wirken müssen. Und auch wenn „Men“ dieses gallige Gänsehautniveau für mich nicht ganz durchgängig halten kann, ist er dennoch einer dieser herausragenden Genrefilme, an den ich mich Ende des Jahres definitiv erinnern werde. Sehr positiv und schaudernd. Irgendwo zwischen #MeToo, „Hereditary“, Home Invasion und „mother!“. Erzählt wird von einer jungen Frau, die gerade eine heftige Trennung und ein brutales Trauma hinter sich hat und die sich eigentlich nur ein schönes, einsames Wochenende in einem englischen Landhaus gönnen will. Abseits von allem und abschalten. Doch eine unfassbar creepy Begegnung im Wald bzw. unter einer Brücke und allgemein die seltsamen Männer der Gemeinde lassen ihre Wunden eher weiter aufbrechen als heilen…
„Bevor es euch gleich kalt den Rücken runterläuft - möchte noch jemand Eis kaufen?“. Zugeben, es gibt bessere wie schlechtere Überleitungen bzw. Sprüche, die man in meinem Stammkino hätte bringen können als Angestellter vor „Men“. Dennoch passte es dann erstaunlich gut, denn gerade in seiner ersten Hälfte jagte mir Alex Garlands neuester Streich durchaus einige bittere Schauer über den Nacken und „Es ist doch nur ein Film!“-Gedanken in den Kopf. Ein Kunststück. Ein Erfolg. Ein Erlebnis. Genau das, was ich wollte und im besten Fall erwartet hatte. Spätestens jetzt wäre ich Garland-Fan. War ich eigentlich aber auch schon vorher. Aufopferungsvoll gespielt von Jessie Buckley, psychologischen wie körperlichen Horror vereinend. Ohne Gefangenen, ohne Tabus, ohne Rücksicht auf Verluste. Ein sehr unangenehmer Kirchenchorscore. Mit Bildern, die man so schnell nicht mehr aus dem Kopf kriegt. Das Poster ist schon weird und schaurig. Der Film steht dem in nichts nach. Und bei weitem ambivalenter als man hätte meinen können. Keineswegs nur platt, vorurteilsvoll und männerfeindlich. Das hätte ich von Garland aber auch nicht anders erwartet. Keine Deutungshoheit. Kein Dreibeinerbashing. Oder zumindest kein unbegründetes. Viele Metaphern, viele Schocks, viel Ungemütlichkeit. Für alle Parteien, Opfer wie Täter. Polanski trifft Carpenter für die Moderne. Keine billigen Jumpscares, extrem clevere und verunsichernde Hintergrundnutzung. Auch die Natur und „Annihilation“-artige Muster spielen eine große Rolle. Und Garland hat definitiv seinen Weg gefunden. Bravo!
Fazit: in seiner ersten Hälfte einer der spannendsten und effektivsten Filme der letzten Jahre. Unfassbar gekonnt, intensiv und feinfühlig creepy. Hinten raus dann eher WTF?!-Überdruss und Metapherstakkato. Dennoch: „Men“ ist ein richtig starker Genrepolarisierer und viel vielschichtiger als man(n) meinen könnte!