Im Netz der Belanglosigkeit
Auf eines kann man sich bei Joseph Kosinski verlassen, für das Auge wird definitiv was geboten. Ob SiFi-Dystopie („Tron: Legacy“, „Oblivion“), Feuerwehr-Drama („No way out“) oder Jetpiloten-Action („Top Gun: Maverick“), stets lieferte der Regisseur erlesene Bilder von geradezu makelloser Schönheit und anmutiger Eleganz. Vor allem sein Debüt-Doppelpack „Tron: Legacy“ und „Oblivion“ glänzt mit fantastischem Produktion-Design, dem Kosinski mit puristischen Panoramashots von ungeheurer Tiefe und Klarheit huldigt. Auch bei seinem Ausflug in die amerikanische Waldbrandhölle, vor allem aber bei seinem aktueller Mega Blockbuster „Top Gun: Maverick“ dürften bei sämtlichen IMAX-Betreibern rund um den Globus die Champagnerkorken geknallt haben. Zugegeben hat der Chilene Claudio Miranda einen Löwenanteil an der optischen Ausnahmestellung von Kosinskis Oeuvre, aber kein Kameramann filmt gegen das Auge seines Regisseurs.
Bei so viel visueller Brillanz erscheint der Style over Substance-Makel natürlich schnell am Kritiker-Horizont und ganz unberechtigt ist er in diesem Fall auch nicht. Insbesondere das Tron-Sequel und „No way out“ kommen auf einer erzählerischen Schmalspur daher, die zumindest im zweiten Fall auch zu gepflegter Langeweile führt. So gesehen durfte man bei der Verfilmung der SiFi-Kurzgeschichte „Der Spinnenkopf“ durchaus vorsichtig skeptisch sein, zumal die Versuche des Streaming-Giganten Netflix mit einschlägigen Namen Kinoatmosphäre zu erzeugen, in schöner Regelmäßigkeit in Belanglosigkeit entflimmerten.
In diesem Fall sind die Namen Miles Teller und Chris Hemsworth. Während ersterer bereits zum dritten Mal mit Kosinski arbeitet, ist es für Marvel-Platzhirsch Hemsworth eine Premiere und die darf er gleich gegen sein launiges Superheldenimage feiern. Und eine kleine Feier ist durchaus angebracht, denn diese Gegen den Strich-Besetzung ist nicht nur der größte Coup des Films, sondern auch eine seiner ansonsten eher dünn gesäten Stärken.
Vielleicht ist die ohnehin hauptsächlich auf den sexuellen Aspekt zielende Kurzgeschichte inhaltlich einfach zu dünn für einen ganzen Spielfilm, aber ein solches Manko müssen erfahrene Skriptautoren wie Rhett Reese und Paul Wernick (U.a. „Zombieland“ und „Deadpool“) umschiffen können. Die Thematik um eine idyllisch gelegene, futuristische Luxus-Strafanstalt, in der Häftlinge sich bereit erklären an wissenschaftlichen Experimenten zu bewusstseinserweiternden Drogen teilzunehmen, hat durchaus das Potential für einen spannenden Thriller mit gesellschaftskritischen Unterbau. In der ersten halben Stunde läuft zunächst auch alles nach Plan. In gewohnter optischer Kosinski/Miranda-Pracht lernen wir die in jeder Hinsicht atemberaubende Location kennen. Klare Formen, ein bis ins kleinste Detail puristisch-futuristisch durchgestyltes Design und eine seltsam sterile Atmosphäre, unter deren glänzender Oberfläche etwas böses zu lauern scheint, erinnern stark an „Oblivion“. Gefängnisdirektor Steve Abnesti (Hemsworth) ist ebenfalls vom Scheitel bis zur Sohle durchgestylt und auch bei ihm vermutet man hinter der makellosen Fassade den ein oder anderen Abgrund. Und tatsächlich zeigen bereits die ersten Experimente, bei der die Probanden binnen weniger Sekunden ihre Gefühlswelt ändern oder gleich auf den Kopf stellen, dass Abnestis Mantra nur für das Wohl der Menschheit zu forschen eine klassische Nebelkerze ist.
Leider fällt den Skriptautoren nach dem zugleich verstörendem wie faszinierendem Auftakt außer einer zunehmend redundanten Experimentenabfolge nicht mehr viel ein und so verliert der Film zunehmend an dramaturgischer Fahrt. Protagonist Jeff (Miles Teller) ist zu offensichtlich der Gute, sodass Abnestis kaschierte Diabolik fast schon logisch erscheint. Zudem ist seine Figur nicht sonderlich interessant, sein Schicksal beziehungsweise der Grund für seine freiwillige Teilnahme zu schwach entwickelt, als dass die nötige Empathie aufkommen würde, um in die finstere Welt des Spinnenkopfes hinein gesogen zu werden. Der einzige Charakter-Lichtblick in dem durchweg belanglos agierenden Ensemble ist Chris Hemsworth, der mit sichtlicher Freude am Rollenklischee-Salto den selbstverliebten Sunnyboy als Mischung aus Hugo Boss-Model und Silicon Valley-CEO anlegt. Leider fehlt seinem schillernden Villain ein aufrechter Helden-Gegenpart, was auf ironische Weise das Dilemma der allermeisten Marvel-Filme spiegelt, in denen es sich genau umgekehrt verhält.
So bleibt von „Spiderhead“ nur eine interessante, aber wenig nachhaltige Fingerübung Kosinskis übrig, der die Pandemie-Einschränkungen für ein Kammerspiel nutzte, bei dem er sein Faible für durchgestylte Hochglanzoptik voll ausleben konnte. Schade ist vor allem, dass die finstere Thematik der Kurzgeschichtenvorlage um bewusstseinsverändernde Drogen sowie den freien Willen an sämtlichen Ecken und Kanten geschliffen wurde und die inhaltlichen Erweiterungen weder für Spannung noch für Tiefgang sorgten. Marvel-Star Chris Hemsworth ist neben der famosen Visualisierung der deutlichste Aktivposten und macht auch als faustischer Wissenschaftler eine blendende Figur. Leider verfängt das nicht sonderlich raffiniert gesponnene Plotnetz nur zu Beginn, so dass die recht umfangreiche Netflix-Warteschleife bezüglich einer ernst zu nehmenden Kinokonkurrenz um einen weiteren Probanden verlängert wird.