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Wenn du allein bist, dann bist du eben allein. Das kann man sich höchstens für einige Minuten schönreden, es ist ein Fakt. Wenn du geil bist, bist du geil, das bemerkst du unter Umständen schneller als du es feststellst. Wenn du allein bist ist das scheiße. Wenn du die Menschen um dich hasst, dann hasst du sie eben. Warum ist egal. Du hasst sie, weil sie da sind. Und weil sie nicht da sind. Wenn du jemanden getötet hast dann hast du jemanden getötet, er steht nicht wieder auf. Ist dir das egal? Vielleicht beim nächsten Mal. Oder doch schon dieses Mal? Bis du dir egal?

Jörg Buttgereit ist eines von diesen Phänomenen im deutschen Kino von denen man sich wünschen würde, dass sie diesen Stempel nicht tragen müssten. Der Ausnahmestatus seines Schaffens soll an dieser Stelle nicht weiter auseinandergesetzt werden denn er ist schon alleine durch die transgressiven Themen, die der Berliner Künstler und Autor in seinen Filmen abhandelt innerhalb der deutschen Filmgeschichte unbestreitbar. Die trotz der stets niedrigen Budgets, mit denen Buttgereit und sein Partner Manfred Jelinski operieren mussten, hohe filmische Qualität von Werken wie „Nekromantik“, „Der Todesking“ oder eben „Schramm“ ist jedoch das wirklich Ungewöhnliche dieser Filme, die sich damit automatisch in Sphären weit jenseits der fauligen Sümpfe des deutschen Amateur-Splatter-Films katapultieren. Und doch ungerechterweise von der Kritik nach wie vor ignoriert oder geschmäht werden. Denn der Staub liegt noch immer über den Tempeln der deutschen Filmwissenschaftler, für die in einem ernstzunehmenden Film für bestimmte Dinge einfach kein Platz ist.

In „Schramm“ zeigt Buttgereit einen Menschen wie wir ihn im Alltag als unauffälligen Biedermann identifizieren würden, der nicht als Individuum auffallen würde. Die verstörende Wirkung, die gerade einmal einstündigen Film oft nachgesagt wird ist dabei weniger die Frucht des Serienkiller-Sujets, das der Film vermeintlich bedient als vielmehr die Perspektive, mit der sich Buttgereit seinem Protagonisten nähert. „Schramm“ ermöglicht dem Zuschauer kein Entrinnen aus dem deprimierenden kleinen Universum von Lothar Schramm (Florian Koerner von Gustorf spielt Schramm nicht, er IST Schramm - um diese Phrase einmal angemessen zu strapazieren). Immer fühlt man sich ihm zu nah, zu eng auf der Pelle. Der Zwang, in die Intimsphäre dieses Menschen einzudringen und ihm näher zu sein als einem im Grunde lieb ist – das ist das Kontroverse und Beunruhigende an „Schramm“.

Konsequenterweise werden die Wurzeln der Handlung in der Realität schnell gekappt, bzw. treffen nie auf Grund. Man ist entrückt, befindet sich in einem eigenen, erschreckenden Universum, in der Welt eines Menschen, der nicht mehr weiß, wie er zur Realität zurückkehren und mit ihr kommunizieren kann und auf der Grundlage dieser Resignation einen unbändigen Selbsthass entwickelt, der ihm bald über den Kopf wächst und sich gegen seine Mitmenschen richtet.

Zwischen dokumentarischen und stilisierten, hochartifiziellen Sequenzen schwankend erzeugt Buttgereit ein Delirium von kaum erträglichem Schmerz und Hass, bedächtig aber immer unmittelbar und direkt – und über weite Strecken schweigend. Über die heiß diskutierten graphischen Darstellungen des Films lässt sich eigentlich nicht streiten, denn sie sind fester Bestandteil der Zustandsaufnahme, die Buttgereit entwirft. Er würde seinem Konzept widersprechen wenn er die Kamera abschweifen lassen würde – gleichgültig ob Schramm zwei Missionare, die ihm einen Hausbesuch abstatten, umbringt, ob er seine Nachbarin Marianne (Monika M) beim Sex belauscht und sich dabei mithilfe eines Gummitorsos selbst befriedigt oder ob er in einem Anfall von Wut und Verzweiflung seinen Penis an der Tischplatte festnagelt. Mindestens ebenso eindrücklich und wichtig wie diese Sequenzen die dem Film eine inzwischen aufgehobenem unverschämte Beschlagnahme - man rang sich schließlich dazu durch, den Film als das Kunstwerk, das ist, anzuerkennen - bescherten, sind aber auch die vergleichsweise „unspektakulären“ Stationen des fragmentarisch erzählten Films: Schramm bei der Gymnastik in seinem Wohnzimmer, beim Streichen seiner Blutbespritzten Wohnzimmerwände, bei der Morgentoilette. Alles eingefangen in hypnotischen, aber kargen Bildern und untermalt von einem treibenden und gleichzeitig monotonen Soundtrack, der den deprimierenden „Hausbesuch“ bei dieser verzweifelten Seele noch weiter in Richtung einer geradezu physischen Erfahrung erhebt.

Die Gleichgültigkeit, die Schramm seiner Umwelt dennoch entgegenbringt, wird von ihr auch ausnahmslos erwidert. Seine Nachbarin, die Prostituierte Marianne ist der einzige Mensch im Film, zu dem er eine Art persönlicher Bindung hat. Und doch ist er für sie nur ein Bekannter, den man im Fall der Fälle um Hilfe bitten kann, für ihn nur ein Bestandteil der verhassten Welt, dem er ein gewisses sexuelles Interesse entgegenbringt. Die morbide Schwebe, in der diese Beziehung hängt, und ihre Bedeutungslosigkeit werden in einer Sequenz gestreift, in der Marianne und Schramm von einem gemeinsamen Abendessen – wohlgemerkt ein Dankeschön ihrerseits für einen Gefallen den Schramm ihr erwiesen hat – heimkehren. Unterwegs gehen sie an einem jungen Mann vorbei, der regungslos auf dem Bürgersteig sitzt. Die Kamera verharrt auf dieser Gestalt. Wenige Momente später erschießt sich der Mann und fällt unbeachtet zu Boden. Die Kamera verlässt ihre kauernde Stellung und fährt auf den reglosen Körper zu.

Im weiteren Verlauf betäubt Schramm Marianne in seiner Wohnung durch Schlaftabletten im Cognac. Er zieht sie aus, fotografiert sie und masturbiert. Ebenso wie alle anderen emotionalen und physischen Ausbrüche in diesem Film eine Verzweiflungstat. Schramm unternimmt nicht einmal den Versuch, Marianne zu verführen da er weiß, das sie an ihm kein Interesse hat. Der „romantischste“ Moment des Films - in rotem Licht – ist genauso schäbig wie alle anderen Ausschnitte aus dem Leben des Protagonisten, die uns Buttgereit präsentiert. Und schäbig ist auch sein Tod: Weder durch die Hand des Gesetzes noch die eigene ausgeführt, stürzt Schramm beim Streichen seiner Wände von der Leiter weil er seine Beinprothese verliert. Mitten in einer Lache weißer Farbe, nackt bis auf eine geblümte Unterhose inmitten seiner schmucklosen, kahlen Wohnung haucht er sein Leben aus während an der Tür Marianne klopft.

Jörg Buttgereit knüpft mit „Schramm“ eigentlich nahezu nahtlos an das deutsche Befindlichkeitskino der 70ziger und der letzten Jahre an und verbindet es mit dem gewissen, surrealen und formal verspielten Anstrich, wie er bereits damals meist dem sogenannten „Underground“-Kino vorbehalten war. Ein intensiveres und intimeres Psychogramm eines aus mangelnder Selbstachtung und einem sexuell und emotional verkümmerten Innenleben heraus mordenden Menschen lieferte im deutschsprachigen Kino höchstens noch der Österreicher Gerald Kargl in seinem 1983 entstandenen, großartigen Film „Angst“. Was Kargl jedoch unter Zuhilfenahme aufwändiger Technik und artfizieller Stilmittel erreichte, gelingt Buttgereit auf kleinstem Raum; die notgedrungene Reduktion der technischen Hilfsmittel wird hier vorbildlich zur Tugend erhoben: „Schramm“ ist ein unglaublich reduzierter Film, reduziert voll und ganz auf seinen Protagonisten dem sich der Zuschauer auf eine intime minimale Distanz nähern muss, will er „Schramm“ sehen – so sehen wie er gesehen werden sollte. Ein Film, der mit zwei sehr gegensätzlichen Adjektiven ausgezeichnet werden kann: berührend und infernalisch.

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