Es bedarf schon eines besonderen Sinns für Humor, um wirklich schätzen zu können, was „American Splendor“ für ein Kleinod an satirischem Blick in den Alltag ist und das auch noch in einer Filmbiographie.
Dargestellt ist die Lebens- oder Leidensgeschichte von Harvey Pekar, seines Zeichens Angestellter der Ablage in einem Clevelander Krankenhaus, der seinen Alltagsfrust und seine Lebensängste schließlich in Form von Comictexten zum Erfolg macht – ohne sich darüber wirklich zu verändern.
Harvey, dargestellt von Paul Giamatti, ist ein typischer Everyman mit all den Lebensängsten, Zwangsneurosen und Frustauslösern, die uns alle in unserer kleinen Existenz manchmal anfallen. Unordentlich, neurotisch, ein zwanghafter Sammler, schludrig und schmuddelig, erträgt er seinen langweiligen Bürojob nur, weil der seinem Leben eine gewisse Form aufzwingt.
Wenn er dann, aus zeichnerischen Mängeln beginnt, die Geschichte seines Lebens zu texten, die dann Freunde wie Robert Crumb und andere mit Bildern illustrieren, ist dies auch für ihn ein Befreiungsschlag, der jedoch nicht die Wirkung erbringt, die man von so einem Film vielleicht erwarten könnte. Sein Leben ändert sich nämlich dadurch nicht, oder zumindest nicht offensichtlich. Erst als seine spätere Frau Joyce in sein Leben tritt und dies mit ihrer spröden, melancholisch-kühlen Art noch weiter zu komplizieren scheint, passiert für ihn hin und wieder etwas.
Man spürt schon, das ist kein Film für Leute, die sich im Plot von Höhepunkt zu Höhepunkt hangeln. In erster Linie muß man erst mal akzeptieren, was hier eigentlich vorgeht. Erst wenn man bereit ist, zu schlucken, daß es so überaus gewöhnlich ist, bemerkt man den feinen Humor in den Szenen. Es ist nicht viel los, aber es ist verdammt treffend geschildert in seiner frustrierten Beliebigkeit. Die „Liebesgeschichte“, wenn man sie pro forma mal so nennen will, ist eine schräge Kuriosität zwischen zwei Personen, die sich zwar brauchen, gleichzeitig aber auch wieder nicht, weil sie eigentlich beide nicht für den anderen verändern wollen. Daß dieses Paar am Ende sogar eine Tochter hat (allerdings die Tochter eines befreundeten Comiczeichners, der befindet, daß sie dort am besten aufgehoben ist) und eine echte Familie darstellt (wenn auch vordergründig dem Klischee nach disfunktional), ist die reine Ironie.
Das Besondere an diesem Film ist, daß er sich den gängigen Konventionen meist verweigert. Schon der Vorspann ist teilweise gezeichnet und in Comic Panels gefaßt. Während man noch Wahrheit oder Illusion spielt, springt der Film plötzlich aus der Handlung und präsentiert uns den „wahren“ Harvey Pekar, der es sich nicht nehmen läßt den Off-Kommentar selbst zu sprechen und während des Films immer wieder für Interview-Zwischenspiele auch die anderen „echten“ Charaktere des Films vorstellt, wie z.B. den Kollegen-Nerd Toby, die echte Joyce oder auch die Tochter im Teenageralter.
Die episodische Handlung springt bisweilen vor und zurück und läßt den Zuschauer sich fühlen, als wäre er in einer „Movie graphic novel“ – welche Pekar, wie das Schlußbild zeigt, dann auch tatsächlich produziert wurde („My Movie Year“).
Im letzten Drittel gibt es dann doch noch ein paar dramaturgische Anleihen bei üblichen Biographien, Eheprobleme, Harveys Krebserkrankung, die Auftritte und der Tumult bei Letterman. Als Spiegelung des Realen sind die Auftritte bei Letterman sogar die Originalausschnitte (Joyce beobachtet also am Fernseher nicht Giamatti, sondern den echten Pekar, bis er wieder den Raum betritt), bis auf den finalen Eklat, als er den Talkmaster provozierte und beleidigte. (Der Sender gab die Bänder dafür nicht frei, die Szenen wurden nachgestellt.)
Trotzdem ist nichts davon spektakulär, aber dafür überraschend anrührend, wenn man bedenkt, daß der Mann nun wirklich kaum etwas Sympathisches an sich hat. Doch seine Umwelt ist fast noch schlimmer – und auch nicht unsympathisch, trotz der offensichtlichen Abstrusität. Letztendlich kann sich jeder darin wiederfinden, die schrägen Kollegen, die komischen Liebschaften, die seltsamen Leute auf der Straße, die einen stören – es ist eine Abbildung der Realität, so wie es „American Splendor“ als Comic ist.
Insofern sind hier die Medien zu einer neuen Kunstform verschmolzen und die Figur Harvey Pekar kompromitiert kaum den Menschen Harvey Pekar (der sich in einer Traumsequenz allerdings berechtigt fragen darf, wer er eigentlich ist), sondern bildet in über weite Strecken biographisch genau ab.
Und wenn man darüber noch permanent schmunzeln kann, dann ist die Mission erfüllt.
What a year – his movie year! (8/10)