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Ein Fluch, Geister, mysteriöse Todesfälle, kaum ein ostasiatischer Post-Ringu-Horrorfilm, der das nicht thematisiert. 2003, als „Ju-on“ ins Kino kam, war das also auch nicht mehr neu, zumal dieser Kinofilm selbst schon ein Remake eines japanischen Fernsehfilms ist. Trotzdem ist „Ju-on“ ein großartiger Beitrag zum Horrorgenre, vor allem durch Takashi Shimizus einzigartiges Gespür für bedrohliche Atmosphäre und die interessante Erzählstruktur.

Gleich zu Beginn informiert ein einleitender Text über die Bedeutung des Filmtitels. Demzufolge ist ein Ju-on ein Fluch, der sich im Anschluss an eine unter außerordentlicher Wut stattfindende Mordtat an Ort und Stelle des Verbrechens manifestiert um sich fortan auf jeden zu übertragen, der mit ihm in Kontakt stößt. Von dieser Tatsache ausgehend entfaltet sich nun ein episodenhaft verschachtelter, unchronologisch erzählter Horrorfilm. Sozusagen der „Pulp Fiction“ des Geisterfilms.
Quasi-Hauptfigur, weil sie einfach etwas länger als alle anderen überlebt, ist Rika, eine Sozialarbeiterin, die in jenes verfluchte Haus geschickt wird, um auf die senile Mutter aufzupassen. Eigentlich ist die alte Frau gar nicht ihr Fall, doch der normalerweise in dem Haus arbeitende Sozialarbeiter ist nicht zu erreichen, genauso wenig wie das dort lebende Ehepaar. Dafür findet Rika auf dem Dachboden eingesperrt einen kleinen merkwürdigen Jungen namens Toshio, und kurz darauf sieht sie einen Geist. „Ju-on“ ist nämlich kein Film, der sich seine Spukgestalten bis zum Schluss aufhebt, wie es etwa in „Ringu“ der Fall ist, denn dadurch, dass der Fluch gleich zu Beginn grob erklärt wird, ist es nun nur noch Aufgabe des Geistes, dieser Ankündigung gerecht zu werden und so viele Menschen wie möglich zu terrorisieren, und das nicht zu knapp. Doch trotzdem wir den Geist während des Films ständig zu sehen bekommen, verliert er nicht an Wirkung, da Shimizu sich in jeder Episode neue Gemeinheiten einfallen lässt und durch die totale Ausweglosigkeit eine bedrückende Gruselatmosphäre schafft, die von den gut portionierten Schocks noch deliziös garniert wird. Denn das ist das Fatale an der Sache: Einmal mit dem Fluch in Kontakt getreten, ist das Ende unausweichlich, egal wie sehr man rennt, schreit oder einfach nur starr in der Ecke sitzen bleibt. Geistererscheinungen laueren überall, in dunklen Ecken und Winkeln, im Fernseher, im Telefon, unter der Bettdecke, unter der Dusche und überall, wo man sonst so sein kann. Schaurig schön beispielsweise die Szene, als Hitomi mit dem Fahrstuhl nach oben fährt und Toshio einfach auf jeder Etage durch die Scheiben schaut. Und das enervierende Krächzen der Toten wird den Zuschauer auch noch nach Filmende heimsuchen.
Shimizu unterstreicht diese Intention noch, indem er die Handlung auf mehrere Generationen ausweitet. Nach der Einführung Rikas geht er einen kleinen Schritt in die Vergangenheit, um später kurz vor Schluss konträr dazu sogar in die Zukunft zu springen und das Schicksal der Tochter eines Opfers zu behandeln, nur um am Ende schließlich den Kreis wieder mit Rika zu schließen, der dann die zweifelhafte Ehre zuteil wird, den Fluch weiterzutragen. Die Hintergründe des ursprünglichen Verbrechens werden dabei übrigens nie auf dem Silbertablett präsentiert, sondern ergeben sich aus vielen kleinen Hinweisen, die der Zuschauer selbst zusammenfügen muss.

Schlurfende Geistererscheinungen mit langen, herabhängenden Haaren, bleiche Kinder mit leerem Blick, Spiegel, die manchmal mehr als das eigene Spiegelbild zeigen, solche Elemente werden sicher bald abgenutzt sein. In „Ju-on“ funktionieren sie aber noch auf beängstigende Weise. Zwar könnte man ihm vorwerfen, er hätte keinen Punkt, keine Pointe, keine Auflösung, doch das ist genau die Art Geschichte, die Shimizu erzählen will: eine klassische japanische Geisterlegende in Form einer urbanen Legende, bedrohlich, gruselig bis zum Gehtnichtmehr und mit einem Ende, das für Gänsehaut sorgt. Kein unumstößlicher Meilenstein, aber ein formidabler Beitrag zum Geisterfilmgenre.

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