Eine verängstigte Frau rennt durch die Dämmerung, schaut sich verzweifelt um und flüchtet schließlich in ein altes Gemäuer um sich wie unter Zwang stehend gegen ihren Willen aus einem Fenster auf die Spitzen eines Metallgitters zu stürzen. Gleich darauf ertönt hämisches Kinderlachen und die Beine eines weiß gekleideten Mädchens (tatsächlich ein Junge, den Bava hier eingesetzt hat) verlassen gemächlich den Ort des Geschehens, während über den Bildern die Credits laufen.
Derart offensiv beginnt Mario Bava seine Übung in Sachen Gothic Horror, wie schon sechs Jahre zuvor in seinem Solo-Regiedebut "La Maschera del Demonio" (1960), wo gleich zu Beginn der späteren Horror-Ikone Barbara Steele eine Dornenmaske auf ihr Anlitz geschlagen wurde. Diesmal vermengt er jedoch die drastischen Bilder mit der seit "Ercole al Centro della Terra" (1961) für ihn so typischen Farbdramaturgie, die er in "I Tre Volti della Paura" (1963) perfektionieren sollte.
War "La Maschera del Demonio" eher eine krude, gewalttätige Gothic Horror Geschichte im stilsicheren s/w der Horrorklassiker der Universal-Studios und die folgenden Subgenrebeiträge "I Tre Volti della Paura" und "La Frusta e il corpo" (1963) eher mildere, harmlosere Gothic Horror Beiträge, die stilistisch dafür den Hammer Studios und besonders den Roger Corman Filmen der AIP näher standen, lieferte Bava nun einen Horrorfilm ab, der sowohl die sorgsam ausgeleuchtete Studioatmosphäre eines Corman oder Terence Fisher lieferte, als auch die sadistischen Zwischenspiele in sattem Blutrot (eine Geißelung, das Aufspießen am Gitter, die aufgeschnittene Kehle des Bürgermeisters etc.) die zur damaligen Zeit im Mainstream-Horrorfilm (weswegen mit H. G. Lewis, Richard S. Flink oder Joseph Green u. a. nicht zu argumentieren ist) überhaupt möglich waren - für heutige Verhältnisse mag der Gewaltpegel belanglos erscheinen, gemessen an der zeitgenössischen Konkurrenz wie "The Haunted Palace" (1963), "Die, Monster, Die!" (1965), "Dracula: Prince of Darkness" (1966) oder "Frankenstein created Woman" (1967) war er aber von Bava durchaus ausgereizt worden.
Nach der aufpeitschenden Prätitelsequenz geht es jedoch [Achtung: Spoiler] zunächst gemächlich weiter: Der Arzt Paul Eswai kommt in den Ort um für Inspektor Kruger einer Autopsie vorzunehmen, da sich in der letzten Zeit die rätselhaften Todesfälle gehäuft haben. Und gemäß standardisierter Subgenrevorgaben stößt Eswai dabei auf die üblichen Probleme: sein Kutscher bringt ihn nicht direkt ans Ziel und setzt ihn vorher ab, die Dorfbewohner stehen ihn zum allergrößten Teil negativ gegenüber, verheimlichen die Ursache ihrer offenbaren Angst und versuchen sogar den Körper der frisch Verstorbenen zu beerdigen, bevor Eswai ihn untersuchen kann.
Und auch der Bürgermeister scheint eher auf Seiten der Bewohner zu stehen als auf der Seite Krugers und Eswais. Doch nach und nach kann Eswai dem vermeintlichen Aberglauben der Dorfbewohner und ihrer Angst bzw. ihrem schlechten Gewissen auf die Spur kommen: Denn vor einiger Zeit ist die Kleine Melissa Graps verstorben, während die Dorfbewohner feierten ohne auf ihre Hilfegesuche per Glockengeläut zu reagieren. Und jeder der fortan der Erscheinung der kleinen Melissa begegnet, wird zu grauenvollen Selbstmordakten getrieben, während die Glocke dem ganzen Dorf das unheil ankündigt.
Freilich hält Eswai von solchen Erklärungen nicht viel, und erst nachdem er mit der jungen Medizinstudentin Monica Schloß Grasp aufsucht - von dem die wenigsten wieder lebendig zurückgekehrt sind - muss er den Wahrheitsgehalt des Aberglaubens erkennen. (Allerdings ist es sogar die Baroness Graps, die - in der dt. Synchronisation unter dem Einfluss des Grafen Draculas stehend - mit ihren übersinnlichen Fähigkeiten die Erscheinung melissas auf die Dorfbewohner hetzt um Rache zu nehmen.)
Die Vorzüge dieser Horrorperle liegen einwandfrei auf formaler Ebene: Bava tunkt die alten Häuser und Gemäuer in warme Braun- und Ockertöne, leuchtet die Nachtszenen mit kaltem Blau aus und arrangiert seine Szenen mit farbenprächtigen Details (auch unter zusätzlicher Zuhilfenahme grüner und violetter Scheinwerfer) um die eigentümliche, bonbonbunte Bildwirkung zu kreiieren, die der Zuschauer von Bava gewohnt ist und die man später auch in einigen Filmen Dario Argentos ("Suspiria" (1977), "Inferno" (1980)) finden sollte. Die Ausstattung erweist sich durchgängig als phantasie- und liebevoll, angereichert werden die jeweiligen Sets je nach Bedarf durch Unmengen an Bodennebel, Staub und Spinnweben. Die langsamen Zooms und geruhsamen Kamerafahrten unterstreichen das traumartige Gesamtbild noch - nur bei den vereinzelten Schockeffekten bricht Bava mit dieser Kamerahandhabung (und auch die Musik bricht dann recht krass aus ihrer Monotonie heraus).
Auch auf der Tonspur beherrscht Bava die Klaviatur wohligen Grusels: Carlo Rustichellis betörend-hypnotisches musikalisches Leitmotiv harmoniert vollkommen mit den Bildern und die akkustische Überbetonung knarzender Bodendiehlen, des Mädchengelächters oder von Melissas hüpfenden Ball verleihen einzelnen Details eine Bedeutungsschwere, die den Alpdruck des gezeigten effektvoll untermalt.
Kenner der Filmgeschichte dürfen sich auch über ein paar Anleihen bei anderen Regiegrößen freuen: so erinnert die Ansicht der Wendeltreppe (00:32:45) oder der Anblick von Eswai und Monica nach überstandenem Schrecken (01:18:48) vage an Hitchcocks "Vertigo" (1958); eindeutiger fällt das Vorbild Jean Cocteau aus, dessen Kerzenhalter in Form von Menschenarmen aus seinem "La belle et la bête" (1946) direkt von Bava übernommen worden sind (00:37:02).
Doch bleibt Bava weitestgehend eigenständig - wenn man mal davon absieht, dass er freilich den Vorgaben des Genrekinos verhaftet ist und damit auch einige Klischees und Stereotype aufgreift, die allerdings dem Ganzen bloß einen (für geneigte gemüter erfreulichen) altmodischen Charme verleihen.
Bavas Stil hat dann auch viele Regisseur, die sich im gleichen Genre versucht haben, beeinflusst: Neben Dario Argento ist hier Tim Burton zu nennen, der in "Sleepy Hollow" (1999) überdeutlich die schaukelnde Melissa (00:14:44) eingebaut hat und sich auch ansonsten formal sehr dicht an Bava hält. Federico Fellini übernahm sogar gleich das ganze Motiv des weiß gekleideten, ballspielenden Mädchens in seinem "Toby Dammit", dem Episodenfilmbeitrag für die "Tre Passi nel Delirio" (1968), das auch im "FearDotCom" (2002) von William Mallone wieder auftauchen sollte (auch ansonsten greift Mallones filmische Entgleisung etliche Vorbilder direkt auf, bleibt aber davon abgesehen uninteressant). Fellini, der auch in "E la nave va..." (1983) nochmal ganz direkt Bava zitierte - nämlich die selbstironische-selbstreflexive Pointe seines "I Tre Volti della Paura" - hatte sich kurz vor den Dreharbeiten gar dahingehend geäußert, dass er Bava für den geeigneteren Regisseur halten würde.
Dennoch hat "Operazione Paura" auch einige Schwachstellen: so sorgt zwar das übersinnliche Element des Films für starke Einzelszenen - hier sei der kleine Höhepunkt zu nennen, wenn Eswai an einer Stelle plötzlich merkt, dass er sich selbst verfolgt um kurz darauf in einem Gemälde zu versinken - insgesamt wirkt der ganze Spuk, der etwa in der erwähnten Szene auch vor Raum und Zeit nicht haltmacht, zu gigantisch um durch die Auflösung einer einfachen (wenngleich auch übersinnlichen) Rachegeschichte schlüssig geklärt zu werden. (Derartige Unlogik zu erklären, gelang da schon eher in Fulcis "L'Aldila" (1981), wo die Ursache noch im puren Bösen in Form von Toren zur Hölle lag.) Da bleibt der Film doch etwas hinter Bavas Erstling zurück und auch auf formaler Seite kann er nicht ganz an seinen "I Tre Volti della Paura" anknüpfen, da er dort seine Studioästhetik zu einem später so nicht mehr erreichten Höhepunkt getrieben hat und sie darüber hinaus spielerisch thematisierte.
Wer jedoch mit Klischees, Stereotypen und einigen logischen Fragwürdigkeiten leben kann, bekommt hier einen Höhepunkt des Gothic Horrors geboten - mit Erika Blanc zudem ansprechend besetzt. Wer generell mit Geisterspuk, Spinnweben, Bodennebel und Glockengeläut eher weniger zu begeistern ist, der wird auch hiermit nicht recht glücklich werden.
8/10