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"Willst du nach Kanada gehen?" - "Ach, da ist es kalt!"

Rusty Novick (Russ Thacker) hat eine lange Flucht hinter sich, als er in die friedliche Gegend seiner Heimat zurückkehrt. Seine Eltern freuen sich, dass sie ihren Sohn gesund wieder haben, aber sie wissen nicht, dass er desertiert ist. Deshalb ist die Frage seiner Freundin, ob er nicht weiter nach Kanada abhauen will, gerechtfertigt, denn damit hätte er eine Chance, der Armee zu entkommen. Doch Rusty will nicht und wird kurz danach von zwei FBI-Agenten hinter der Farm seiner Eltern festgenommen und in ein Militärgefängnis gebracht. Vielleicht hätte er seiner Mom und seinem Dad lieber erzählen sollen, dass er unerlaubt von der Truppe abgehauen war, denn dann hätten diese sich nicht vertrauensvoll an seine Einheit gewendet, weil sie der Meinung waren, dass ihr Sohn wegen seiner traumatischen Erlebnisse Hilfe braucht.

Rustys wenig geschicktes Verhalten als Deserteur symbolisiert von Beginn an, dass sich hier kein Soldat planvoll dem Kriegsdienst entzogen hat, sondern das ein gestörter Mensch nicht anders konnte. Bei einem Dschungelkampf hatte er ein sechsjähriges Mädchen erschossen, das auf ihn anlegen wollte, weshalb er sich nicht mehr in der Lage sieht, weiter zu kämpfen. Für die amerikanische Armee stellt sich der Fall natürlich ganz anders dar - für diese handelt es sich bei Soldaten wie Rusty um Feiglinge und Vaterlandsverräter, die die Moral der Truppe unterwandern und deshalb ohne psychiatrischen Beistand in einem Militärgefängnis gedrillt werden müssen.

"The Line" gibt sich nicht die geringste Mühe, seine Haltung abzuschwächen oder zu differenzieren. Auf der einen Seite stehen die jungen Männer, die ohne Rücksicht im vietnamesischen Dschungel verheizt werden, auf der anderen Seite die Kriegtreiber, die nicht am Menschen, sondern nur an der patriotischen Sache interessiert sind. Dadurch, dass die Handlung bis auf die Eingangssequenz nur im Militärgefängnis stattfindet, zeigt "The Line" das einseitige Bild eines unbarmherzigen Gefängnisalltags, dass kein Erbarmen mit den "Verrätern" kennt.

Robert J. Siegels Film erschien 1972, während der Hochphase des Vietnamkrieges, und es ist nicht erstaunlich, dass er damals nur auf wenig Gegenliebe stieß. An der einfachen, eher an Fernsehfilme erinnernden Machart, wird zudem deutlich, dass es sich um ein spontanes Werk handelte, dass direkt auf Ereignisse der Jahre 1968 bis 1969 reagierte. Sowohl für den Regisseur und Autor, als auch für die meisten Darsteller blieb dieser Film ihr Hauptwerk. Das es erst 1980 unter einem neuen Titel international veröffentlicht wurde, lag zum Einen an dem inzwischen vorhandenen zeitlichen Abstand zu den Kriegsereignissen, aber noch mehr daran, dass man, unabhängig von der eigenen politischen Haltung, den Eindruck bekommt, dass hier kein ideologisch tendenzielles Werk übertriebene Kritik übte, sondern im Gegenteil ganz nah an der Realität gewesen ist.

Mit etwas Abstand fällt zudem auf, dass der Film auf viele Gelegenheiten verzichtet, Emotionen zusätzlich zu schüren. Natürlich gibt es auch hier den sadistischen Vorgesetzten, der die Soldaten bewusst und ohne Rücksicht auf deren Gesundheit quält, aber sonst betont der Film vor allem die perverse innere Logik, die folgerichtig in den Tod führen muss. Weder tauchen noch einmal Rustys Eltern oder seine Freundin auf, noch wirkt der Film in seiner Beschreibung einer tödlichen Zuspitzung ideologisch übertrieben, selbst als die Demonstranten in das Militärgelände eindringen und es zu Schüssen kommt. Vielleicht kommt dem Film seine einfache Optik zu Gute, die dem gesamten Geschehen trotz aller Eindringlichkeit etwas Zurückhaltendes, fast Dokumentarisches verleiht. "The Line" als leicht skurriles, links gerichtetes Werk seiner Zeit abzutun, fällt trotzdem nicht schwer, denn handwerklich merkt man dem Film seinen bemühten, aber nicht immer sicheren Stil an. Auch den (Laien)Darstellern, besonders Hauptdarsteller Russ Thacker, merkt man eine gewisse Unbeholfenheit an, was dem Film gleichzeitig eine Authentizität verleiht, die nur schwer bewusst herzustellen gewesen wäre.

Die Konzentration auf das Militärgefängnis unterscheidet den Film zudem in erheblichem Masse von weit bekannteren Anti-Kriegsfilmen, die sich eher dem „normalen“ Soldaten widmeten. Der Film geht stärker in den Brennpunkt der Auseinandersetzung, in dem er Soldaten in den Mittelpunkt stellt, die längst ihre Ehre verloren haben – auch in den Augen des größten Teils der Bevölkerung. Während ungerechte, sture Vorgesetzte, die zudem noch das Leben ihrer Truppe gefährden, grundsätzlich in der Kritik stehen – egal welche Haltung man dem Militär gegenüber hat – verhalten sich die Vorgesetzten hier letztlich legal, denn sie überwachen Verbrecher, die (wie in einer abschließenden Einblendung gezeigt wird) zu langen Haftstrafen verurteilt werden. Es ist äußerst ungewöhnlich - auch für dieses Genre - Protagonisten in den Mittelpunkt zu stellen, die so offensichtlich nicht dem Heldentyp entsprechen, denn in der Regel haben auch Anti-Helden mutig zu sein, wenn auch auf anderem Gebiet.

Natürlich ist „The Line“ einseitig und selbstverständlich hat es auch Gefängniswärter gegeben, die fair und nicht sadistisch waren. Aber darum geht es in diesem Film nicht, denn entscheidend ist nicht der Mikrokosmos im Gefängnis, den es sicherlich in unendlichen Facetten gibt, sondern die Aussagen der hohen Militärs und ihrer sonstigen Sprecher, deren Meinung im Film viel Raum gegeben wird. Aus diesen Worten klingt eine Menschenverachtung und selbstverständlicher Machtanspruch, die eine ganz offizielle Haltung repräsentieren. Und auch beim heutigen Ansehen kann man sich nicht ganz des Gefühls erwehren, dass sich in den Grundzügen nicht wirklich etwas geändert hat (7/10).

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