Review

Hong Kong, Ende der 60er Jahre: Die jungen Erwachsenen Frankie (Jacky Cheung), Ben (Tony Leung Chiu Wai) und Paul (Waise Lee) sind Freunde fürs Leben, die alles miteinander teilen und alles miteinander durchstehen. Am Tag von Bens Hochzeit wird Frankie von einem befeindeten Gangmitglied mit einer Flasche niedergeschlagen. Die beiden planen Vergeltung und wollen den Rivalen vermöbeln. Als die Situation außer Kontrolle gerät und sie ihn versehentlich töten, gibt es für die drei Freunde nur einen Ausweg: Die Flucht aus Hong Kong. Die drei planen, sich als Schmuggler in Vietnam durchzuschlagen. Doch dort herrscht gerade Krieg - also der Ausnahmezustand - und die drei Freunde verlieren im Kampf ums eigene Leben sämtliche Waren und Besitztümer. Sie geraten in einen Strudel aus Gewalt, Korruption, Drogen, Prostitution, Ungerechtigkeit, Lügen und Krieg, aus dem es scheinbar keinen Weg mehr zurückgibt. Als dann auch noch die Gier nach Geld und Gold die drei Brüder fürs Leben auseinanderreißt, nimmt das kalte Schicksal seinen Lauf.
Achtung, folgendes Review enthält schwerwiegende Spoiler! Ungewohnt für Woo-Verhältnisse scheint "Bullet in the Head" mehr wie ein Drama, anstelle eines reißerischen Actionmachwerks à la "Hard Boiled". Und tatsächlich schafft der Regisseur in diesem Werk seine bisher beste und menschlichste Umsetzung der Themen Freundschaft, Kameradschaft und Bruderliebe, die bereits in anderen Werken wie "A Better Tomorrow" oder "The Killer" verarbeitet wurden. Das Band zwischen Ben, Frank und Paul wird am Anfang überzeugend vermittelt und die Charaktere wachsen schnell ans Herz. Umso härter ist es dann später, im Laufe des Film die einzelnen Individuen auseinandertriften zu sehen und mitzuerleben, wie sie zugrunde gehen. In vielen menschlichen Momenten zwischen den Hauptdarstellern vermittelt Actionregisseur John Woo ein optimistisch-warmes Menschenbild, das genau die Emotionen der Zuschauer anvisiert und auch trifft. Das geht soweit, dass Ben am Tage seiner Hochzeit seine Frau und sein gesamtes geplantes Leben für Freund Frankie aufgibt, um mit ihm abzuhauen. Das vermeindlich neue und bessere Leben entpuppt sich aber schnell als die ganz persönliche Hölle der drei Protagonisten. In erstaunlichen, teilweise auch hart an der Grenze liegenden Szenen vermittelt Woo die Wichtigkeit von Menschenliebe und Freundschaft. Nichts für Zartnaturen sind Sequenzen, in denen die Freunde um ihr Leben kämpfen - seien es Arbeiteraufstände in Hong Kong oder die grausame Realität des vietnamesischen Krieges. Geister sollten sich spalten, wenn die drei vom Vietcong gefangengenommen und von diesen gezwungen werden, andere Gefangene zu erschießen, wenn sie selber überleben wollen. Das Band der Brüder wird dann entgültig zerstört, als Paul der Goldsucht verfällt, und dafür sogar seine Freunde töten will. Frankie bekommt von ihm eine Kugel in den Kopf...der wird schwerbehindert und drogenabhängig. Ein Schicksal, dass sein Freund Ben nicht mit ansehen kann und ihn darauf von seiner Qual erlöst. Neben der Verurteilung von Habgier und Vertrauensmißbrauch prangert der harte Streifen ebenfalls die Sinnlosigkeit und Brutalität des Krieges an. Nebencharaktere und Unschuldige müssen im Kugelhagel der Dschungelschlachten ihr Leben lassen. Szenen wie diese zehren an den Nerven, aber gehen vorallem ans Herz. Diese emotionale Tiefe wurde sonst von keinem anderen Heroic Bloodshed-Werk von Woo bis dato erzielt und wird deshalb äußerst begrüßt.
Umso ärgerlicher ist allerdings, dass die menschliche Komponente des Films durch die Woo-typische Haudraufaction gestört wird. Zuerst verurteilt der Regisseur die Brutalität und Härte von Gewalt und Krieg, nur um im nächsten Moment eine kalte und brutale, aber auch sinnlose und für den Plot unwichtige Schießerei präsentiert. In den obligatorischen Zeitlupen und Einstellungen durchdringen Maschinengewehrkugeln die Körper und ziehen Blutfontänen hinter sich her. Bekannt ist das schon aus seinen anderen Werken, dementsprechend wird die Action verherrlichend dargestellt. Es passt nun mal einfach nicht zu dem sensiblen Bild der drei Freunde, die in der einen Szene nicht töten können, aber in der nächsten per Maschinengewehrrundumschlag sieben Menschenleben auf einmal auf den Gewissen haben. Die Dramatik, die Stärke und die Emotionsgewalt der bewegenden, zwischenmenschlichen Bilder geht durch die Materialschlachten leider verloren. Das ist dann beinahe schon wirklich ärgerlich und der optisch-beeindruckende Effekt der Ballereien wird nichtig. Selbst wenn Ben seinen besten Freund, der von Drogen und Schmerzen zerfressen ist, in der Gosse lebt und sich nicht mal an seinen eigenen Namen erinnern kann, durch einen Kugelschuß erlöst, zeigt Woo in Nahaufnahme den Kugelaustritt mit reichlich Kunstblut. Das muß nicht sein und nimmt den dramatischen Aspekt, anstelle ihn zu verstärken. Irgendwie wirkt das dann schon übertrieben lächerlich. Außerdem muss man deutlich sagen, dass die Inszenierung seiner Actionszenen in "Bullet in the Head" höchstens Mittelmaß ist, ein Standard wie in "The Killer" oder in "Hard Boiled" wird nie erreicht. Dafür fehlt Originalität und cinematographische Stärke. Fakt ist einfach, dass ein Großteil der Action auch als Ärgernis gesehen werden kann. Eingefleischte Woo-Fans allerdings halten mich sicher für diese Aussage für verrückt. Persönlich gibt es nichts gegen knallharte Nonstopaction einzuwenden - "Hard-Boiled" ist für mich selber ein klarer 10/10 Kandidat - aber leider versteht es Woo hier nicht ganz, ein gesundes Maß zwischen Gunaction und Drama zu finden. Irgendwie wollte er beides in einem verwirklichen, was leider nicht so hervorragend geklappt hat. Dennoch, die Action für sich alleine gesehen ist solide und ordentlich (vorallem einige nett gemachte Prügeleien), wenn auch unter dem hohen Standard des Directors. Weniger wäre hier deutlich mehr gewesen.
Ansonsten gibt es wie bei den anderen Hong Kong Werken von Woo kaum Grund zur Beschwerde. Neben der interessanten, berührenden und auch spannenden Story kann der Film eine Riege von hervorragenden Darstellern aufweisen, die ihre Arbeit wirklich vorzüglich meistern. Die drei Hauptprotagonisten sind wunderschön gespielt, aber auch die anderen Schauspieler können sich sehen lassen. Allgemein besitzen die Figuren des Films durchwegs Sympathiefaktor, individuelle Charakterzüge und Eigenleben. Glücklicherweise handelt es sich in "Bullet in the Head" nicht um die actionüblichen Holzpuppencharaktere, Superhelden oder das obilgatorische Kanonenfutter. Bei den Sets und Locations findet man überraschend hohe Vielfalt: von den schmutzigen Hinterhöfen Hong Kongs, durch noble Clubs und dann in den Dschungel Vietnams. Technisch versteht Woo ebenfalls sein Werk und überrascht abermals durch Liebe zum Detail und einige atemberaubende Kameraeinstellungen. Für einen Hong Kong Film der früher 90er ist "Bullet in the Head" sicher ein technisches Paradebeispiel mit Vorzeigequalität.
Schade ist eigentlich nur der schon oben erwähnte einzige Negativpunkt: Die Unausgewogenheit zwischen ernsthafter Drama- und verherrlichender Actionkomponente. Dadurch wirkt der Film zwar aber auch in gewisser Hinsicht härter und abschreckender, aber verliert zugleich etwas die Glaubwürdigkeit. Das actiongeladene Finale mag zwar in Sachen Unterhaltung funktionieren, verhunzt aber den ernsten Kontext des Streifens. Teilweise ist der Film nämlich so wunderschön emotional, gefühlvoll und ästhetisch, dass man sich über die plump brutalen Actioneinlagen ärgern kann.
Zum Glück überwiegt am Ende dann doch die Menschlichkeit, allerdings nicht ohne einen gewissen bitteren Nachgeschmack. Denn "Bullet in the Head" ist wohl definitiv der beinah einzige Woo-Film, der ohne all die "heldenhaften" Gewalteinlagen besser gefahren wäre. Traurig verbleibt also, dass der Streifen nicht so recht weiß, ob er nun Gewalt anklagen oder verherrlichen will. Nichtsdestotrotz ein kompaktes, wegweisendes und lohnenswertes Stück Hong Kong Kino, das sich actionmäßig und emotional hart an der Grenze bewegt.

Details
Ähnliche Filme