Vorsicht, Spoiler.
Zwischen 1986 und 1990 erschütterte ein Serienkiller mit sexuell motivierten Frauenmorden ein koreanisches Dorf, während das Land gerade unter einer militärischen Diktatur litt. Bong Joon-Ho erzählt nun die Geschichte des ungelösten Mordfalles der Gyeonggi Provinz nach. "Memories of Murder" ist jedoch kein Copthriller, kein Serienkiller-Film - kein koreanischer "Sieben". Eigentlich ist "Memories of Murder" - und das ist das erfrischende an dem koreanischen Kino generell - nichts von alledem, was man erwarten würde.
Bong Joon-Ho geht es nicht um ein psychologisches Portrait des Serienkillers - er ist sogar so konsequent, und lässt das Ende, wie im echten Leben, offen. Der Fall bleibt ungelöst, der Zuschauer erblickt nicht einmal das Gesicht des gefassten oder gestellten Mörders. Wir erfahren ebenso wie die beiden Detektive in dem Film, nicht die Befriedigung, dem perversen Schwein, der uns zwei Filmstunden bei Stange hält, ins Gesicht zu blicken, und ihn zu verurteilen. Boong Joon-Ho jedoch erzählt die Geschichte der Zeit, der Menschen, in denen jene Morde passierten. Er interessiert sich für Cops, die Ohmachts- und Verzweiflungstaten begehen, die Gesetze beugen, lügen und sich untereinander verprügeln.
Der fantastische Song Kang-Ho, bekannt aus "Sympathy for Mr. Vengeance" oder auch "Shiri", spielt den örtlichen Polizeidetektiv Park Du-Man, der der Meinung ist, er könne jeden Verbrecher durch seinen magischen, durch viele Dienstjahre geschärften Blick sofort entlarven. Und so kommt es schon mal vor, dass er derart überzeugt von der Schuld eines Verdächtigen ist, dass er ihn einsperrt, zusammen mit seinem aufbrausenden Kollegen Jo Yong-Gu das "Good Cop/Bad Cop"-Spiel vorführt, ihn verprügelt und foltert - bis das Geständnis auf Tonband gesprochen ist. Solch unkonventionelle Methoden führen sicher oft zu einem Abschluss eines Falles, jedoch sitzt bestimmt nicht immer der Richtige hinter Gittern.
Diesmal soll es anders werden. Die kontroversen, vom Dorf gefürchteten Methoden der beiden Cops sollen von dem besser geschulten Großstadtpolizisten Seo Tae-Yun in die Bahnen normaler Polizeiarbeit gelenkt werden. Wie Park selber sagt, macht er seinen Job mit den Fäusten, während Seo ihn durch sein Gehirn bewerkstelligt. Doch aus diesen widersprüchlichen Ansichten bezüglich der Ermittlungen wird kein zotiges Buddymovie, sondern bleibt konstant spannend, da sich die beiden Cops von Hinweis zu Hinweis hangeln zu müssen. Die Hinweise, beispielsweise, dass immer an einem Regentag gemordet wird, dass die Frauen meist etwas rotes trugen, oder dass dabei immer ein bestimmtes Lied über den Äther der lokalen Radiostation lief, verlaufen, getreu dem Konzept des Films, natürlich ins Leere. Es ist frustrierend mit anzusehen, wie sich alle Beweise, die mühsam gesammelt werden, als wertlos erweisen, und wie der einzige Augenzeuge einem Unfall zum Opfer fällt. Da aber Regisseur Bong Joon-Ho immer wieder solche "red herrings" streut, bleibt die Spannungskurve konstant oben, und der Hoffnungsschimmer, jene urigen, sympathischen Polizisten würden diesen übermenschlichen, mysteriösen Killer schnappen, erlischt nie.
Und obwohl sich dies alles sehr deprimierend und realistisch anhört, ist "Memories of Murder" auch eine fabelhafte Schwarze Komödie, die einige wirklich lustige Szenen beinhaltet. Ohne der knisternden Atmosphäre im Wege zu stehen, gibt es Szenen voll von erfrischender Komik. So meint Park einmal, den Mörder durch die Tatsache, dass nie Schamhaare bei den vergewaltigten Opfern zu finden waren, als einen Mann, der im Intimbereich rasiert ist, überführen zu können. Seine Ermittlungen führen Park nun in die Saunas, die Bäder und die Umkleidekabinen der Stadt, wo er seinen Geschlechtsgenossen ohne jede Scham auf ihr Gemächt starrt.
Doch unterhalb jener Polizistengeschichte gibt es noch einen weiteren, sehr wichtigen Kommentar, den der Film macht. Es ist ein Kommentar auf jene Zeit, in der Korea überrumpelt wurde von einem Serienkiller, der bis heute vermutlich auf freiem Fuß wandelt. Noch nie musste das Land oder die Polizei mit einem solchen Verbrecher umgehen müssen, noch nie wurden dem Land seine eigenen Grenzen derart hässlich aufgezeigt. Und während sich die Medien auf die Polizeiarbeit der Männer konzentrierten, tappten diese, wie im Film korrekt wiedergegeben, in so Fettnäpfchen, wie das Konsultieren eines Schamanen, der vorschlug, das Tor der Polizeistation um einige Meter zu versetzen, um genug mentale Energie für den Fall zu bekommen. Auch ist "Memories of Murder" ein Rückblick auf eine Zeit, in der die Bevölkerung Koreas unter einer Diktatur lebte, die ihre Bürger lieber für Notfallsituationen drillte, anstatt notwendige Militärs für die Polizeiermittlungen abzugeben.
In einer Zeit, in der jeder neuer Serienkillerfilm nur versucht den Thrill und die Perversitäten aus David Finchers "Sieben" noch zu übertreffen, wirkt das Ende, obwohl es, wie bereits erwähnt, nicht einmal den Fall zu Ende bringt, revolutionär. Ruhig, menschlich, überraschend. Dieser Epilog findet in der Gegenwart statt, und mag als ein wahrlich kraftvolles, wunderschönes Ende für einen solchen Film betrachtet werden. In den letzten Minuten wird noch einmal deutlich, dass es bei "Memories of Murder" nie darum ging, einfach nur eine spannende Geschichte zu erzählen, sondern von den Menschen, deren Leben durch jene "spannende Geschichte" beeinflusst werden, zu erzählen. Und Song Kang-Hos Gesichtsausdruck am Ende von "Memories of Murder", am Schauplatz des ersten Mordes, der ersten Szene aus dem Film sitzend, zeigt all jene Trauer für die Opfer, für seine eigene Unfähigkeit, den Killer zu fangen, aber auch im gleichen Moment, Verständnis, dafür, dass das schlicht das Leben ist.
Auf der technischen Seite des Films haben wir zunächst den schönen, weichen Score des Japaners Taroh Iwashiro und die ebenfalls traumhaften, erdigen, meist in ein Goldbraun oder in ein kräftiges Gelb gehauchten Bilder von "Musa - The Warrior"-Kameramann Kim Hyeong-Gyu. Wenn Kim über die großen Felder blickt, und durch perfekte Farbkompositionen ein wunderbares Bild der koreanischen Landschaft zeichnet, dann mag man sich willkürlich fragen: "Warum sieht jeder koreanische Film so verdammt hübsch aus?"
Das Drehbuch ist anspruchsvoll, eine perfekte Balance aus schweißtreibenden Thriller, einnehmenden Dramas und Schwarzer Komödie, der politische Subtext funktioniert einwandfrei, und auch Kamera, Licht und Musik stimmen. Dazu das fantastische Schauspiel von Song Kang-Ho, und wir haben einen weiteren, hochgeistigen, extrem gelungenen Korea-Blockbuster, dessen gigantischer Erfolg endlich mal wieder beweist, dass sich die Produzenten nicht nur auf den Erfolg ihrer platten Komödien á la "Marrying the Mafia" (Südkoreas letztjähriger Blockbuster) verlassen dürfen, sondern dass die "Neue Koreanische Welle" noch längst nicht all ihr Pulver verstreut hat.