Seit zwanzig Jahren warten die Fans nun schon auf ein brauchbares, wirklich gelungenes Filmstück von Giallo-Altmeister Dario Argento, doch im Dekadenabstand hat der Mann zuletzt offenbart, dass er entweder an seinem Oeuvre nicht mehr recht interessiert scheint oder schlichtweg bar jeglicher weiterer interessanter Ideen ist.
Das ist jetzt nicht so überraschend, denn effektiv hat er häufig immer wieder den im Kern gleichen Film gedreht, komplett mit Thriller-Killer-Giallo-Motiven und dem unbestreitbaren Drang, seinen weiblichen Casts ein schreckliches Ende angedeihen zu lassen.
Seit 2003 ging es dann aber deutlich bergab, mit dem kleinskaligen und visuell reizarmen „Card Player“ als Tiefpunkt des Schaffens. Vor gut zehn Jahren nannte er dann nach längerer Schaffenspause eine Rückkehr zum Genre tatsächlich „Giallo“, hatte dort aber außer einem windigen und ziemlich offensichtlichen Dreh ebenfalls keine Inspiration für etwas Dauerhaftes. Nachdem er dann schließlich auch noch eine eigene „Dracula“-Verfilmung auf den Markt brachte, die so kontrovers (oder mies) ankam, dass ich mich immer noch nicht dran getraut habe (obwohl sie hier rumliegt), nun also 2022 noch „Dark Glasses“, die (wieder einmal) viel beraunte Rückkehr des Altmeisters, der an den 80 Jahren kratzte.
Wieder mal ist ein Killer unterwegs der Frauen blutigst stranguliert, wieder steht eine Frau im Zentrum der Aufmerksamkeit, wieder muss sie durch die Hölle gehen, um das Filmende zu „sehen“. Was mit einem Augenzwinkern zu lesen ist, denn Diana (Ilenia Pastorelli) ist eine Prostituierte, die ins Visier des Killers gerät, von ihm verfolgt wird und in Todesangst einen Unfall baut, der zwei weiteren Personen das Leben kostet und sie aufgrund einer wie üblich etwas seltsamen Diagnose, das Augenlicht.
Folglich muss sie nicht nur mit Stock und Blindenhund zurecht kommen, sie hat auch den kleinen Sohn des toten Paars, einen kleinen chinesischen Jungen namens Chin an den Hacken, der ihre Nähe sucht. Und natürlich den Killer, der noch den Sack zu machen möchte.
So geraten die 85 Minuten Film zu einer endlosen Verfolgungsjagd und einem veritablen Abstieg in die Hölle, als Diana erst aller Bezugspersonen, dann ihres Hundes, später auch noch ihres Begleiters, einer sicheren Umgebung, ihrer Sonnenbrille und ihres Stockes beraubt wird und irgendwo in der nächtlichen Wildnis schließlich als Zentrum gewaltloser Unannehmlichkeiten blind durch einen See voller Wasserschlangen waten muss.
Besonders zimperlich ist Argento noch nie mit Frauenfiguren umgesprungen und wenn man möchte, war die Misogynie nie so durchgängig ausgeprägt wie in diesem Film. Dianas Freier sind meistens wohlbeleibte Männer, die sie freundlich als zum Inventar gehörende Bedientheke sehen, ein Sozialleben oder großartige Kontakte hat sie nicht und sogar die Polizei scheint sich mehr für Chins Verbleibem zu interessieren, als den Mörder zu fangen, wird sie doch von zwei Beamten drangsaliert, die sich nur für das Kind interessieren. Obwohl häufig in Reviews davon berichtet wird, dass sie und Chin sich entscheiden, den Mörder selbst zur Strecke zu bringen, ist im Film davon nichts zu finden. Permanente Gefahr und Todesangst bestimmen den Grundplot praktisch bis auf die letzten drei Minuten und selbst die „Rettung“, wenn man denn so will, scheint überkonstruiert zu sein und Gegenwehr ist von den beiden "Protagonisten" niemals wirklich zu erwarten.
Dazu scheint der Regisseur, der hier ein altes Schubladendrehbuch wieder aufgegriffen hat, das Interesse an seinen klassischen Filmelementen verloren zu haben. Dem Täter mangelt es an einem wirklich nachvollziehbaren Motiv, die Mordsequenzen haben ihren visuellen Punch verloren und wenn sie schon früher Figuren in seinen Filmen erkennbar dämlich verhalten haben, wird hier ein besonders üppiges Kapitel aufgeschlagen, wobei diese Sequenzen auch noch lustlos und nachlässig inszeniert wirken.
Der tödliche Abgang zweier Polizisten zur Filmmitte ist dabei so wenig nachvollziehbar geschrieben und geschnitten, dass es wie ein Schlag ins Gesicht des Zuschauers wirkt und wird nur noch von dem noch schwächer umgesetzten Finale übertroffen, das wie mit dem Hackmesser montiert, jeglichen Tempos entkleidet, wirkt.
Schlimmer aber noch ist die fehlende Tiefe und der mangelnde Zugang zu den Figuren, gerade für Diana müsste man starke Gefühle entwickeln. Aber da ist nichts, die Figur bleibt reine Oberfläche und wenn dann eine sich selbst isolierene Figur auch noch nach dem Verlust des Augenlichts offenbar in Rekordzeit (eine genaue Einschätzung der vergangenen Zeit ist übrigens nicht möglich, weil sie einfach nicht genannt wird) schafft, ihre Tage ohne Sicht zu managen, sich fortzubewegen und einen Führhund zu bekommen und einzuarbeiten, dann schreit das nach „plot device“, pure Zweckbindung.
Noch schlimmer: während sie schon so nicht zugänglich ist (in der deutschen Fassung wirkt ihr permanentes panikhaftes Gekreische ziemlich abschreckend), fehlt dem Verhältnis zu dem kleinen Chin jegliche Basis. Man versteht nicht, was er von ihr will oder warum sie ihn aufnimmt, mütterliche Gefühle gehen ihr ab (Pastorelli scheint hier auch nicht die Begabteste aller Darstellerinnen zu sein) und zwischen beiden gibt es nicht einen Funken Chemie. Manchmal scheint er nur da zu sein, um überhaupt Diana die Möglichkeit zu geben von der Stelle zu kommen, einmal wiederum bringt er sie sogar willentlich in Todesgefahr und seine Motivationen sind manchmal rätselhaft.
Mühsam muss man Diana folgen, wie sie durch die Gegend irrt, Treppenfluchten fast hinunter fällt und Dinge verliert, wobei sie nie auch nur ansatzweise „final Girl“-Fähigkeiten entwickelt, die Auslieferung der Frau an sie Umgebenden ist hiermit komplett geworden. Am Ende zieht man mit der Identität des Mörders einen Mini-Twist aus der Hose, aber der klärt auch nur Dianas Bezug zu ihm, bietet keine Basis für die ganze Mordserie, die offenbar während ihrer Rekonvaleszenz komplette ruht.
So führt das am Ende natürlich nirgendwo hin, außer in die absolute Isolation, denn bewusst gewählt bleibt ihr in der letzten Szene nur noch der Hund, ohne Ansatz einer Perspektive, denn schon während des Films kann sie auch blind nur alternativ in ihrem alten „Job“ weiterarbeiten, um Essen auf den Tisch zu bringen.
Argento begleitet sie also von einem unabhängigen Punkt (erfolgreiches Callgirl) zu demselben Punkt am Ende, nur ohne Augenlicht, Selbsterkenntnis oder einen wirklichen Reifeprozess.
Möglicherweise soll sich der (männliche) Zuschauer ja etwas dabei denken, aber generell fühlt sich Argentos Spätwerk verdächtig nach dem von Hitchcock an, der auch seinen Obsessionen zunehmend die Zügel schießen ließ, nur hatte Sir Alfred immer noch einen guten Plot in petto, während Argento desorientiert aus seiner eigenen Karriere zitiert (Elemente, Mordwerkzeuge, Methoden, Musik), ohne daraus eine neue Form zu generieren. (2,5/10)