Review

Blindlings zu alter Stärke? 


Dank dem diesjährigen Fantasy Filmfest durfte ich meinen ersten echten Argento auf der Leinwand genießen. Seine Klassiker sind hierzulande für Jubiläen und Wiederaufführungen ja noch zum Großteil verboten. „Dark Glasses“ aka „Occhiali Neri“ heißt nach zehnjähriger Regieabstinenz und echt nötiger Kreativpause die Rückkehr der Legende. Weiterhin peinlich unter seinem einstigen Niveau? Oder wirklich die Wiederkehr des Maestros? Die Wahrheit liegt leider irgendwo dazwischen. Oder immerhin, ganz nachdem aus welcher Ecke man kommt…

Handlung: am Tag der Sonnenfinsternis überfährt eine enorm attraktive Römerin und Prostituierte die Familie eines chinesischen Jungen, da sie von einem weißen Van samt aufdringlichem Killer verfolgt wird. Bei dem Unfall verliert sie auch noch ihr Augenlicht. Als der überlebende kleine Junge dann eine freundschaftliche Beziehung zu der blinden Schönheit aufbaut und sogar bei ihr unterkommt, geht die mörderische Hatz jedoch erst so richtig los…

„Dark Glasses“ ist ein süßes Altwerk. Nicht mehr, nicht weniger. Ihn als letztes Meisterwerk und Heilsbringer zu sehen ist genauso falsch wie nichtskönnende Filme von Argento aus den letzten 20 Jahren als Vergleich heranzuziehen. Darüber muss man ja grundsätzlich glücklich sein. Genauso wie endlich mal einen Argento im Kino zu sehen. Das ist schlicht und einfach erstmal richtig geil. Und wenn man dann spätestens bei den ersten Tönen des Scores Gänsehaut bekommt und schnell spürt, dass „Dark Glasses“ endlich wieder mal zumindest näher am „alten Argento“ sein könnte, dann springt mein Herz. Okay, Ilenia Pastorelli wirkt dem Blutdruck zudem nicht positiv entgegen. Aber nochmal: das sind gern genommene Luxusprobleme eines Genrenerds. Manchmal fällt das Niveau dann doch wieder heftig - ich sage nur „Wasserschlangen!“. Manche Kills könnten viel blutiger sein. Der glatte Videolook ist nie ideal. Einige Verhaltensweisen und Logiklöcher und dümmliche Dialoge sind auch nicht mit Surrealität und „Argento-Traumlogik“ zu erklären. Nicht mehr in 2022. Dafür war Narea ein Highlight, dafür kann sich der Meister hier schön selbst zitieren (Hundekill, Blindheit), dafür gibt’s eine ungewöhnliche Freundschaft und Verbundenheit. Schade bis interessant wiederum war, dass der Killer relativ schnell gezeigt wird und dass es am Ende keinen Knall oder Twist mehr gibt. Licht wie Schatten also anwesend. Wie passend. Dennoch bin ich dankbar und irgendwie happy. 

Fazit: weder ein „Tenebrae“ noch ein „Dracula“, genauso weit weg von „Suspiria“ wie von „Giallo“ - dieser Sonnenbrillenkrimi hat sympathische Stellen, extrem attraktive Damen, einen mega Score und einen coolen Hund. Aber genauso hat er unfassbar unbeholfene Momente, die ungeniert zu Fremdscham und Kopfschütteln einladen. Dennoch: schön, dass sich Argento nochmal aufgerafft und Inspiration gefunden hat! 

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