Review

„Praise the fucking Lord.“

Ti West („The Innkeepers – Hotel des Schreckens“), US-amerikanischer Regisseur mit einem Faible für Retro-Horror, meldete sich im Jahre 2022 mit dem schlicht „X“ betitelten 1970er-Rollback-Backwood-Slasher auf der Kinoleinwand zurück. Obwohl in Texas, USA, spielend, wurde „X“ in Neuseeland gedreht.

„Must be one goddamn fucked up horror picture!”

Im Sommer 1979 machen sich die ambitionierte Nachwuchs-Darstellerin Maxine Minx (Mia Goth, „Suspiria“-Neuverfilmung), ihr Lebensgefährte und Produzent Wayne (Martin Henderson, „Ring“) und die bereits seit einigen Jahren im Geschäft aktiven Darsteller(innen) Bobby-Lynne (Brittany Snow, „Hairspray“) und Jackson Hole (Kid Cudi, „Don't Look Up“) gemeinsam mit Regisseur RJ (Owen Campbell, „White Lightnin'“) und dessen assistierender Freundin Lorraine (Jenna Ortega, „Scream 5“) auf den Weg von Houston zu einer abgelegenen texanischen Farm, um dort den Pornofilm „The Farmer’s Daughters“ zu drehen. Das Grundstück des greisen Ehepaars Howard (Stephen Ure, „Deathgasm“) und Pearl (ebenfalls Mia Goth) soll die passenden Kulissen liefern, ohne dass die Besitzer wüssten, was sie erwartet. Howard hat bereits wieder vergessen, dass er (eigentlich nur einen) Mieter für seine Farmhütte erwartet, und begrüßt das Filmteam wenig einladend mit vorgehaltener Schrotflinte. Dennoch wird man sich einig und beginnen rasch die Dreharbeiten, die heimlich von Pearl fasziniert beobachtet werden. Schmerzhaft wird ihr bewusst, dass ihre Libido nach wie vor aktiv ist, Howard sie aufgrund akuter Herzinfarktgefahr aber nicht mehr befriedigen kann. Eben auf diese Pearl Rücksicht zu nehmen bat Howard das Filmteam, während über seine Mattscheibe unentwegt ein TV-Prediger flimmert, der vor den Sünden der Welt warnt. Im ans Grundstück grenzenden See lauert ein Alligator auf Beute, Pearl wird immer rolliger, Howard immer frustrierter – und kurz, nachdem sich Teile der Crew untereinander zerstritten haben, treiben unerfüllte Obsessionen mörderische Blüten…

Ti Wests „X“ spielt nicht nur in den 1970ern, man legte auch Wert darauf, ihn aussehen zu lassen, als sei er in jener Zeit entstanden. Das Bild ist herrlich grobkörnig und wirkt analog, gar noch grober sind die in den Film integrierten Aufnahmen des Pornoteams. Insbesondere der Auftakt des als Rückblende innerhalb einer Polizei-vor-Ort-Klammer konzipierten Films geht als Hommage an „The Texas Chainsaw Massacre“ durch, doch finden sich auch weitere Reminiszenzen an Genreklassiker. West verbeugt sich vor dem Horrorkino eines Jahrzehnts und adaptiert dabei auch dessen heutigen Sehgewohnheiten eines jungen Publikums nicht unbedingt entsprechendes Erzähltempo. Die gewonnene Zeit füllen West & Co. mit der Etablierung einer diffus bedrohlichen Stimmung, der Charakterisierung der Figuren und, klar: Nackt- und Sexszenen. So wird eine flirrende Spannung erzeugt, die einhergeht mit lustvoller Zurückhaltung wie im guten alten Kino oder eben beim Sex. Die Dialoge stecken voller zitierwürdiger Einzeiler – nicht nur, wenn sie Einblicke in damals verbreitetere Auffassungen von Sexualität, Partnerschaft und Pornographie bieten (Stichwort Sex positivity – aber auch daraus resultierende Konflikte).

Bei aller bewusster Rückwärtsgewandtheit des Films ist das Sujet der sexuellen Zurückweisung einer alten Frau doch recht originell, zumal Mia Goth ihre Doppelrolle fulminant meistert – ob als junges Pornosternchen mit einzigartiger Gesichtspigmentierung oder als von der hervorragenden Maskenarbeit bis zur Unkenntlichkeit geschminkte und kostümierte Greisin. Das Final Girl bricht dann auch mit bestimmten Genrekonventionen und der Epilog hat noch eine nette Überraschung parat. In exploitativer Manier nutzt West Alter als Ekelfaktor und lässt es in den Gewaltspitzen auch schon mal deftig splattern, greift aber das Tabuthema „Sex im Alter“ zwischenzeitlich auch auf würdevolle Weise auf. Die zeitgenössische Musik korrespondiert perfekt mit den Bildern, die einem nicht zuletzt mit ihren starken Kontrasten aus Liebe und Hass, Jugend und Alter, Erotik und Ekel nicht so leicht aus dem Kopf gehen. Das Prequel „Pearl“ ist bereits abgedreht und West möchte eine Trilogie aus dem Stoff machen. Nur zu!

Details
Ähnliche Filme