„Du bist vielleicht Freds Sohn, aber keiner von uns!“
Mit seiner 24. Episode endete Charly Hübners „Polizeiruf 110”-Ära als Rostocker Kommissar Alexander Bukow an der Seite Katrin Königs (Anneke Kim Sarnaus). Der Titel „Keiner von uns“ ist angelehnt an Hübners und Sarnaus ersten „Polizeiruf 110: Einer von uns“ aus dem Jahre 2010. Der im Herbst und Winter 2020 von Regisseur Eoin Moore gedrehte Fall ist Moores zwölfter Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe, von denen die meisten aufs Team Bukow/König entfallen. Das Drehbuch verfasste Moore zusammen mit Anika Wangard.
„Entschuldigung, sind Sie alkoholisiert?“
Ausgerechnet als Bukow nach dem Tod seines kriminellen Vaters komplett mit seiner Halbwelt-Vergangenheit abschließen und mit Kollegin König ein neues Leben in trauter Zweisamkeit beginnen will, wird der Clubbesitzer Andrej „Tito“ Titolew (Alexandru Cirneala, „Operation Zucker“) getötet aufgefunden. Zunächst sieht es nach Raubmord aus, denn die gesamte Abendkasse des Konzerts mit Jo Mennecke (Bela B. Felsenheimer, „Richy Guitar“) fehlt. Der Musiker ist daher zunächst der Hauptverdächtige, und tatsächlich gab es einen nonverbalen Disput zwischen ihm und Tito, doch die Autopsie ergibt, dass Tito erst zu einem späteren Zeitpunkt seine tödlichen Verletzungen erlitten hat. Die Spur führt bald ins Milieu, denn der Serbe Zoran Subocek (Aleksandar Jovanovic, „Der Kroatien-Krimi“) wurde just aus der Haft entlassen, ist zurück in Rostock und möchte in die Fußstapfen Bukow Seniors treten – wie auch der Rechtsextremist Marlon „Der Falke“ Lemke (Oskar Bökelmann, „Petting statt Pershing“). Bukow und König geraten zwischen die Fronten beider Männer, Bukow wird zudem von Subocek mit Beweismaterial bezüglich zurückliegender Beweismittelfälschungen erpresst. Bukow stehen schwere Entscheidungen bevor…
„…weil du im Grunde deines Herzens ein Verbrecher bist!“
Hübners bzw. Bukows Abschied ist ebenso emotional wie spannend und macht Tabula rasa, angefangen bei Bukows und Königs Plänen, für die Polizei Interessantes aus dem Besitz Bukows Vaters der Polizei zu übergeben und den Vorgesetzten eigene Verfehlungen zu gestehen. Doch da platzt Subocek wie ein alter Geist aus der Vergangenheit herein und stellt alles auf den Kopf. Man belauert sich, heckt Pläne aus, stellt Fallen – und doch kommt stets alles anders als gedacht, und zwar für alle Parteien. Bukows und Königs junges Beziehungsglück droht in der Gemengelage aus aktuellen Bedrohungen und einen einholender Vergangenheit gnadenlos zerrieben zu werden. Die Luft ist dick und wird von manch Pistolenkugel zerrissen, dazu wabert beständig angemessen unheilvolle Hintergrundmusik. Selbst Rostocks bunte Einkaufsmeilen wirken hier grau, doch wann immer es allzu schwer und düster zu werden droht, werden Figuren am Rande zur Karikatur präsentiert. Und dieses „am Rande“ sorgt für eine beunruhigende Unberechenbarkeit.
Was das horizontale, also über mehrere Episoden hinweg erzählte Narrativ an losen Enden bot, wird hier aufgelöst. Stallgeruch, den man nie loswird, Loyalität, die eingefordert wird und zur Disposition steht, die Grenzen von Recht und Unrecht, von Wahrheit und Lüge, der schmale Grat zwischen Gesetzeshüter und Verbrecher, zwischen Courage und Selbstjustiz – all dies wird aufgeworfen, verhandelt, ausgelotet und eskaliert in einem Showdown, an dessen Ende einige Fragen ein für allemal geklärt sind, aber andere aufgeworfen werden und beantwortet werden müssen. Bela B. als Jo Mennecke ist lediglich ein zwar gern angenommenes und die Ereignisse etwas auflockerndes, sich letztlich aber klar unters von Zweifeln geplagtes Bukow/König-Drama unterordnendes Gimmick.
Diese Mischung aus Krimi, Polizei-Thriller und fatalistischem Liebesfilm dürfte Freunde der Rostocker „Polizeirufe“ nicht kaltlassen, andere werden hingegen eventuell Probleme haben, sich in die Gefühlswelt der Figuren hineinzufühlen oder der Handlung zu folgen. Hübner dominiert seinen letzten Fall, bevor seine Ehefrau zukünftig Sarnau für weitere Rostocker Episoden zur Seite gestellt wird. Danke, Charly, für eine der gelungensten zeitgenössischen deutschen Fernsehkrimireihen – und den Macher(inne)n hinter ihr wünsche ich weiterhin ein gutes Händchen bei der Wahl der Geschichten, ihrer Regisseure und ihren Besetzungen.