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In den USA ist der Horror-Streamingservice Shudder mittlerweile zu einem verlässlichen Produzenten von entsprechender Genreware geworden, doch viele seiner Filme schaffen den Sprung nach Deutschland nur sehr spät – etwa „What Josiah Saw“, der hierzulande rund drei Jahre nach dem US-Release erscheint.
Im Mittelpunkt steht die Familie Graham, der eine Farm im ländlichen Amerika gehört. Auf dem Gelände vermutet eine Firma Öl und will es daher kaufen, weshalb alle Eigentümer angeschrieben werden. Der Sheriff Dowd (Richard L. Olsen) warnt die potentiellen Käufer jedoch vor, dass dort einiges im Argen liegt. Die Ehefrau von Josiah Graham (Robert Patrick) beging unter mysteriösen Umständen Selbstmord, seitdem geht der Rest der Familie getrennte Wege. Früh ahnt man schon, dass der Tod der mütterliche Frauenfigur zentral für die Handlung sein wird, da ihr Grab unter einem Baum vorm Haus entsprechend inszeniert und angeleuchtet wird. Doch bevor die Handlungsstränge zusammenlaufen und sich die Geschichten entwirren, folgt man den drei erwachsenen Kindern der Familie in einzelnen Episoden.
Thomas (Scott Haze) ist auf der Farm verblieben und steht unser Josiahs Knute, was die Lebensgestaltung angeht. Eli (Nick Stahl) ist vorbestraft und steht bei üblen Leuten in der Kreide. Mary (Kelli Garner) ist mit Ross Millner (Tony Hale) verheiratet, doch die Ehe ist keine einfache, wie man merkt, als die beiden ein Kind adoptieren wollen…

Bezeichnet man „What Josiah Saw“ als Horrorfilm, dann weckt man vielleicht falsche Erwartungen. Denn ob überhaupt Übernatürliches darin vorkommt, das bleibt der Interpretation des Zuschauers überlassen. Es wird kaum mit Schockeffekten gearbeitet und die wenigen Gewaltszenen könnten in der Form auch in einem Drama oder einem Thriller stattfinden – beides Genres, die sich ebenso in „What Josiah Saw“ finden. Der von Vincent Grashaw inszenierte Film setzt weniger auf Phantastisches oder Grausamkeiten – hier geht es in erster Linie um die Geister der Vergangenheit und fast schlimmer als die physischen Gewalttaten (von denen es auch die eine oder andere gibt) scheinen die seelischen Grausamkeiten zu sein, die erlitten oder ausgeübt werden. Ein Southern-Gothic-Familiendrama, das nach und nach die komplizierte Geschichte der Grahams aufrollt und in drei Episoden immer mehr Infos preisgibt.
Die erste davon („The Ghost of Willow Road“) folgt Thomas und Josiah. Der Jüngere ist ein gutherziger Simpel, der jedoch unter der Fuchtel seines Vaters steht. Dieser ist die bestimmende Kraft in Thomas‘ Leben, trinkt ständig und erzieht seinen längst erwachsenen Sohn immer noch mit harter Hand. In einer der unangenehmsten Szenen des Films zwingt er Thomas vor ihm zu masturbieren, nachdem er Pornohefte unter dessen Bett findet. Doch so ganz sauber scheinen beide nicht zu ticken, weder der Sohn, der glaubt, dass der Geist seiner toten Mutter auf Farm herumspukt, noch der Vater, der nach einer nächtlichen Eingebung sein Leben ändern will und vom Atheisten zum Gläubigen mutiert.
Episode zwei („Eli and the Gypsies“) folgt dem älteren Bruder Eli, dem es kaum besser geht. Weil er Sex mit einer 16-Jährigen hatte, die für älter hielt, hat er eine Vorstrafe wegen eines Sexualdelikts, die Polizei hat ihn auf dem Kieker und das Behalten eines Jobs ist dadurch ebenfalls nicht leicht. Unter den Rednecks gilt er noch als der Pretty Boy, weshalb er auch mal für Drogen mit einer Trailer-Tussi in die Kiste steigt. Außerdem ist er bei Boone (Jake Weber) hoch verschuldet. War der vorige Storypart eher ein Psycho- und Familiendrama, so ist Elis Geschichte eher ein Crime-Thriller. Er soll Boones Handlangern dabei helfen einen Roma-Clan um deren Goldschatz zu bringen, im Gegenzug sollen sowohl seine Schulden als auch seine Vorstrafen getilgt werden. Es ist die Geschichte eines Coups aus Verzweiflung, bei dem natürlich nicht alles nach Plan läuft, mit blutigen Konsequenzen. Ein Besuch bei einer Wahrsagerin sowie möglicherweise rauschmittelinduzierte, möglicherweise übernatürliche Visionen sorgen für einen Schuss Phantastik, doch insgesamt ist dieses stimmungsvolles Crime-Kino, das auch erklärt, warum das Geld der Ölfirma vor allem für Eli ein Glücksgriff wäre.

Episode drei („Mary May I“) wiederum folgt Mary, die es im Gegensatz zu ihren Brüdern zumindest räumlich fortgeschafft hat. Sie führt eine Mittelklasse-Ehe, bei der jedoch auch einiges im Argen liegt. Sie reagiert schroff auf ihren Mann oder neue Freunde, ein Adoptionsverfahren bringt vergangene Eheprobleme zur Sprache, während Marys Verhalten klar macht, dass auch sie von den Ereignissen der Vergangenheit in die Gegenwart verfolgt wird. Allzu lange hält sich die dritte Episode allerdings nicht mit diesem Psychogramm auf, sondern führt stattdessen alle Handlungsstränge zum bitteren Ende zusammen. Dieses bietet ein paar Schauwerte, vor allem aber zwei, drei Wendungen, welche die vorigen Ereignisse nicht nur klarer machen, sondern teilweise in neuem Licht erscheinen lassen. Gleichzeitig bevormundet „What Josiah Saw“ sein Publikum nicht, sondern lässt mehrere Interpretationen auf Basis der Fakten zu – wem man was glaubt, bei jedem selbst überlassen. Klar ist nur, dass das Ende konsequent düster zum Rest des Films passt, denn auf Erlösung darf man in der gottverlassenen Gegend, in welcher Grashaws Film spielt, nicht zu hoffen. Man kann vielleicht kritisieren, dass der zwei Stunden lange Film vielleicht ein bisschen viel Planting für seinen Pay-Off betreibt, aber das Finale verfehlt seine Wirkung nicht. Unter anderem deshalb, weil es eben so konsequent ist.
Zu einem nicht unerheblichen Grad lebt „What Josiah Saw“ auch von seiner Besetzung, die den figurenzentrierten Film zu tragen weiß. Famos ist Robert Patrick als alternder, leicht durchgedrehter Patriarch. Er spielt den titelgebenden Josiah als einen Mann, bei dem man immer auf der Hut sein muss, bei dem die nächste Aggression, die nächste Beleidigung nie weit entfernt ist. Doch auch die drei Darsteller der Graham-Nachkommen brauchen sich nicht zu verstecken: Nick Stahl als Überlebenskünstler, der gleichzeitig abgeranzt und Objekt von Begierden ist, Scott Haze als Simpel auf der Suche nach Anerkennung und Kelli Garner als Ehefrau, unter deren Oberfläche es brodelt. Da setzen nur ein paar Nebendarsteller kleine Akzente, etwa Tony Hale in einer ungewohnt ernsten Rolle, Jake Weber als knurriger Gangsterboss oder Dana Mameroda als Roma-Tänzerin.

„What Josiah Saw“ ist ein wirklich atmosphärischer Southern-Gothic-Slowburner, die meiste Zeit eher düsteres Familiendrama, im Mittelteil ein Crime-Thriller und nur andeutungs- bzw. phasenweise ein Horrorfilm. Ein hintergründiges, nachhaltiges Schauerstück über die Geister der Vergangenheit, das sich bisweilen etwas zu viel Zeit lässt und vielleicht etwas zu sehr auf sein Finale hinarbeitet, aber ein gelungener, ungewöhnlicher Vertreter seiner Zunft ist er schon.

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