Im Garten Gethsemane betet ein Mann inbrünstig zu Gott. Er ist sichtlich verängstigt, weil er das Kommende unausweichlich vor ihm sieht. Es ist Jesus von Nazareth. Verraten von seinem Jünger Judas Iskariot, wird er von den Pharisäern festgenommen, öffentlich gedemütigt und Pontius Pilatus vorgeführt. Nach unmenschlicher Bestrafung muß er schließlich selbst sein Kreuz nach Golgatha tragen...
Mel Gibson ist extrem. Schon bei „Braveheart“ ließ er dem Publikum nichts an Grausamkeit, Gewalt und Pathos erspart. Mit „Die Passion Christi“ kommt nun sein ehrgeizigstes Projekt ins Kino, sozusagen seine Lebensaufgabe. Jahrelang rankten sich die Gerüchte um den Film, der, teilweise auf Latein, teilweise auf Aramäisch gedreht, ursprünglich ohne Untertitel im Kino anlaufen sollte. Nun hat er schließlich doch welche bekommen. Das scheint jedoch der einzige Kompromiß gewesen zu sein, den Gibson einzugehen bereit war.
Es geht um die letzten zwölf Stunden im Leben von Jesus Christus, wobei das Hauptaugenmerk eindeutig auf die Bestrafung und die Kreuzigung gelegt wurde. In unendlich grausamer Detailversessenheit zeigt Mel Gibson dem Publikum, wie Jesus unter dem Unverständnis und dem Haß der Menschen gegeißelt und hingerichtet wird. Dabei hat er sich sehr eng an die Bibel gehalten, mit der Ausnahme, daß dort die Folter und Qualen nicht punktgenau seziert werden. Natürlich ist es klar, daß die Kreuzigung eine der schlimmsten Arten war, hingerichtet zu werden. Ob dem Zuschauer deswegen wirklich jedes noch so genaue Detail dieser Prozedur vor die Augen geführt werden muß, ist ohne Zweifel fraglich, bei genauerer Betrachtung jedoch durchaus nachvollziehbar. Die Aussage, daß Gott selbst zu denen kommt, die am entferntesten von ihm sind, um ihnen beizustehen, bekommt so eine extreme Unmittelbarkeit. Und das Kreuz war damals der von Gott am weitesten entfernte Punkt, nur die schlimmsten Verbrecher wurden dort hingerichtet.
Zudem wird der Erlösungsprozeß, der einen Kernpunkt des christlichen Glaubens bildet, durch die realistische Darstellung der Grausamkeiten viel besser nachvollziehbar; Jesus leidet nicht zum Selbstzweck, sondern überwindet letztendlich den Tod.
Das wichtigste Verdienst des Film ist jedoch, daß er wie kein zweiter an die Leiden Jesu appelliert, die den Grundstock des christlichen Glaubens bilden. Mit den Jahren ist dieser immer mehr zu einer Art Symbolismus geworden; Kreuze werden als Modeschmuck getragen, von Leuten, die gar nichts mit der Kirche zu tun hatten. Nach dem Film werden sich allerdings viele Leute der ursprünglichen Bedeutung dieses Zeichens mehr oder weniger schmerzhaft erinnern. Jesus ist nicht glücklich am Kreuz gestorben, sondern langsam und qualvoll.
Zu den negativen Aspekten von Gibsons Film gehört auf jeden Fall die Tatsache, daß die Wunder, welche Jesus vollbracht hat, zwar kurz angedeutet werden, jedoch entgegen dem Sumpf aus Blut und Eingeweiden einen erschreckend geringen Stellenwert haben.
Durch diese Tatsache gelingt es Mel Gibson nur bedingt, die Person Jesus den Menschen näher zu bringen. Man muß die Bibel schon kennen und bereits ein Bild von diesem haben, um den Film in seiner Grausamkeit zu verstehen.
Wirklich eindringlich und berührend sind dagegen jene Szenen, in denen Jesus, von der endlosen Folter völlig entstellt, zu Gott betet und um Vergebung für seine Feinde bittet. Das sind die Momente, in denen man als Zuschauer wirklich erschaudert vor der unumstößlichen Nächstenliebe.
Antisemitisch ist der Film nicht. Natürlich verlangen die Pharisäer den Tod von Jesus, aber so steht es in der Bibel. Die Römer unter Pilatus selbst kommen auf keinen Fall besser weg; sie sind es, die Jesus bis aufs Blut quälen und ihn schließlich nach Golgatha schleifen, wo sie ihn kreuzigen. Auch das Bild, das von Pontius Pilatus selbst gezeichnet wird, stimmt mit dem überein, welches man in der Bibel findet. Er selbst ist ein gnadenloser Populist, der im Endeffekt nur um sein eigenes Wohl besorgt ist und den Pharisäern aus Angst vor Aufständen
Jesus ausliefert.
Die typischen Hollywood – Klischees bedient Mel Gibson glücklicherweise nur vereinzelt. So ist zum Beispiel die ständige physische Präsenz des Teufels ein Merkmal, das eher in einen Horrorfilm gehört und in der ansonsten vorlagengetreuen Verfilmung ein wenig deplaziert wirkt. Zwar sind gerade diese Szenen sehr spannend gemacht, haben aber in der Geschichte eigentlich nichts verloren. Daß Jesus selbst zudem als Erfinder des modernen Esstisches dargestellt wird, ist für meinen Geschmack auch ein wenig zu viel Freiheit.
Ansonsten bleibt Gibson der Bibel treu und verzichtet auf allzu große eigene Ideen.
Doch was bleibt unter dem Strich eigentlich übrig? Wie die Diskussion um den Stoff gezeigt hat, spaltet „Die Passion Christi“ sowohl Kritiker, als auch Zuschauer. Das Thema geht wohl jeden etwas an, über die Umsetzung kann man sich hingegen streiten. Meiner Meinung nach ist diese Bibel – Verfilmung jedoch durchaus geglückt. Nach dem Anschauen fühlt man sich als Zuschauer selbst ein bisschen geläutert, da einem wirklich alles abverlangt wird. Die Bilder bleiben unausweichlich im Gedächtnis. Gleichzeitig gelingt es Mel Gibson jedoch, die zentralen Punkte der Bibel überzeugend darzustellen und dem Zuschauer zu vermitteln. Dieser Punkt und das unglaubliche Engagement, was hinter dem Film steht, machen „Die Passion Christi“ für mich zu einem modernen Klassiker, der sicherlich eine Menge Zündstoff bietet, jedoch zutiefst berührt.
10/10 Punkte