Verlässt man nach Besuch des Films „Die Passion Christ“ den Kinosaal, überkommen einen als erstes Unbehaglichkeit und Ärger.
Unbehagen über einen mindestens einstündig dargebotenen, wirklich schon morbiden Sadismus, auf welchen ich auch trotz der im Vorfeld erheblich aufgefächerten Kontroversen zum Film in dieser Form offengestanden nicht vorbereitet war.
Ärger in der Hinsicht, dass man als Zuschauer dem konservativen Erzkatholiken Mel Gibson die Gelegenheit gegeben hat, sich mit seinen ordinär- abstoßenden Phantasien, wie er sich das Ende des Jesus von Nazareth in seinem persönlichen Bibelglauben ausmalt - dank der investierten 25 Millionen $ dazu ausgesprochen wirkungsvoll - traktieren zu lassen.
Nichts wäre nämlich besser, als solche Ergüsse schlichtweg zu ignorieren.
Dabei hätte der Gesamteindruck vielleicht sich als ein ganz anderer erweisen können, hätte Gibson in einem gigantischen Epos das gesamte Leben Jesu abgehandelt.
Dem ist aber nicht so. Vielmehr wird der Rahmen grob eingeschränkt und auf den Leidensweg Jesu bis zum Kreuztod zugeschnitten. Selbstverständlich ist richtig, dass in den vier Evangelien die Passionsgeschichte, d.h. der Bericht von Verurteilung, Kreuzigung und Auferstehung Jesu das Kernstück bilden.
Ich hatte dabei aber im mindesten erwartet, dass der Film mit dem Abendmahl beginnt, wobei durch die Ankündigung des Verrats und der Verleugnung des Petrus dem weniger bibelfesten Zuschauer ein sinnhafter Aufschluss über den weiteren Fortgang der Handlung gegeben worden wäre.
Das in den Augen Gibsons als scheinbar von untergeordneter Bedeutung anzusehende Abendmahl wird aber nur in einer sehr kurzen Rückblende gewürdigt.
Der Film setzt am Passahfest im Garten Gethsemane ein, wo Jesus - von Zweifeln geplagt – vom personifizierten Satan ein letztes mal versucht wird. Es folgen Verrat und Gefangennahme Jesu durch die Knechte der Hohepriester, die Apostel ziehen sich zurück, Jesus muß sich vor dem „Hohen Rat“ der jüdisch-sadduzäischen Ältesten und Schriftgelehrten rechtfertigen, der ihn darauf dem römischen Präfekt der Provinz Judäa, Pontius Pilatus vorführt.
Der Insurgent aus Nazareth hatte den Tempel- und Opferkult – Kernstück der sadduzäischen Glaubenspraxis – in Frage gestellt und war der jüdischen Priesterschaft ein Dorn im Auge.
Der Film geht weiter von der Geißelung Jesu, über den Weg nach Golgotha, bis hin zu Kreuzigung und Tod und endet mit der Auferstehung Jesu.
Dazwischen werden episodenhaft Rückblicke eingeschoben, welche die „Bergpredigt“, „Jesus und die Ehrbrecherin“ aus dem Johannes-Evangelium und eben das letzte Abendmahl einschließen.
Während des Films konnte ich mich stellenweise des Eindrucks der sogenannten „Gewaltpornographie“ nicht erwehren. Charakteristisch erschien mir hierbei, dass offenbar Handlung – der Film beginnt ja praktisch erst mit der Gefangennahme im Garten Gethsemane – eine Alibifunktion hat, um explizite Geißelungs- und Hinrichtungsszenarien mit auffallend großzügigem Einsatz von Nahaufnahme und Zeitlupe inhaltlich zu rahmen, immer wieder unterbrochen von Einstellungen der heulenden Mutter Maria, sowie Maria Magdalena.
Nach dem ersten (negativen) Eindruck der „Passion Christi“ sollte man sich aber die Zeit zur kritischen Reflexion nehmen.
Zweierlei ist an diesem Film und seiner Veröffentlichung in Deutschland besonders aufschlussreich. Erstens bewahrheitet sich daran einmal wieder, dass ein Film mit einflussreicher (sprich : finanzstarker) Lobby es filmwirtschaftlich ziemlich leicht im ansonsten unüberschaubaren Verbots- und Zensurdickicht Deutschlands hat.
Die FSK-Freigabe dieses Hollywood-Streifens ab 16 Jahren - in seiner unzensierten Form wohlgemerkt – überrascht daher nur auf den ersten Blick. Pointiert formuliert, erweist sich letztendlich bei der Bewertung eines Streifens wie so oft nicht das Produkt, sondern sein Macher als ausschlaggebend.
Für „Hollywood-Blockbuster“ gelten eben grundlegend andere Regeln, als für Produktionen vom Schlage eines „Hardboiled“ von John Woo, deren massive Kürzung die FSK dem Verleiher im Vorfeld der Veröffentlichung eindringlich „empfohlen“ hatte.
Womit wir bei der doppelbödigen Moral der FSK-Gutmenschen und Konsorten wären, die ich zu diesem Anlass auch noch würdigen möchte.
Gehen wir noch einen Schritt weiter und sprechen nicht mehr von Jugendverbot und Zensur, sondern von Beschlagnahmung.
Lassen wir einen unserer Moralathleten exemplarisch zu Wort kommen.
Sein Fazit zum Beschlagnahmungsantrag eines bestimmten Films :
„Dabei wird die Zufügung von Schmerzen und Qualen sowie die Verletzung und Verstümmelung menschlicher Körper minutiös und in vielfältiger Weise geschildert.
Zur Verstärkung des erstrebten Horroreffekts werden zudem einzelne Gewaltanwendungen in Großaufnahme und in Zeitlupe gezeigt. Die somit gegebene Schilderung grausamer Gewalttätigkeiten gegen Menschen drückt zum einen eine Verharmlosung dieser Gewalttätigkeiten aus. Die Filmsequenzen zwischen den einzelnen Gewalt- und Tötungsdarstellungen verbinden diese notdürftig durch eine völlig nebensächliche, keinen weiteren Inhalt vermittelnde Rahmenhandlung.“
Noch relativ frisch im Eindruck des Kinobesuches glaube ich doch, dass rein objektiv diese Charakterisierung vollends auf Gibsons filmische Version der „Passion Christi“ zutrifft.
Obiges Fazit ist aber auf „Freitag der 13. – Das letzte Kapitel“ (in bereits erheblich gebeutelter Form übrigens) gemünzt, wobei der Film auch gemäß § 131 StGB beschlagnahmt worden ist.
Es wäre töricht, diese beiden grundverschiedenen Filme vergleichen oder gar auf eine Stufe setzen zu wollen, nur stellen sich mir dabei unwillkürlich Fragen, wie :
Was ist eigentlich Jugendschutz und wann hat er einzusetzen? Dann : Wie ist „Gewaltglorifizierung“ genau zu definieren und abzugrenzen? Was rechtfertigt Zensur und was rechtfertigt letztlich das gerichtliche Verbot eines Films?
Desweiteren sehe ich meinen Eindruck bestätigt, dass sich in der FSK ausgesprochen viele Kirchenvertreter tummeln müssen. In Anbetracht des religiösen Stoffes kam man wohl nicht umhin hinsichtlich Gewaltdarstellung mal beide Augen zuzudrücken!?
Zum Antisemitismusvorwurf :
Über die jüdische Lobby in den USA bin ich nicht ausreichend orientiert, habe aber beiläufig gelesen, dass eine „Anti Defamation League“ (ADL), eine dortig einflussreiche jüdische Organisation, durch eine Hetzkampagne erheblichen Druck auf Regisseur Mel Gibson ausgeübt haben soll und – da es sich offenbar „defamied“ fühlte - sogar eine Änderung an der Endfassung des Films bewirken konnte.
Hierzulande hat wieder einer seinen Schnabel aufgerissen, dem es zur Abwechslung ausgesprochen gut täte, selbigen mal zu halten : Michel Friedman wirft Mel Gibson offenen Antisemitismus vor, sein Film würde antisemitische Ressentiments bedienen, antisemitische Tendenzen fördern usw. usw.
Gibson beruft sich dagegen auf „Authenzität“ und in diesem Punkt ist ihm recht zu geben, er hält sich streng an die biblische Vorlage der vier Evangelien, zwischen deren teilweise voneinander abweichenden Inhalten er freigiebig wählt.
Wenn Exponenten des Judentums fordern, es dürfe in diesem mediengewaltigen Spektakel nicht zum Ausdruck kommen, dass die Juden für den Tod Jesu verantwortlich seien, so beziehen sich diese Vorbehalte aber nicht auf Gibson, sondern auf das NT an sich, unabhängig davon, ob man die Schrift als geschichtlich oder ungeschichtlich beurteilt.
Tatsächlich gelang es dem ADL eine Vor-Zensur des Films durchzusetzen. Nachdem Präfekt Pontius Pilatus sich die Hände in „Unschuld gewaschen hat“ und damit das emsig geforderte Ende Jesu besiegelt und es gleichzeitig außerhalb seine Verantwortung stellt, verkündet er (nach : Mätthaus Kap. 27 / 24f.) :
Pilatus : „Ich bin unschuldig an seinem Blut; sehet ihr zu!“
Die Erwiderung der Juden :
„Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“
durfte auf Drängen des ADL nicht aus dem Hebräischen übersetzt untertitelt werden, was man als wissender Zuschauer im Vorführsaal, warum merkwürdigerweise hier plötzlich die Übersetzung „ausfällt“ schmunzelnd zur Kenntnis nimmt.
Nach der gesamten Kritik will ich aber auch einige positive Aspekte des Films hervorheben.
Die Idee, dass Judas sich im Bewusstsein seiner Schuld bis in Wahnvorstellungen hineinsteigert, ist nicht schlecht und auch gelungen umgesetzt worden.
Auch daß in den damalig in der Provinz Galiläa landesüblichen Sprachen Hebräisch, bzw. Aramäisch und Latein gesprochen wird, kommt dem Film m.E. zugute.
Ferner die zurückhaltende, aber auch sehr subtile Darstellung des Satans (Rosalinde Celentano) ist zu nennen.
Zwar kommt dieser im Bericht der vier Evangelien zu dem Zeitpunkt im Leben Jesu nirgends vor, aber Katholik Gibson kam offenbar nicht umhin, auch den ewigen göttlichen Antipoden einzubauen.
Dann muss zugunsten des Films noch angemerkt werden, dass die „Passion Christi“ auch in der langen Tradition der christlichen Kunst seit jeher einen herausragenden Stellenwert innehat.
Seit dem 12. Jahrhundert in der byzantinischen Kunst war es dann insbesondere in Malerei, Skulptur und Holzschnitt der Gotik Intention, den Aspekt des „Leidenden Gottesknechtes“, das „Imagio Pietatis“ darstellerisch besonders herauszustellen.
„Ecce-Homo-„ und „Pieta-Darstellungen“, Geißelungs- und Kreuzigungsszenarien bildeten dabei die entsprechenden Untergattungen.
Mit den geschundenen, skelettierten und gemarterten, nahezu grotesken Leibern am Kreuz, wie zahlreiche Plastiken des 14. und 15. Jahrhunderts sie darstellen, vermag ich – abgesehen von kunsthistorischen Interesse – ebenso wenig anzufangen, wie mit Gibsons „Werk“.
Dazu finden in vielen christlichen Ländern seit Jahrhunderten anlässlich des Osterfestes „Passionsspiele“ statt (zum Beispiel im bayrischen Oberammergau) und gehören damit – man kann davon halten, was man will - zum kulturellen Brauchtum, wobei es sich um nichts anderes als die graphische Nachstellung der Leiden und des Kreuztodes Jesu handelt.
Ich merke dies allein deswegen an, um zu veranschaulichen, dass es nicht – wie es öfters anklingt – Gibsons besonderes „Großverbrechen“ ist, so intensiv und drastisch auf den Leidensweg Christi zu fokusieren.
Fazit :
In einem Wort : „Überflüssig!“
Auf den zweiten Blick auch gar nicht ein derartig skandalträchtiger Film, als welcher er immer hochgespielt wird.
Noch :
3/10