Ich bin davon überzeugt, dass für jeden Betrachter eine unterschiedliche An- bzw Vielzahl Faktoren bei der Aufnahme und/oder Bewertung von Mel Gibsons „the Passion of the Christ“ eine Rolle spielen, speziell über den persönlichen Filmgeschmack hinaus – beispielsweise Toleranz, Voreingenommenheit, Konfession sowie die individuelle Einstellung zur Religion allgemein. Auf dem Papier katholisch, kann ich mich jedoch nicht wirklich als einen gläubigen Menschen bezeichnen, denn ich halte nahezu jede Form der Religion für ein zweischneidiges Schwert – etwa im positiven Sinne als beruhigende Art von „Opium fürs Volk“, negativ als irregeleiteter Rechtfertigungsgrund für Gewalt (vgl. Christentum vor wenigen hundert Jahren oder radikale Anhänger des Islams heute) – und so werde ich diesen Film (fast) ausschließlich unter cineastischen Gesichtspunkten kommentieren, da ich der Versuchung auch nicht nachgeben möchte, meine Ausführungen in einer theologischen Grundsatzdiskussion münden zu lassen.
Der Titel sagt eigentlich alles über den Inhalt aus, wobei man allerdings die in der lateinischen Sprache verwurzelten Ursprünge des Begriffes „Passion“ heranziehen muss, welche sich auf Leid und Schmerz beziehen, statt der später alterierten (gängigeren) Ausrichtung auf den Bereich Liebe, Zuneigung und Romantik, welche wiederum im Christentum gen Jesus´ Liebe für die Menschen (rück-) übertragen wurde, aus der seine Bereitschaft resultierte, für „uns“ zu sterben. Das im Hinterkopf, bekommt man die letzten 12 Stunden im Leben des Nazarethers geboten – mit Hauptaugenmerk auf die entscheidenden Stationen des Kreuzgangs…
Der Film eröffnet im Garten Gethsemane, in welchen sich Jesus (James Caviezel) nach dem letzten Abendmahl zurückgezogen hat, um zu seinem Herrn zu beten. Während eine Personifizierung Satans ihn dabei in Versuchung zu führen gedenkt, wird er zeitgleich von seinem Jünger Judas (Luca Lionello) an die Pharisäer verraten, denen der selbsternannte „König der Juden“ schon länger ein Dorn im Auge ist. Wenig später lässt sich Jesus von den entsandten Männern widerstandslos verhaften und weist seine Begleiter an, ihre Waffen ruhen zu lassen, denn alles sei vorherbestimmt, so wie er es bereits in Form von Visionen vor Augen geführt bekommen habe. Von dort an beginnt sein Leidensweg: Unter Misshandlungen wird er in die Stadt zurückgeführt, wo ihn die Pharisäer mit ihrer Anklage der Gotteslästerung konfrontieren. Da Jesus die Schilderungen der Ältesten nicht leugnet, nur deren Auslegung, beschließt man schnell, ihn zum Tode zu verurteilen – was jedoch letztendlich nur von dem römischen Statthalter in Palästina, Pontius Pilatus (Hristo Shopov), angeordnet werden kann.
Es ist jenem im Rahmen der öffentlichen Präsentation des Falles allerdings nicht möglich, eine Schuld des „Angeklagten“ zu erkennen. Er selbst ist dabei von den aufschäumenden Emotionen der Beteiligten beider Seiten stark verwundert, denn die Determiniertheit der Pharisäer scheint unabschwächbar, während seine eigene Frau (Claudia Gerini) ihn gar darum bittet, das Leben des heiligen Mannes zu verschonen. Drohende Unruhen im Volke veranlassen ihn schließlich dazu, Jesus an König Herodes zu übergeben, welcher aber ebenfalls keine Schuld oder Bedrohung erkennen kann, worauf man ihn wiederum Pilatus zur Entscheidungsfindung überstellt. Angesichts der Situation sowie des immer stärker werdenden Druckes, verfügt er eine grausame Bestrafung in Form von Peitschenschlägen – doch als er im Anschluss den mit Wunden der Folter übersäten, aber noch lebendigen Jesus erneut den Anwesenden vorführt, ist die Menge noch immer nicht besänftigt und fordert energisch weiter den Tod am Kreuz. Nach dem Scheitern eines letzten Versuches (das Volk erhält Gelegenheit, zwischen der Freilassung von Jesus oder eines mehrfachen Mörders zu wählen), bleibt Pilatus keine andere Wahl mehr, als nachzugeben: Unter den Augen seiner Mutter (Maia Morgenstern), von Maria Magdalena (Monica Bellucci), seinen Jüngern, den römischen und pharisäischen Vertretern sowie der aufgebrachten Menschen am Wegesrand, beginnt sein letzter Gang durch die Straßen von Jerusalem bis nach Golgatha, dem auserwählten Ort der Kreuzigung…
Mit „the Passion of the Christ“ hat Mel Gibson ein Werk mit der Subtilität eines Vorschlaghammers inszeniert, inklusive dessen Intensität und Auswirkung – ein filmischer Schlag ins Gesicht, von dem kein Betrachter ungerührt bleibt. Das liegt vor allem an der schonungslosen Gewaltdarstellung, welche dem Zuschauer das Leid und den Schmerz der Titelfigur fast spürbar direkt vermitteln will – mit Erfolg, denn bereits nach wenigen Minuten beginnt eine bis zum Ende andauernde sowie sich steigernde Tortur, welche die Reichweite des „R“- bzw „FSK 16“-Ratings extrem auslotet, wobei jene Freigaben aller Wahrscheinlichkeit nach nur aufgrund der religiösen Thematik zustande kamen. Bei aller graphisch/explizit gezeigten Grausamkeit muss man jedoch differenzieren: Es geht nicht um die Gewalt an sich, sondern um den Gedanken dahinter, welcher auf diese Weise sowohl realistisch als auch wirkungsvoll vermittelt wird (Spielberg hätte den Anfang von „Saving Private Ryan“ ebenfalls problemlos unblutiger inszenieren können). Die Kreuzigung wird, genauso wie die darauf hinführende Ereigniskette, schonungslos, dreckig und blutig portraitiert – nicht beschönigt steril, wie man sie von verschiedenen Darstellungsarten (Ikonenbilder, in Kinderbüchern, als Postkarten- und Wandtellermotiv oder gar Erscheinung auf dem French Toast „auserwählter“ Individuen) her kennt, was den Film (positiv) einzigartig macht (bei „King of Kings“ (1961) musste gar die Szene mit Jesus am Kreuz neu gedreht werden, nachdem sich das Testpublikum an Schauspieler Jeffrey Hunters Brustbehaarung gestört hatte…). Erst diese gezeigte Form der Gewalt vermittelt wahrhaftig die Botschaft: Er hat seine Peiniger nicht verflucht, sondern für sie gebetet, nicht Gott um Rettung oder Erlösung von den Qualen angefleht, sondern den Tod im Sinne seines Glaubens erwartet – gerade ersterer Punkt zeichnet echten Pazifismus aus. Es ist erstaunlich, dass ein Film, der die Zuschauer bewusst weder wirklich unterhält noch intellektuell fordert, derart erfolgreich lief. Scheinbar traf dieses persönliche Statement des Regisseurs, bei dem die Gefühle über die Vernunft siegen (vgl. die unfruchtbaren diplomatischen Bemühungen von Pilatus wider den Willen der Masse), einen emotionalen Nerv.
Im Endeffekt handelt es sich „nur“ um eine Literaturverfilmung, welche die persönliche Handschrift seines Machers trägt – was sich, wie in vielen Fällen, nicht unbedingt mit den Vorstellungen oder Erwartungen einer Vielzahl der Leser deckt (vgl. „Shining“ von King/Kubrick). Die Thematik der Religion erhebt eine Produktion zudem immer auf eine andere Ebene (“the Exorcist“, “Battlefield Earth“ etc), da automatisch starke Emotionen mit im Spiel sind, doch für Gibson stellte die Umsetzung ein Herzensprojekt im Einklang mit seinem Glauben dar, weshalb er der richtige Mann für den Job war. Statt sich auf einen breiten Rahmen auf Basis der umfangreichen Vorlage auszurichten, konzentrierte er sein Hauptaugenmerk auf 12 Stunden und eine spezielle Aussage, welche er transportieren wollte: Das Leid, welches Jesus als Opfer für die Menschen auf sich nahm, obwohl gerade sie es ihm antaten – „Passion“, wie es der Titel klar vorgibt. Die Geschichte setzt er dabei als bekannt voraus, was, zumindest in einem groben Umfang, bei der Allgemeinheit ja auch zutreffen dürfte. Ihm geht es um eine Visualisierung des wohl zentralsten Elements der christlichen Religion, in dessen Verlauf nur wenige kurze Rückblenden Einblicke in den Kontext gewähren, welcher, wenn weiter ausgewälzt, nur stärker von der Kernaussage abgelenkt hätte. Zwar wird durch diese Einschränkung ein episches Gefühl mitsamt erweiterter Fallhöhe verhindert, doch Monumentalkino im Stile der „10 Gebote“ war niemals die Absicht. So ist das halt – ob man es nun akzeptiert oder nicht.
Gibson besitzt meinen uneingeschränkten Respekt für die Herangehensweise an dieses Projekt, welches ihm persönlich viel bedeutet hat, denn er investierte nicht nur eigenes Kapital, sondern auf eine gewisse Weise seinen gesamten angesehenen Ruf. Wie verfilmt man eine Geschichte, die eigentlich jeder bereits kennt? In der Industrie kümmert man sich normalerweise eher zweitrangig um Kreativität in diesem Bereich – wenn also jemand auf die Idee kommt, diese Story realistisch (also brutal, wodurch ein höheres Rating zwingend wird, was sich normalerweise antiproportional zum Einspielergebnis verhält) sowie in den „toten“ Sprachen Aramäisch und Latein umzusetzen, kann man getrost von einem extremen Wagnis sprechen. Ursprünglich wollte Mel gar auf Untertitel verzichten und einzig die Macht der Bilder wirken lassen, also quasi ein Stummfilm mit Sound und Dialogen, gab allerdings zumindest in diesem Punkt nach. Abgesehen davon, erhält der Zuschauer letztendlich genau seine kraftvolle Vision und risikoreiche künstlerische Ambition geboten, welche eindrucksvoll funktioniert: Die Sprachwahl ist nicht nur ein Gimmick, sondern unterstützt das Drumherum und vermittelt so ein Gefühl der Authentizität. Zudem fühlten sich die Zuschauer nicht abgeschreckt und strömten in Scharen in die Kinos, wodurch „the Passion“ nicht nur zu einem der (wenigen) großen (geschäftlichen) Highlights des Jahres 2004 avancierte, sondern mit rund 370 Millionen Dollar Einspiel in den USA allein einen neuen Rekord für ein „R“-Rating-Release aufstellte sowie als (bislang) erfolgreichste Independentproduktion in die Geschichte einging.
Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen diesem Film und „Braveheart“, Gibsons (nach „Man without a Face“) zweiten Regiearbeit – doch während sein Portrait des schottischen Volkshelden William Wallace sich als Idealexempel eines konventionellen, Geschichte-manipulierenden Hollywood-Mainstream-Produkts herausstellte (für ein positives Gegenbeispiel: siehe „Rob Roy“), schlägt „the Passion“ eigentlich in die genau entgegengesetzte Kerbe: Vollkommen unabhängig eines großen Studios produziert, voller anti-kommerzieller Elemente (Verzicht auf eine Synchronisation etc) sowie einer risikoreichen, Zündstoff-haltigen Auslegung bzw Herangehensweise an eine Thematik, zu der eigentlich jeder eine Meinung besitzt, welche nicht selten den Pfad der Zurückhaltung oder nüchternen Diskussion verlässt. Nachdem „Braveheart“ damals wichtige historische Fakten kurzerhand plump umgeschrieben hatte, kam es in Schottland zu einigen rassistisch basierten Vorfällen, und bereits lange vor dem Start dieses Nachfolgers waren die Gemüter schon weit über jenen Stand hinaus erhitzt. Jüdische Verbände bezichtigten Gibson angesichts der Blut-gierigen Portraitierung ihrer Volksvertreter des Antisemitismus – irgendwie gefällt man sich in der Opferrolle schließlich besser als in jener der Täter (vor allem wenn es darum geht, am Tode Christi Schuld zu sein). Die ganze „Kontroverse“ wurde sogar in einer besonderen „South Park“-Episode auf die Spitze getrieben. Mit aufgesetzten Scheuklappen, fehlendem Abstraktionsvermögen sowie Mangel an Toleranz kann man sich eine ganze Menge einreden bzw -bilden, was gerade auf (streng) gläubige Menschen zutrifft. Nein, dieses Werk verbreitet nicht mehr Hass oder Feindgefühl als jeder x-beliebige „WWII“-Streifen gegenüber den Deutschen (wobei man in jenem Fall ja gar von historischen Tatsachen in bestätigter Form sprechen kann). Tatsächlich liefert jedes Evangelium eine unterschiedliche Beschreibung jener (angeblichen) Ereignisse – Gibson entschied sich nun mal für diese Auslegung, wozu er jedes Recht hatte, so wie jeder andere auch. Er ist nicht darauf aus, die Juden zu verurteilen, sondern liefert seinen Ansatz der Dinge. Oliver Stone hat „Platoon“ ja auch nicht spezifisch fürs vietnamesische Publikum konzipiert – man kann mit der Entscheidung zwar durchaus nicht einverstanden sein, was aber nichts über ihre Legitimität aussagt. Es ist ein Film für Christen – sie sind die Zielgruppe, welche die Botschaft empfängt sowie eventuell daraus eine Bestärkung erhält, zu der ich mich nicht äußern kann.
Rein vom handwerklichen Standpunkt aus betrachtet, handelt es sich hierbei um einen nahezu perfekt umgesetzten Film: Gefühle werden hervorgerufen, Atmosphäre ist vorhanden, bestimmte Szenen (abgesehen von der Gewalt) bleiben einfach in Erinnerung (wie etwa wenn Judas seine Bezahlung erhält oder sich eine androgyne Satansgestalt durch die Reihen der die Folterprozedur anfeuernden Zuschauer bewegt) und/oder sind gewichtig in ihrer Wirkung (beispielsweise der einzelne Regentropfen nach Jesus´ letztem Atemzug). John Debneys Score trifft genau die richtige Balance zwischen Zurückhaltung und bedeutungsvoller Unterstützung einzelner Szenen, die Kameraarbeit von Caleb Deschanel ist exquisit, Gibsons Regie gekonnt sowie die (vor allem Make-up-) Effekte beeindruckend realistisch. Die darstellerischen Leistungen treten angesichts der Bilder leider etwas in den Hintergrund, sind aber nichtsdestotrotz erwähnenswert: James Caviezel („Thin Red Line“), welcher ja dieselben Initialen wie seine Filmfigur besitzt, sieht so aus, wie man sich seine Rolle allgemein vorstellt, worüber hinaus er eine (nicht nur schauspielerische) Tour de Force abliefert, die eine starke emotionale Bandbreite umfasst und reale Spuren hinterlassen hat (eine lange Narbe auf seinem Rücken zeugt von einem tatsächlichen Peitschentreffer). Ferner ist auf jeden Fall noch Maia Morgenstern („Nostradamus“) als seine Mutter zu erwähnen, deren Mimik mehr als tausend Worte aussagt. Als bekanntes Gesicht ist noch Monica Bellucci („Irreversible“) zu entdecken, Regisseur Gibsons Hände sind als jene kurz zu sehen, welche Jesus die Nägel in den Körper schlagen. Insgesamt, also inklusive der Drehorte, Ausstattung und verwendeten Stilmittel, handelt es sich um eine Umsetzung auf höchstem Niveau.
Neben dem bereits erwähnten, sowohl positiv als auch negativ auslegbaren Mangel an Kontext, existieren aber noch einige weitere Punkte, welche mich konkret davon abhielten, eine (noch) höhere Schlussbewertung zu vergeben: Neben der erwarteten Symbolik (Schlange, Taube, Krähe etc) hat man diverse Verbildlichungen des Bösen eingesetzt, von denen mir Satan in menschlicher Gestalt nur bei seinem letzten Auftritt, als er schreiend nach dem Tode Christi auf die Knie fällt, missfallen hat – Zusätze wie dämonische Kinder, welche Judas beispielsweise nach seinem Verrat heimsuchen, wirken hingegen deplaziert und eher wie aus „Exorcist: the Beginning“ entsprungen. Der größte Fehltritt Gibsons ist hingegen ausgerechnet eine Rückblende, nämlich Jesus als Tischler, die unfreiwillig komisch daherkommt und den Zuschauer daher vollkommen aus der vermittelten Stimmung reißt. Natürlich ist es mir, trotz meiner persönlichen zweifelnden Zurückhaltung, nicht möglich, den großen Einfluss der literarischen Vorlage zu verkennen, weshalb man als Christ hier eigentlich keine neuen Erkenntnisse gewinnt, da der Ablauf des gezeigten Kreuzgangs jedem vertraut sein dürfte – und trotzdem ist die Art der Präsentation neu, weil zum ersten Mal realistisch dargestellt. Man könnte argumentieren, dass es sich aufgrund dieser Tatsache nur um ein „Exploitation-Picture“ in schönstem Hochglanz handelt, welches die Botschaft der Liebe förmlich in Blut ertränkt sowie den sterbenden Jesus zeigt, ohne dass wir ihn leben sehen konnten, doch meiner Meinung nach ist es in diesem Fall notwendig, die Perspektive des Regisseurs zu verstehen und zu respektieren sowie den Film danach zu beurteilen, was er erreicht – und nicht nach dem, was er (bestimmten Meinungen nach) eher hätte erreichen sollen. In meinen Augen handelt es sich hierbei (nach Scorceses „Last Temptation of Christ“) um die interessanteste und effizienteste Umsetzung (wenn auch nur eines Teils) jener Geschichte, welche, auch unabhängig der religiösen Aspekte, in einem intensiven Filmerlebnis resultiert.
Fazit: „the Passion of the Christ“, Mel Gibsons Adaption eines Auszugs des meistverkauften Buches aller Zeiten, welche selbst zum erfolgreichsten Independentfilm der Geschichte avancierte, ist ein bewegender, perfekt inszenierter Film, der eine kontroverse Thematik auf ungewöhnliche Weise aus einer spezifisch fokussierten Perspektive betrachtet … 8 von 10.