Mit Reggae, Rap und Revolver - Western unchained?
Wenn es überhaupt noch eines Belegs für das aktuelle Selbstbewusstsein des New Black Cinema bedurft hätte, dann liefert ihn die Netflix-Produktion THE HARDER THEY FALL. Das weißeste aller Genres mit einem beinahe komplett schwarzen Cast zu bevölkern, ist definitiv eine Ansage. Gut, sieht man genauer hin, dann haben andere schon kräftig vorgearbeitet. So hat Quentin Tarantino in DJANGO UNCHAINED nicht nur eine blonde und blauäugige Westernikone durch Jamie Foxx ersetzt, sondern auch gleich das heiße Rassismus-Eisen in eine launige Rachephantasie getunkt. Kino-Platzhirsch Marvel setzte dann mit dem immens erfolgreichen Superhelden-Abenteuer BLACK PANTHER ein noch weit größeres Ausrufezeichen in der längst überfälligen Neujustierung des Mainstream-Kinos. Der staubige Boden für die schwarze Western-Party war also schon bestens gefegt, bevor die ersten Schüsse knallten.
Natürlich ist eine nahezu komplett von Schwarzen bevölkerte Westernwelt historisch gesehen blanker Unfug, aber hier geht es nicht um Authentizität, sondern Autorität. Die Autorität ein solches Projekt durchzuziehen und damit Erfolg zu haben. Davon abgesehen erinnern Ton und Machart an ein von Quentin Tarantino inszeniertes John Wick-Prequel, was beidseitig kaum den Verdacht unbedingten Realitätsbezugs aufkommen lassen dürfte. Überhaupt geht es in THE HARDER THEY FALL viel um Verfremdung und Postmodernisierung.
Regisseur und Autor Jeymes Samuel ist nicht nur der ältere Bruder von Seal, er verfügt auch über ähnliche Singer-Songwriter- und Musikproduktions-Qualitäten. Für den Score von THE HARDER THEY FALL tat er sich mit Rapper-Titan Jay-Z zusammen, um unter anderem gemeinsam im historischen Reggae- und Highlife-Revier zu wildern. Dieser bewusst vorgetragene Anachronismus trifft nicht immer ins Schwarze, zeugt aber von Mut und Finesse und wird auch auf optischer Ebene weiter geführt. Sämtliche Sets und Locations erstrahlen in den grellsten Farben und verweigern sich offensiv dem inzwischen breit etablierten Used-Look. Dazu hagelt es fast noch mehr Oneliner als Kugeln und die Stimmung wechselt permanent zwischen witzig-spaßig und brutal-blutig.
Die Figuren verhalten sich ähnlich ambivalent und gleichen mehr Chiffren klassischer Western-(Anti-)Helden als mehrdimensionalen Menschen. Kategorien wie gut und böse stehen gar nicht erst zur Debatte, hier wird möglichst cool, schnell und effizient gezogen, geschossen und gestorben. Fast schon genüsslich zelebriert Samuel gängige Genre-Stereotypen wie den Raubüberfall, das Pistolenduell, die Saloon-Prügelei oder die terrorisierte Stadt als grellbunte Popart-Phantasie.
Und diese Phantasie ist ist nicht nur über die Maßen farbenfroh, sondern auch über die Maßen bevölkert. In THE HARDER THEY FALL geben sich eine illustre Mischung bekannter und weniger bekannter Namen der aktuellen schwarzen Kino- und TV-Szene den Pacemaker in die Hand. Idris Elba und Jonathan Majors stehen als Anführer zweier rivalisierender Gangsterbanden im Fokus, aber u.a. LaKeith Steinfeild, Regina King, Delroy Lindo, Edi Gathegi bekommen ebenfalls reichlich Gelegenheit, mit Colt und Mundwerk auf sich aufmerksam zu machen.
Bisweilen schadet diese Personalfülle der im Grunde überaus simplen Geschichte. Samuel hat offenkundig eine große Freude jedem seiner Darsteller eine denkwürdige Szenen zu verschaffen, was zwangsläufig zu Verfaserung und Tempoverschleppung führt. 137 Minuten sind auch nicht zwingend erforderlich um zu zeigen, wie ein Outlaw sein Kindheitstrauma mit der Waffe überwindet.
THE HARDER THEY FALL hat also durchaus ein paar Platzpatronen in der gut geölten Trommel, aber einige Duelle werden auch gewonnen. Gerade weil der Film vor allem narrativ nicht so perfekt durchkomponiert ist wie die des vermeintlichen Vorbilds Tarantino, bewahrt er sich einen gewissen anarchischen Charme, eine sympathische Kantigkeit. Das alles dient keinem höheren Anspruch, ist aber deswegen nicht gleich von niederer Qualität. Zumal bei einer solch audiovisuellen Extravganza. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass diese mit zunehmender Dauer enervierend repetitiv daher kommt. Offenkundig ist Samuel ein wenig zu sehr in seine Manierismen verliebt und wie viele Verliebte möchte er möglichst jedem sein Hochgefühl lautstark mitteilen. Da kann man sich schon mal im Tonfall vergreifen oder etwas zu dick auftragen und tatsächlich ist die Song- und Musikauswahl mitunter so gewollt gegen den Strich gebürstet, dass sie mehr schadet denn nützt.
Diese exzessiv ausgelebte künstlerische Freiheit ist vor allem zu Beginn ansteckend, versinkt aber zunehmend in selbstreferentieller Verliebtheit und Penetranz. Das schlägt umso mehr ins Kontor, da es auch an Substanz fehlt. Denn wer angesichts des ungewöhnlichen Black-Western Szenarios nach politischen und/oder historischen Subtexten schürft, wird definitiv bettelarm bleiben. Auch Freunde großer Theatralik und kathartischer Rachegeschichten werden mit ein paar Kieselsteinen abgespeist.
Dennoch lohnt ein Blick gen Westen und sei es nur, weil Netflix endlich einmal die ausgetreten Pfade verlässt und ein wenig Pioniergeist beweist. Hier wird mit handwerklicher Finesse eine blutig-spaßige Western-Parallelwelt erschaffen, die breitbeinig in der popkulturellen Gegenwart steht. Eine Blaxploitation-Sauße 2.0 mit erkennbarem Dreifach-Knicks vor John Ford, Sergio Leone und Quentin Tarantino. Zwar wird THE HARDER THEY FALL den Western nicht revolutionieren - dafür vergaloppiert er sich insgesamt ein zwei Mal zu viel -, aber als augenzwinkernd selbstbewusster Unterhaltungs-Kommentar zum Ur-Genre des weißen Mannes hat diese wilde Groteske durchaus ihre Qualitäten. Es muss ja nicht immer ein Goldnugget sein.