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Schon in Amerika wurde „Sin“ direct-to-dvd vermarktet, was eine filmische Katastrophe oder mangelnde Konsumierbarkeit für den Mainstream erahnen lässt. In der Tat sind die Namen der Verantwortlichen fast durchweg unbekannt. Wer kennt einen Michael Stevens (Regie und Produzent) oder einen Tim Wollocks (Drehbuchautor und Produzent)? Allenfalls Michael Giacchino dürfte Egoshooterspielern als Komponist der „Medal of Honor“ Reihe, beziehungsweise des Ablegers „Call of Duty“, bekannt sein. Jedoch müssen unerfahrene Personen nicht zwangsläufig einen schlechten Film produzieren und mit Ving Rhames, Gary Oldman oder Brian Cox waren beeindruckende Namen verpflichtet worden.

„Sin“ erweist sich als zweischneidiges Schwert, dass seine Stärken und Schwächen besitzt. Man wünscht sich im nach hinein fast, dass hier Leute mit mehr Erfahrung die Leitung übernommen und vor allem ein qualitativ besseres Drehbuch geschrieben hätten. Michael Stevens taucht seinen Thriller, passend zur Grundstimmung in dunkle, farbenfrohe und surreale Bilder, die oftmals Kunstwerken oder Gemälden gleichen. Dennoch fehlt ihm dabei das Gespür auch Atmosphäre zu erzeugen, passen die Kombinationen oft nicht zum Plot und den finsteren Charakteren. Man kann einfach keine bunten Bildkompositionen anbieten, wenn der Zuschauer sich in dem düsteren Thema verlieren soll, sich aber ständig in die Optik vertieft, die, zugegeben, dennoch ein Highlight des Films darstellt.

Der Plot selbst glänzt zwar nicht vor Innovationen, versucht allerdings auch nicht ein altbekanntes Thema wiederzukäuen. Etwas gewöhnungsbedürftig werden die zentralen Charaktere eingeführt und vorgestellt, man wird mit Ving Rhames konfrontiert, der hier einen Ex-Polizisten gibt, welcher in seinem letzten Fall seinen linken Arm verlor, davon aber kaum gehandicapt ist und ein Einsiedlerleben auf dem Land führt. Ganz im Gegensatz zu seiner kleinen Schwester, die, als Prostituierte arbeitend, in die Fänge des Pornoproduzenten Strong (Gary Oldman) gerät, der sie fortan für seine schmutzigen Spiele missbraucht, sie nun jedoch beseitigen will und dabei ein Spiel mit Eddie Burns (Ving Rhames) beginnen wird.

Trotz der Konstellation Rhames vs. Oldman soll das Script keine Kniffe oder Überraschungen aufweisen, die Rhames Suche nach dem Peiniger seiner Schwester interessant oder spannend gestalten. Vor der dramaturgischen Katastrophe rettet „Sin“ nur Ving Rhames, welcher sich hier in der beeindruckendsten Performance seiner Karriere befindet. Er gibt der Figur des leicht sarkastischen Eddie Burns eine legendäre, dämonisch- mystische und unvergessliche Aura, die ständig um ihn kreist – noch verstärkt durch seinen ungewöhnlichen Look und dem tief sitzendem Hut. Seine Reaktionen sind unberechenbar, mal sitzt er weinend vor dem TV, die Vergewaltigung seiner Schwester vor den Augen, in dem nächsten Moment beweist er seine mentale Überlegenheit. Im Polizeibüro erklärt er, dass ihn niemand vor seinem Vorhaben abbringen kann und wer glaubt, dass die „Guten“ nur in Notwehr töten, der sollte sehen, wie gnadenlos und ohne mit der Wimper zu zucken Burns mit seinen Zielen aufräumt. Ob mit einem oder zwei Armen scheint bei ihm keine Rolle zu spielen, überlegen erscheint er jedem. Gary Oldman verliert ihm gegenüber schon stark an Boden und das im doppelten Sinn, denn an seine Leistungen vergangener Tage kann der ehemalige Starbösewicht Hollywoods nicht ganz anknüpfen, lässt ihm seine Rolle leider auch nicht die kreativen Freiheiten, die er scheinbar dringend benötigt.

Die wenigen Haken, die das Script schlägt, sind nicht weiter von Belang und hinterlassen einen unbefriedigten Zuschauer, der gern ein paar knackige Erkenntnisse hätte. Zwar werden welche serviert, doch wollen wir die wahren Motive Strongs doch so früh noch gar nicht wissen. Die dabei auftretenden Dialoge, sollen, völlig unpassend zum ernsten Geschehen bisweilen Humor (Nenn’ mich nicht Baby…)vermitteln, sorgen aber nur für ein bemitleidenswertes Lächeln.
Auf das Finale zusteuernd scheinen Autor Tim Wollocks leider endgültig die Ideen auszugehen, vereint er, in einer, im Zusammenhang des Kontexts völlig überflüssigen, Szene die Erzfeinde, um ihre Ideale und Menschlichkeit aufzuzeigen und fast umgehend in eine, der wenigen, actionreichen Szenerien umzuschwenken, wo es zwar mit der Logik dann nicht mehr weit her ist, jedoch endlich die Dramaturgie vermittelt wird, die „Sin“ bis dahin missen ließ. Im Zuge des Finales, das beide Kontrahenten für immer verändert, soll es sogar eine Überraschung geben, die den halben Film auf den Kopf stellt.

Fazit:
Dank eines unvergesslichen Ving Rhames und der exotisch, düsteren Optik hat mich „Sin“ in seinen Bann gezogen. Die Schwächen bleiben dabei leider allzu deutlich. Tim Wollocks scheint als Drehbuchautor nicht mit Talent gesegnet worden zu sein und liefert hier ein Script ab, das leichtfertig als Desaster bezeichnet werden darf. Der Plot läuft, abgesehen von wenigen Ausnahmen, viel zu linear, ohne einen Anflug vom Tempo und dramatischen Momenten ab. Die Figuren verhalten sich wieder des menschlichen Verständnisses für Werte wie Freundschaft, während sündhaft versaute Dialoge ohne Aussage, den Zuschauer ärgerlich stimmen. Auch wenn er am Ende wieder Herr seiner Schreibkräfte ist, sind die vorhergegangenen Fauxpas unverzeihlich. Hier wurde leider sehr viel Potential verschenkt, so dass ich „Sin“ zwar Ving-Rhames-Fans, zu denen ich gehöre, den Film empfehlen kann, aber Zuschauern, die von Thrillern wie „Sieben“ oder „8mm“ verwöhnt worden sind, eine Absage erteilen muss.

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