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Vergessen wir mal für einen Augenblick die globale Debatte, die uns seit nunmehr zwei Jahren in Schach hält. So wie wir die andere globale Debatte vergessen haben, die uns davor noch beschäftigte. Richten wir unser Augenmerk auf ihre filmische Metapher, den Asteroiden. Ist er nicht wunderschön? So simpel in seiner Botschaft, so zielstrebig in seinem Handeln, so unübersehbar in seinem Umfang. Wie ein großes Ausrufezeichen steht er am Firmament mit seinem Schweif, den er hinter sich herzieht. Eine von Hollywoods ältesten Bedrohungen stattet uns mal wieder einen Besuch ab. Ach, manchmal ist Film so herrlich unkompliziert.

Würden wir noch in den 90ern leben, so wäre glasklar, was nun zu tun wäre. Jegliches Regelwerk für Katastrophenfilme kennt schließlich nur ein Ziel: Die Bedrohung muss vernichtet werden, egal um welchen Preis. Klingt nur logisch, wenn man es nüchtern betrachtet, denn man will ja schließlich überleben. Was sich seit den 90ern nicht geändert hat: Die Geschichte nähme damals wie heute als Grafik auf einem Computerbildschirm ihren Anfang. Da wäre ein leuchtender Punkt zu sehen, der dort nicht hingehört. Der zufällig anwesende Wissenschaftler würde mit Entsetzen oder auch Begeisterung, je nachdem, wie gut er die Situation bereits durchschaut, auf den Punkt starren und nach ein paar Sekunden des Innehaltens seine Vorgesetzten informieren. So weit bleibt auch heute offenbar alles beim Alten. Der Mensch ist offenbar immer noch in der Lage, Computerbildschirme zu bauen, Informationen von ihnen abzulesen und sie zu analysieren. Wir leben noch nicht in einer Idiokratie. Wir haben uns in Bezug auf technische Errungenschaften sogar weiterentwickelt, denn die uns zur Verfügung stehenden Instrumente sind bereits um ein Vielfaches leistungsfähiger, als sie es damals waren.

Die spektakuläre Entdeckung an die höchste Regierungsstelle zu melden, wäre vor 25 Jahren noch lästiger Teil des ersten Akts gewesen, der schnell abgehandelt gehörte. Man müsste schnell Platz schaffen, damit Bruce Willis von seiner Ölplattform abgeholt und auf den Asteroiden geschossen werden kann, um die Welt zu retten. An der Mission selbst gäbe es keinerlei Zweifel, denn im Angesicht ihres konkreten Untergangs, so die Grundannahme, handelt die Menschheit einig und geschlossen, wie ein großer Organismus im Selbsterhaltungsmodus.

Doch nun, in „Don't Look Up“, ist Ron Perlman das, was Bruce Willis einst war, und Ron Perlman, tja, der spielt zwar eine äußerst erfrischende, aber letztlich doch winzig kleine Nebenrolle. Warum? Weil die Handlung nicht weit genug vorstößt, um ihn zum Helden erklären zu können. Weil sie schon bei dem Versuch hängen bleibt, überhaupt das Ausmaß der Katastrophe zu vermitteln. Nicht etwa uns, den Zuschauern. Vielmehr jenen, die etwas an der Situation ändern könnten. Die wollen zum Verrecken nicht kapieren, was da gerade vor sich geht.

Darwin kommt einem öfter mal in den Sinn, wenn man die Kettenreaktion von epischen Fehlschlägen des menschlichen Koordinationsvermögens verfolgt, aus der diese, nennen wir es doch „tragische SciFi-Komödie“, besteht. „Survival of the Fittest“ ist schließlich nicht zwingend an Intelligenz gekoppelt, sondern an die Fähigkeit, sich jeweils an die Umweltbedingungen anzupassen. Diese Lücke im System nutzt Regisseur Adam McKay gnadenlos aus. Er baut eifrig eine kilometerlange Spur von Dominosteinen auf, um sie mit dem geübten Schnippfinger möglichst lärmend einzureißen, den er schon in seinen Wirtschafts- und Politsatiren „The Big Short“ und „Vice“ einsetzte. Die Frage, die sich ausgerechnet im Informationszeitalter stellt, ist: Wie ist es eigentlich um die Effizienz bestellt, mit der wir durch unsere selbst erschaffenen Datenströme schwimmen? Kommen wir mit all unseren Informationsfiltern überhaupt noch auf das für's Allgemeinwohl sinnvollste Ergebnis oder bräuchten wir nicht besser den blinden Pragmatismus eines stupiden Science-Fiction-Actioners von Michael Bay? Der fackelt nämlich nicht lange und lässt ein Bohrteam im Eilverfahren den NASA-Crash-Kurs absolvieren, um den Feind am Himmel zu spalten (!). Völlig egal, wie sich Presse und Kritiker über derartigen Unsinn echauffieren.

Einen Film wie „Don't Look Up“ hätte man in den 90ern womöglich ebenfalls für Unsinn gehalten. Die traurige Wahrheit ist aber wohl: Er ist verdammt nah an der gegenwärtigen Realität dran. Vielleicht sogar zu nah. Dabei sollte man doch meinen, McKay fährt einen ziemlich schrillen, wenig zurückhaltenden Kurs, mit dem er deutlich kennzeichnet, dass ihm das Dokumentarische nicht gerade ein Anliegen ist. Hätte man die Jahre seit Amtsantritt des 45. amerikanischen Präsidenten unter einem Stein verbracht, käme man nicht unbedingt auf die Idee, dass diese Farce über fehlgeleitete Kommunikation ein Portrait des gesellschaftlichen Status Quo sein könnte anstatt einer Karikatur. Hat man die Zeit jedoch über dem Stein verbracht, kommen einem die aufgeführten Verhaltensweisen so vertraut vor, dass man erschaudert bei dem nicht ganz abwegigen Gedanken, dies sei eine realistische Simulation der Verteidigungsstrategie, würden wir tatsächlich in sechs Monaten einen Asteroideneinschlag erwarten.

Seit „Brazil“ gab es vielleicht keine Satire mehr, die einem stellenweise vor lauter Frust über das System dermaßen die Luft zugeschnürt hat, wie es nun der ersten Hälfte von „Don't Look Up“ gelingt. McKay spickt die Handlung mit roten Tüchern für den gesunden Menschenverstand, wo immer ein Vertreter aus Politik, Wirtschaft oder Medien ins Spiel eingreift, sei es im Großen oder im Kleinen. Man möchte es zuerst für einen akustischen Hörfehler halten, wenn das Weiße Haus auf den gebotenen Ernst der Lage sinnbildlich gesprochen seine Kalksteinsäulen wie eine weiße Zahnreihe zum verächtlichen Lächeln verzieht und die schwitzenden Wissenschaftler wieder ausspuckt, ohne auch nur ein Fakt akzeptiert zu haben, das gerade an sein Ohr getragen wurde. Später werden ignorante TV-Moderatoren (Cate Blanchett und Tyler Perry) alles zu einem Witz umfunktionieren, was ihnen als Vorlage geliefert wird, ein reicher Industrieller (Mark Rylance) wird wirtschaftlichen Nutzen aus der Katastrophe ziehen. Und das ist nur die oberste Ebene; darunter wuseln Dutzende von Störfeuern für jede zielgerichtete Kommunikation; ein unter Scheuklappen lebendes, von Arroganz zerfressenes Popsternchen (Ariana Grande) beispielsweise, das wie ein Konzentrat von Natalie Portmans Rolle in Brady Corbets Portrait des 21. Jahrhunderts namens „Vox Lux“ wirkt, ja sogar ein General des Weißen Hauses (Paul Guilfoyle) mischt mit, der sich nicht ganz so verhält, wie sich ein General im Weißen Haus verhalten sollte. Er liefert mit seiner Nummer rund um Snacks und Getränke aus dem Automaten den vielleicht sogar besten Gag des Films, weil er die Absurdität egozentrischer Willkür, die hier als unzähmbare Kraft waltet, bis auf den Kern offenlegt. Ja, wir befinden uns zweifelsohne in jenem Amtsgebäude, in dem Asterix einst auf der Suche nach dem Passierschein A38 war, zumal die Wirklichkeit längst die Züge eines Zeichentricks angenommen hat.

McKay trifft in dieser Phase des Films auch deswegen ins Schwarze, weil er die begriffsstutzigen Hürden der Rationalität nicht etwa als hirnlose Idioten darstellt, sondern durchaus als Ikonen ihres Fachs, die mit absolutem Perfektionismus ihre Rolle ausfüllen. Was wäre die Präsidentin schließlich für eine Präsidentin, wenn sie nicht alle Möglichkeiten ausloten würde. Was wären die Moderatoren für Moderatoren, wenn sie ihre Show langweilig gestalten würden. Mit versiertem Auge blickt der Regisseur hinter die Fassade der Marionetten, um die namenlose Struktur zu erfassen, die hinter den Kulissen die Fäden zieht – anders als der Großteil der echten Medien, die sich in ihrer Kurzsichtigkeit üblicherweise an Personenkulten abreiben. So würde es kaum verwundern, wenn Meryl Streeps opportunistische Darstellung einer weiblichen Präsidentin von Teilen des Publikums und Kritikern einen Shitstorm ernten würde, ließe sich in diese Konstellation mit viel bösem Willen doch eine Unfähigkeit des weiblichen Geschlechts hineininterpretieren, über die größte Weltmacht des Planeten zu regieren. Dabei wird lediglich eine Utopie erreichter Gleichberechtigung erzeugt, die letztlich aber nichts an der menschlichen Natur verändert, weder zum Schlechteren noch zum Besseren. Es ist jedenfalls erschreckend, wie exakt die Realität samt ihrer Sehnsüchte bis in die feinsten Details hinein gespiegelt wird, obwohl oder gerade weil wir uns ja schließlich gerade im Auge des Sturms befinden, der da beschrieben wird.

Geteilter Meinung kann man sein, was das satirische Vokabular McKays anbelangt, der wie schon zuletzt wieder auf knautschige Comic Reliefs setzt und den ambitionierten Ansatz, den er seit sechs Jahren fährt, teilweise untergräbt. Leonardo DiCaprio, der sich seine Rollen stets sehr bewusst auswählt, scheint zur Vorbereitung diesmal ein paar Staffeln „The Big Bang Theory“ geschaut zu haben, erinnert sein schwitzendes, stotterndes, verzweifeltes, sich verklausulierendes, von blonden Frauen abgelenktes und manipulierbares Genie doch im Kern an Dr. Leonard Hofstadter, so dass man beinahe glaubt, „The History of Everything“ von den Barenaked Ladies im Hintergrund zu hören, wann immer er vor die Kamera tritt. Später füllt er die Rolle durch seine schauspielerischen Kompetenzen immerhin mit Nuancen, die über einen Sitcom-Charakter hinaus reichen, die größten Qualitäten des Films liegen aber diesmal nicht unbedingt in den Hauptrollen. Jennifer Lawrence als zweiter Lead wirkt immerhin etwas organischer und eignet sich durch ihre Menschlichkeit und ihr ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden besser als Identifikationsfigur, wird aber mit Verweis auf ihre alternative äußere Erscheinung in einem Anflug popkultureller Zitierfreude auch als „Lisbeth Salander“ bezeichnet, und zwar ausgerechnet von der Comicfigur, die Jonah Hill spielt. Dessen Darbietung liegt von Anfang an leicht neben der Spur, was auch daran liegt, dass man die inzestuösen Verhältnisse auf ranghohen Positionen in der Politik durchaus eleganter hätte umschreiben können als mit einem Muttersöhnchen in der Rolle des Stabschefs, der seiner Mutter, der Präsidentin, fortlaufend fragwürdige Komplimente macht.

Vielleicht sind es diese Überzeichnungen im Versuch, die ohnehin groteske Wirklichkeit noch einmal zu übertrumpfen, die das instabile Gebräu in der zweiten Hälfte ins Saure umschlagen lassen. Die zum Hochkonzentrat destillierte Inszenierung des eskalierenden Wahnsinns wird leider nicht bis zum Abspann gehalten. Obwohl auch gegen Ende so mancher Schuss ein Treffer ist, mischen sich zunehmend unnötige Szenen, Figuren und gar vollständige Subplots in das Skript, das nicht zuletzt auch seinen bissigen Ton einem versöhnlichen Pathos opfert, bevor ein Hirngespinst von Epilog und eine völlig unnötige After-Credits-Scene endgültig für einen schalen Beigeschmack sorgen.

Das soll aber nicht die erschütternde Wirkung der ersten Hälfte schmälern. Was „The Social Network“ vor zehn Jahren war, kann „Don't Look Up“ heute sein, eine Bestandsaufnahme der nicht immer rational wirkenden Wege gesellschaftlicher Evolution. Vermutlich will man so etwas gar nicht sehen, wenn man in den Nachrichten permanent mit vergleichbaren Auswüchsen konfrontiert wird und plötzlich von einem neuen Science-Fiction-Streifen mit Leonardo DiCaprio hört; vielleicht will man einfach sehen, wie einer der letzten verbliebenen Kinostars grüne Ärsche auf dem Mars aufreißt. Das Lachen bleibt einem jedenfalls im Halse stecken, wenn über Prozentzahlen für die Wahrscheinlichkeit eines Einschlags gefeilscht wird wie auf einem Basar. Aber wer sagt denn auch, dass hier gelacht werden soll?

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