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Der angehende Arzt Nils Janssen (Dieter Geissler) entdeckt per Zufall ein Loch in der Wand seiner Wohnung, durch das er das Geschehen in seiner Nachbarswohnung verfolgen kann. Und das Ge-schehen da ist z.T. extrem merkwürdig – offensichtlich werden dort junge Frauen unter Drogen gesetzt und ältere Herren lassen sich von einer Masseuse „verwöhnen“. Nils steigert sich immer mehr in das Geschehen nebenan hinein, zum wachsenden Missfallen seiner Freundin Marina (Alexandra Stewart). Sie ist Journalistin und untersucht zeitgleich den Mord an einem US-Soldaten und einige Spuren deuten tatsächlich auf Nils‘ Nachbarswohnung…

Wow. Regisseur Pim de la Parra hat wirklich Hitchcock studiert. Ebenso wie Michael Powell’s „Peeping Tom“. “Besessen - das Loch in der Wand” ist eine ziemlich großartige Hommage an den britischen Suspense-König, v.a. an Filme wie „Fenster zum Hof“ oder „Der unsichtbare Dritte“.

Gedreht 1969 in Amsterdam mit deutschen und niederländischem Geld, war „Besessen“ lange Jahre in Deutschland auf dem Index und daher kaum erhältlich. Erst kürzlich habe ich die deutsche BD-Veröffentlichung entdeckt (mit einem interessanten Interview mit Dieter Geissler) und bin ziemlich angetan. Regisseur de la Parra gelang es sogar, Hitchcock’s Leibkomponisten Bernard Herr-man zu engagieren. Und das Drehbuch wurde von niemand Geringeres als Martin Scorsese mitverfasst. Von daher schafft es der Film tatsächlich, so gut wie die Summe seiner Teile zu sein, was nicht selbstverständlich ist.

Einige Szenen sind wirklich Lehrstücke in Suspense – ich will hier nicht spoilern, aber wer den Film sieht, weiß ganz sicher, welche ich meine! Zudem sind mir zwei Szenen im Gedächtnis geblieben, die ich so in Filmen gesehen habe, die erst Jahre später gedreht wurden: in einer Szene folgt Nils einer jungen Frau, die er aus der Nachbarswohnung gerettet hat. In der Rettungsszene und der fol-genden Verfolgungsszene reden sie kein Wort miteinander, ebenso wenig, als sie sich leidenschaftlich in ihrem Haus küssen. Ich musste hier an Brian de Palma’s „Dressed to Kill“ denken, von 1980. Außerdem der Schlusseffekt: den habe ich erst viel später bei Dario Argento gesehen habe.

Klar, „Besessen“ ist nicht frei von Logiklöchern, bizarren Zufällen, einer mitunter etwas holprigen Inszenierung und einigen kleinen Längen. Aber Nils‘ Abstieg in eine obsessive Welt, die ihn zu ver-nichten droht und die die unangenehmsten Seiten in ihm hervorbringt, ist spannend, verstörend und raffiniert gemacht. Dabei ist Dieter Geissler nicht unbedingt der allerbeste Schauspieler, wesentlich besser war natürlich Alexandra Stewart, die zum Glück nicht nur schmückendes Beiwerk war, sondern eine eigenständige, starke, handelnde Figur war.
Wer sich ansatzweise für europäische Genrefilme der 60er und 70er interessiert, kommt, so finde ich, nicht an dieser kleinen Perle vorbei. Schön! 8/10.

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