Das Geheimnis des Dr. Z. The Diabolical Dr. Z. Le Diabolique Docteur Z – Dans les griffes du maniaque. Natürlich konnte das Ausland seinen Impulsen nicht widerstehen. Einmal mehr musste es seine Verleihtitel mit teuflischen Attributen, einschüchternden Doktorentiteln und rätselhaften Buchstaben schmücken, die nichts Konkreteres verhießen als eine wilde Melange reißerischer Motive, verknüpft durch jene Sorte Mad Scientism, wie sie kennzeichnend für triviales Bahnhofskino steht. Wer weiß, vielleicht durchschaute man Jess Francos spätere Karriere zu diesem frühen Zeitpunkt ja bereits und versuchte, ihre wahre Natur nach außen zu kehren. Zu jener Zeit tarnte sie sich schließlich noch auf der formalen Ebene mit verblüffendem Geschick als stilvolle Kinoproduktion, bedenkt man die durchaus elegante Regie und die hochwertige Kameraarbeit. Auch der Originaltitel gibt sich aufs Wesentliche fokussiert. Er offeriert ein klar herausgearbeitetes Zentrum, ideal geeignet, damit sich die Handlung herumwickeln kann wie um eine Vertigo-Spirale. Keine Attribute, keine Beschreibungen, einfach nur der Tod in Gestalt einer Frau: „Miss Muerte“.
Miss Muerte, alias „Nadia“, verkörpert von der französischen Darstellerin Estella Blain, ist zumindest der unbestreitbare Fixpunkt in der visuell vielleicht bemerkenswertesten Szene des Films, einer burlesken Aufführung in einem schummrigen Etablissement, bei dem das Publikum von einer Empore auf das schwarze Bühnendekor hinabblickt. Die ungewöhnliche Perspektive ist essenziell für die Show, denn aus der Sicht von oben entpuppt sich die Vorstellung als symbolisch zu verstehendes Naturschauspiel: Eine schwarze Witwe hockt in ihrem Spinnennetz und wird es in Kürze krabbelnd und kriechend überqueren, um die bewegungsunfähige Fliege zu verspeisen. Es ist Nadia, die sich auf der einen Seite der Bühne im nahezu transparenten Spinnen-Dress räkelt, während auf der anderen Seite eine Puppe passiv auf einem Stuhl hockt.
Die asymmetrische Struktur des auf die Bühne gemalten oder geklebten Netzes lässt dabei nicht nur eine gewisse Vorliebe für die expressionistischen Bauten und Matte Paintings des frühen deutschen Films erkennen, wie er aufgrund der Schauplätze (deutsche Straßen- und Gebäudeschilder verraten einige der vielen Drehorte) und der wissenschaftlichen Themen (des Deutschen größte Expertise wie auch seine Nemesis) ohnehin als Schatten über der Produktion schwebt. Das Spinnennetz wird außerdem gemeinsam mit der wiederkehrenden Einstellung einer spiralförmigen Wendeltreppe quasi zum symbolischen Ausgangspunkt für das weitere Schaffen Francos, der immer wieder zu dieser Mitte zurückkehren würde; nicht etwa, um daraus neue Inspiration zu beziehen, sondern einfach, um sein Netz von der Zentrale aus immer weiter auszubauen, ohne Rücksicht auf sich wiederholende Muster, so lange, bis seine Tragfähigkeit aufgrund physikalischer Gesetzmäßigkeiten unter der Last der Fläche zusammenbrechen würde. Sprich: Bis an sein Lebensende.
Man könnte „Das Geheimnis des Doktor Z“ im Zuge dessen als Blaupause für die endlos ausschweifenden Filmwelten des Jess Franco bezeichnen, findet man in den Hügeln und Tälern doch immer das ein oder andere Motiv, einen Fetisch oder eine Figur wieder, die er bereits in identischer Form oder als Abwandlung in der Vergangenheit genutzt hatte. So entpuppt sich Miss Muerte quasi als Urmutter der schwarzen Witwen, die in „Der Todeskuss des Dr. Fu Manchu“ (1968) als einer Herde willenloser Zombies ausströmen, um ihren Gebieter zum Weltherrscher zu machen. Bei „Sie tötete in Ekstase“ (1971) handelt es sich sogar um ein Quasi-Remake, das es Franco erlaubt, die bereits latent in seinem 1965er Werk schlummernden Obsessionen expliziter auszukosten. Doch schon im vorliegenden Film finden sich erste Spuren dieser Vorgehensweise, lassen sich doch bereits Bezüge zu „Der schreckliche Dr. Orloff“ finden, der 1962 entstand und in enger Verwandtschaft steht zu George Franjus „Augen ohne Gesicht“. Auch wenn Franco stets bestritt, damals schon Kenntnis gehabt zu haben über das französische Horror-Drama, so wird dieser Einwand vermutlich spätestens mit dem 1988er Remake „Faceless“ nichtig.
Somit sind auch die Bezüge zu den Ankern der bisherigen Filmgeschichte immanent, am Beginn der Karriere mehr denn je. Franco hatte gerade erst die Second-Unit-Regie in „Falstaff“ von niemand Geringerem als Orson Welles übernommen und geht mit spürbar geschultem Auge für stimmungsvolle Bilder und deren Bewegungsabläufe in seinen eigenen Film, beflügelt von den persönlichen Einflüssen, etwa dem klassischen Gruselkino, und vermutlich auch durch die Zusammenarbeit mit Welles oder mit Juan Bardem, dem er dreimal assistierte, einem erklärten Kritiker der damals herrschenden franquistischen Diktatur. Dies und mehr sammelt sich zu einer Vielzahl an Einflüssen, die sich demzufolge in einer Vielzahl von Ansätzen niederschlägt. War eingangs noch von „Miss Muerte“ als Handlungszentrum die Rede, so scheint die erste Szene stattdessen einem Häftling (Guy Mairesse) in einem Gefängnis vorbehalten zu sein, der einen Ausbruch wagt. Die Kamera streicht die Gefängnismauern entlang und fängt stimmungsvolle Kontraste aus dunklen Schächten und erhellenden Blitzen ein, als befänden wir uns im Schloss von Dracula, derweil das Blickfeld des Insassen eingenommen wird, so dass man meinen könnte, es sei ein Film ganz allein über ihn. Ein Trugschluss, der durch die extrem auf den Augenblick fokussierte, atmosphärische Exposition entsteht. Es soll nicht bei diesem einen Trugschluss bleiben, denn anschließend erzeugt Franco allerhand unterschiedliche Stimmungen, als er seinen Figuren etwa so konsequent und zielstrebig folgt wie ein Hund, der einem Stock nachjagt, bis jemand einen noch größeren Stock wirft.
Wenn der Regisseur seine wahre Gestalt entlarvt, dann nicht im eigentlichen Handwerk, das gemessen am gesamten Œuvre ungemein sorgfältig, stellenweise sogar brillant und in jedem Fall voller Potenzial für die Zukunft erscheint, so wie man es eben von jemandem erwarten würde, der von weit größeren Regisseuren als ihm selbst bereits registriert und geachtet wird. Franco verrät sein zukünftiges Ich vielmehr in dieser unsteten Narration, die zwar eine zusammenhängende Geschichte ausbuchstabiert, diese jedoch auf dem Rücken verendender Charaktere und Handlungsstränge austrägt. Der in den alternativen Filmtiteln zum Zentrum erkorene Doktor T. beispielsweise, er schafft es nicht einmal über den ersten Akt hinaus, vielmehr ist es sein Vermächtnis, das fortan die Marionettenfäden bewegt. Insofern kann letztlich auch Estella Blains Figur trotz ihrer dominant wirkenden Aura nicht als Subjekt der Geschichte bezeichnet werden, vielmehr ist sie Objekt in jeglicher Hinsicht: Objekt der tausend Blicke aufgrund ihres extravaganten transparenten Kostüms, das in diversen Einstellungen durch die Lichtsetzung eine Nacktheit suggeriert, Objekt auch in dem Sinne, dass sie dem Willen einer höheren Macht ausgesetzt ist. Wenn überhaupt, dann wird sie zum Subjekt, zur Vorlage also für spätere Epigonen ihrer selbst in weiteren Arbeiten Francos.
Erst recht trifft die Objektifizierung auf den männlichen Helden Fernando Montes zu, der trotz kerniger James-Bond-Synchro mit Gert Günther Hoffmann nicht einmal unbedingt eine Gehirnwäsche braucht, um nichtsnutzig in der Gegend herumzustehen. Selbst Mabel Karr, die als rachsüchtige Tochter des Doktoren noch am ehesten selbst aktiv wird, ist letztlich nur ein Getriebe im großen Kontext. Das führt dazu, dass die Charaktere am Ende ihrer jeweiligen Szenen stets mit einer Ohnmacht konfrontiert sind, die letztlich den gesamten Filmausschnitt von der Gesamthandlung absondern; so fällt gerade eine Sequenz komplett aus dem Raster, in der Mabel Karr auf eine Anhalterin trifft, die ihr ähnlich genug sieht, damit sie auf die Idee kommt, mit Hilfe ihres Körpers den eigenen Tod vorzutäuschen. Beinahe könnte man meinen, diese am See gefilmten Aufnahmen stammten aus einem ganz anderen Film. Verwunderlich wäre es nicht gewesen, würde Franco doch später öfter mal auf die Idee kommen, Szenen mit seinen Darstellern vor Ort zu drehen, die nicht im Drehbuch standen, um sie dann in ein ganz anderes Projekt zu schneiden…
Das heißt allerdings nicht, dass die ungewöhnliche Erzählstruktur nicht gerade in Kombination mit den ästhetisch satten Schwarzweißbildern einen gewissen Reiz ausüben würde, den man schon wieder fast als experimentell im Sinne seines Spätwerks bezeichnen kann. Auf jeden Fall entsteht durch die Abfolge immer neuer Perspektiven und Richtungen ein solider Nährpegel, mit dem es Freunden abstruser Groschengeschichten problemlos ermöglicht wird, ihr Verlangen zu stillen. Alleine die roboterähnliche Vorrichtung, mit der die Opfer zu Zombies umfunktioniert werden, steht in ihrer naiven Umsetzung so deutlich im Kontrast zur geschmackvollen Schwarzweißästhetik, dass man sich der daraus entstehenden eigenwilligen Wirkung kaum entziehen kann, denn selbst die Science-Fiction-Heuler der 50er Jahre bemühten sich, vergleichbar naive Bilder mit entsprechend knalligen Technicolor-Farben oder sogar eigens entwickelten Kolorierungsverfahren angemessen schrill wiederzugeben. Schrill wird es bei Franco vielmehr auf der akustischen Ebene, denn ein unkontrollierter, der Übersteuerung naher Soundeffekt erzeugt einen Pawlow’schen Effekt, wann immer die Maschine mit ihren ungelenk wedelnden Metallarmen in Bewegung versetzt wird. Und als wäre das noch nicht genug, werden all die auf „Frankenstein“ basierenden B-Movies der 40er mit Chaney, Karloff & Co. in der tricktechnisch durchschaubaren, aber dennoch das Vorstellungsvermögen anregenden Punktierung der Opfer zusammengefasst, erst recht, wenn der Schmerz mit einer Verzögerung eintritt, die man mit Blick auf den exploitativen Charakter der Bilder wahrhaftig als Lustverzögerung für das blutgierige Publikum bezeichnen kann.
„Das Geheimnis des Dr. Z“ ist, ebenso wie noch das ein oder andere weitere Frühwerk Francos, eine Art Keimzelle für die Exzesse, die noch folgen sollten. Man findet darin die typischen Franco-Motive im Embryonalstadium, von denen sich der Erzeuger zeitlebens nie abwenden würde, auch wenn er sich vielleicht nicht immer angemessen um sie kümmern würde. Ironischerweise zeugen sie in diesem frühen Stadium vom höchsten Grad an formaler Reife, einer solchen, aus der mit anderer Methodik oder anderem Arbeitsethos womöglich so manche Großtat hätte erwachsen können, nicht viel kleiner als die der Vorbilder und Mentoren. So sollte es nun eben vor allem das ungreifbare Gesamtwerk bleiben, das als Großtat in die Filmgeschichte eingegangen ist – nicht aber, ohne uns diese kleine Proto-Perle zu hinterlassen.