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„Niemand will gerne sterben. Doch wenn man Angst hat, stirbt man hundert Tode. Aber wenn man keine Angst hat, dann stirbt man bloß einen!“

Der erste Western des italienischen Filmemachers Duccio Tessari („Der Mann ohne Gedächtnis“), „Eine Pistole für Ringo“, ließ 1965 die Kinokassen klingeln. Noch im gleichen Jahr schob er daher mit „Ringo kommt zurück“ einen Nachfolger nach, der zwar über dasselbe Darsteller-Ensemble verfügt, ansonsten aber eigentlich nichts mehr mit dem locker-lässigen Vorgänger zu tun, stattdessen vielmehr eine Adaption der griechischen „Rückkehr des Odysseus“ ins Italo-Western-Format darstellt – weshalb davon ausgegangen werden darf, dass die Beibehaltung des Rollennamens „Ringo“ lediglich kommerziellen Zwecken dienste. Als Tessaris Co-Autor fungierte diesmal Fernando Di Leo, der Film entstand in italienisch-spanischer Koproduktion.

Montgomery Brown alias Ringo (Giuliano Gemma, „Der Tod ritt dienstags“) kehrt reichlich desillusioniert aus dem US-amerikanischen Bürgerkrieg zurück und muss zu seinem Entsetzen erfahren, dass eine mexikanische Banditenbande um die Fuentes-Brüder Esteban (Fernando Sancho, „Arizona Colt“) und Paco (George Martin, „Lanky Fellow“) nicht nur seinen Heimatort besetzt haben und die Bevölkerung ausbeuten, sondern seine Frau Helen (Lorella De Luca, „Blutspur im Park“) zudem kurz vor der Eheschließung mit Paco steht. Der örtliche Sheriff (Antonio Casas, „The Good, the Bad and the Ugly“) muss tatenlos zusehen und ist dem Alkohol verfallen. Brown möchte sich seine Frau zurückholen und damit er nicht sofort als „Gringo“ erkannt und über den Haufen geschossen wird, färbt er mittels indianischer Kräuter sein blondes Haar dunkel, lässt sich einen Bart stehen und verkleidet sich als mexikanischer Tagelöhner. Im Ort angekommen, wird er sogleich von den Fuentes‘ gedemütigt und misshandelt, aber wenigstens am Leben gelassen…

„Ich kann nicht schießen, hab‘ ich noch nie versucht!“

Viel hat „Ringo kommt zurück“ tatsächlich nicht mehr mit „Eine Pistole für Ringo“ zu tun: Zwar trifft man auf allerlei bekannte Gesichte, doch sind neben dem Tonfall des Films, der hier wesentlich ernster, düsterer, melancholischer und pathetischer ausgefallen ist, auch die Rollencharakterisierungen andere. Der Name Montgomery Brown als Ringos bürgerlicher Name fällt hier zudem erstmals, sein Spitzname gerät deutlich in den Hintergrund. Vor allem ist er kein abgeklärter Draufgänger mehr, der nie um einen Spruch verlegen ist. Nein, dieser Ringo hier kämpft verbissen um seine Familie, hat Schreckliches erlebt und kennt Leid und Tod. Dazu passend eröffnet Maestro Ennio Morricones Soundtrack den Film mit einem von Maurizio Graf gesungenen Titellied, das diese Stimmung wiedergibt. Texttafeln berichten vom jüngsten Ende des Bürgerkriegs, bevor die nahe der mexikanischen Grenze spielende Handlung beginnt.

Der zunächst strohblonde Montgomery Brown ist deutlich vom Krieg gezeichnet und hat einen Tick davongetragen, eine nervöse Zuckung im Gesicht. Auf Mexikaner getrimmt, nimmt er im Heimatort eine Tätigkeit beim kauzigen Blumenhändler Myosotis (Manuel Muñiz, „Der lange Tag der Rache“) an, der sich als klassische komödiantische, dem Protagonisten wohlgesinnte Nebenrolle im Italo-Western entpuppt und die Handlung auflockert, es damit aber auch nicht übertreibt. Während Esteban ganz der Klischee-Mexikaner ist, ist sein Bruder Paco die weitaus smartere Variante im schicken Anzug. Die von Nieves Navarro („Nackt unter Kannibalen“) verkörperte rassige Saloon-Tänzerin Rosita, zudem ein leichtes Mädchen, hat zwar kein Problem damit, sich den Fuentes‘ unterzuordnen, hegt aber auch Interesse an Brown. Die Ambivalenz ihres Charakters zeigt sich, als sie eine wüste Kneipenschlägerei heraufbeschwört, nachdem er sie hat abblitzen lassen, den arg malträtierten Brown anschließend aber wieder aufpäppelt. Die stärksten Wechselwirkungen erzeugen indes natürlich die Begegnungen zwischen Brown und seiner Frau – insbesondere vor dem Hintergrund seines zwischenzeitlich fingierten Todes – und seiner kleinen Tochter (Mónica Sugranes), die er erstmals zu Gesicht bekommt.

Bedeutsame Szenen wie diese inszeniert Tessari behutsam und aufwändig, arbeitet genussvoll mit Symbolik, Ausleuchtungen und Kameraperspektiven sowie Morricones Orchester, um die gewünschte Stimmung bzw. vielzitierte Atmosphäre zu erzeugen oder zur unterstreichen. Und wenn der Soundtrack verstummt, hört man das Pfeifen des Wüstenwinds… Kontrastiert werden derartige Momente beispielsweise von einer vergnügten Tanz- und Gesangseinlage Rositas, die zudem zu einer interessanten Option für Brown wird, welcher sich jedoch für seine Familie entscheidet und damit endgültig unterstreicht, dass seine Rolle vom Italo-Western-typischen Einzelgänger weit entfernt ist. Nach rund einer Stunde stellt sich Brown offen den Fuentes‘ entgegen und läutet damit ein Finale ein, in dem er unter Beweis stellen kann, dass er zwar nicht mehr das „Engelgesicht“ aus seinem ersten filmischen Auftritt, aber noch immer ein verdammt versierter Revolverheld ist. Geradezu gruselig ist die symbolträchtige Aufstellung der Särge in der Kirche während der Hochzeit Pacos, der schließlich das erwartete großangelegte Duell mit vielen Toten folgt, nachdem Brown wie der Erlöser persönlich in der Kirchentür erscheint, umtost vom Sandsturm. Die finale Schießorgie wurde gut choreographiert, bietet jedoch keine überraschende Wendung oder Magic Moment mehr. Befremdlich mutet an, dass Brown sein kleines Kind mit einem Colt hantieren lässt…

„Ringo kommt zurück“ wirkt auf mich wie eine durchaus gelungene Mischung aus Italo- und US-Western-Motiven, dem die Charakterisierung Browns als ausschließlich an seiner Familie, zunächst aber keinesfalls am Schicksal der übrigen unter der Knute der Fuentes‘ stehenden Bürger interessiertem halben Anti-Helden misslingt, sofern sie überhaupt intendiert war. So entfällt größtenteils das Wechselbad der Gefühle zwischen Zynismus und niederen Beweggründen des raubeinigen Protagonisten einer- und dessen Verletzlichkeit und Leidensfähigkeit sowie guten Herzen unter der harten Schale andererseits, das den speziellen Reiz manch anderer Genreproduktion ausmacht. Man sollte sich jedoch darüber bewusst sein, dass Sergio Leone das eigentliche Genre erst ein Jahr zuvor losgetreten hatte, auch „Ringo kommt zurück“ ergo noch ein früher Beitrag ist. Zudem dürfte es Tessari ferngelegen haben, als Plagiator in Erscheinung zu treten, wenngleich er hier und da „Für eine Handvoll Dollar“ zu zitieren scheint. Die bis auf erwähnte Ausnahmen recht eindeutige Charakterisierung der Rollen geht einher mit einer konventionellen Erzählweise und tendenziell überraschungsärmeren Handlung, allein schon aufgrund ihres Fundaments in der klassischen griechischen Sage. Die dramaturgisch kaum Längen aufweisende Umsetzung Tessaris, die ambitionierte Kamera, der tolle Schnitt, die edle musikalische Untermalung und nicht zuletzt bestens aufgelegte Schauspieler machen „Ringo kommt zurück“ nichtsdestotrotz zu einem nur schwer verzichtbaren Genuss für Italo-Western-Freunde, die jedoch keinesfalls eine wirkliche Fortsetzung von „Eine Pistole für Ringo“ erwarten sollten.

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