Wer seine Fühler weiter ausstreckt als bis zur Blockbuster-Ecke am Videothekeneingang, wird manchmal Zeuge von Visionen, auf Zelluloid gebannt und unvergleichlich. "El Topo" ist so eine Filmrolle, die den Zauber einer religiösen Metaphysik benutzt, um viel Gesehenes zu überflügeln. Film ist Kunst, Kunst ist frei, Freiheit ist keiner Kategorie unterworfen. Dieser fixen Reihe folgend, greift sich Jodorowsky den staubdreckigen Westernkult, westliche und fernöstliche Religion, spielt damit, meditiert darüber und erschafft Bild für Bild ein steigendes Numen Fascinans - oder für manch einen ein Numen Tremendum: etwas Abstoßendes.
Doch abstoßend kann nur wirken was uns moralisch oder ästhetisch verletzt. Betrachten wir nun zuerst die Form, die „El Topo“, mehr noch als der Inhalt, zu einem Sirius B im Filmkosmos exponiert. Jede Einstellung strotzt nur so von Dynamik, viele Bilder sind kleine Kunstwerke, deren Ursprung auch der Pinsel eines begabten Malers sein könnte.
Und die Moral?
Folgen wir nun Jodorowskys Sittenbild, wird Moral zu einem Kunstbegriff, durch den Menschen generiert, durch die Philosophie glorifiziert, durch Normen verankert. Wir begeben uns zum Ursprünglichen, zur naiven, aber weitaus stärkeren Empfindung des Triebhaften. Größenwahn, Ohnmacht, Voyeurismus, Lust, Freude und Sadismus begegnen uns auf der Odyssey des "Maulwurfs", dessen Name übrigens, bivalent gedeutet, auf seinen blinden Größenwahn in der ersten Hälfte und in der zweiten auf sein Bestreben sich und seine, ihn anhimmelnde, Gefolgschaft, ans Tageslicht „zu buddeln“, schließen lässt.
Dazwischen liegt eine schmerzhafte Läuterung: "El Topo" symbolisiert Adam, der, nachdem er die durch seine Frau offerierte Erkenntnis erlangt hat, seine eigene Ohnmacht und Sterblichkeit annehmen muss. Der Geschichte Adams folgend, bekommt auch der Maulwurf eine zweite Chance, fern des Paradieses, der eigenen Omnipotenz. Nun erleben wir das totale Pendant zum sich selbst vergötternden Killer. In Gestalt eines kahlen Mönches, hilft "El Topo" den verdammten, vertriebenen, verlorenen Menschen; völlig altruistisch (gibt es dieses Attribut wirklich?), auch dann noch voller Demut, als ihn diese Leute wiederum zum Götzen machen. "Ich bin nur ein Mensch".
Der nun folgende zweite Part stellt den "vom Saulus zum Paulus" Gewandelten vor die ganze animalische Brutalität einer dekadenten, doch sich durch eine grotesk-naiven Interpretation christlicher Religion, völlig im Einklang mit der Trinität Gottes glaubenden, Sozialität. Diese Leute halten sich Sklaven, missbrauchen, foltern und töten sie, nur um sich daran zu weiden. Jodorowsky verzerrt die Gräuel zu einer bitterbösen Burleske, die ob ihrer widerlichen Albernheit in gewisser Weise herber trifft, als dies billige Exploitation vermag.
Jodorowsky’s Werk ist dominiert von Gewalt, mehr noch: Mord und Folter sind das Zentrum, mal ästhetisiert, mal grotesk verfremdet. Das schafft dem Betrachter natürlich eine komfortable – und notwendige Distanz; ferner widerspricht plumper Gore ohnehin Jodorowsky’s Kunstverständnis. Seine außergewöhnliche Stärke liegt im Surrealem, in Bildern, die auf einer Meta-Ebene funktionieren, Körper und Geist stimulieren. Hektische Schnitte vereinen sich mit meditativen Einstellungen und langsamen Zooms zu einem Guss mit rauschhafter Wirkung. Die Form ist nicht mehr nur Funktion, sondern auch Inhalt, eine Leistung, die Jodorowsky vom Filmemacher zum Künstler kürt.