Review
von Cineast18
Vier Soldaten stürzen hinter feindlichen Linien ab. Sie schlagen sich durch den unbekannten Wald zu einem Fluss, müssen aber bis Einbruch der Dunkelheit warten, um mit einem selbst gebauten Floß entkommen zu können. Die Wartezeit wird zum psychischen Härtetest für die vier Kameraden.
Stanley Kubricks Debütspielfilm klingt zwar nach einem Kriegsstreifen à la „Wege zum Ruhm", ist aber tatsächlich ein psychologisches Drama von seinerzeit selten erlebtem Fingerspitzengefühl. Der Krieg dient nur als allegorische Kulisse für die allgemein menschlichen Dramen, die sich hier abspielen - es wird ja noch nicht einmal gesagt, in welchem Krieg wir uns befinden und welcher Nationalität die Feinde sind. Die Aussagen, die „Fear and desire" trifft, bedürfen keiner solchen Konkretisierung.
Beeindruckend an diesem frühen Meisterwerk des genialen Regisseurs ist die Fülle an technischen, formalen und erzählerischen Experimenten, die er in diesem gerade einmal eine Stunde laufenden Film einsetzt: wild durcheinander eingesprochene Gedanken der vier Soldaten, während sie schweigend durch den Wald marschieren, die sich weniger an logischer Gesprächsführung als an subjektiven Gedankenströmen orientieren, die an die literarische Technik des Stream of Consciousness erinnern; eine ruhige Kameraführung, die in emotional extremen Szenen in rasante, sekundenschnelle Schnittmontagen ausbricht; ein brillantes Spiel mit Perspektiven, der lauter und leiser werdenden Tonspur und dem Wechsel aus nahen und fernen Kameraeinstellungen; und schließlich die philosophische Unterfütterung dieser scheinbar einfachen und geradlinigen Geschichte, die sich viel weniger um die Oberflächenaktion als um die emotionalen und geistigen Zerrüttungen der Agierenden dreht - und die schließlich sogar in einem gewagt irritierenden Schluss gipfelt.
Der gesamte Film kommt dabei mit nur einer Handvoll Darstellern aus - neben den vier Soldaten einige feindliche Kämpfer sowie eine Frau, die unglücklicherweise zwischen die Fronten gerät. Durch diese Konzentration auf wenige Figuren und deren Innenleben entsteht trotz des weitläufigen Wald- und Fluss-Sujets eine kammerspielartige Atmosphäre, die sich in kürzester Zeit und quasi ohne Einleitung verdichtet und bis zum dramatischen Finale anhält. Kleine Handlungen wie das schutzlose Überqueren einer Straße oder das Warten am Fluss erzeugen ein erstaunliches Maß an Spannung. Und die dramatischen Höhepunkte - der Überfall auf zwei feindliche Soldaten oder die Geiselnahme der namenlosen Frau - können den Zuschauer bis ins Mark erschüttern. Dies ist möglich durch die kluge und formal erstaunliche Charakterisierung der Figuren, die es in kürzester Zeit schafft, alle vier Protagonisten dem Zuschauer so nah zu bringen wie einen guten Bekannten. Ihre Ängste und Sorgen, ihre charakterlichen Eigenarten und unterschiedlichen Ansichten führen nicht nur zu Spannungen innerhalb der Gruppe - eine Grundzutat jeder Survival-Geschichte, die hier quasi ihren Prototyp findet - sondern gefährden auch das Überleben der Soldaten. Mit tiefenpsychologischer Genauigkeit umreißt der Film seelische Traumata der vier, um sie dann in der lebensbedrohlichen Extremsituation aufeinander prallen zu lassen.
Auch wenn „Fear and desire" technisch noch weit von den großen Werken Kubricks entfernt ist und sowohl die Studioumgebung als auch die deutsche Synchronisation dem Dargestellten einiges von seiner Authentizität nehmen, erhält man hier schon einen nachdrücklichen Einblick in die intellektuelle Tiefgründigkeit des Regisseurs. Ob es zu diesem Zeitpunkt schon psychologisch und philosophisch vergleichbar anspruchsvolle Kriegsfilme gegeben hat, lässt sich schwer sagen - in seiner Unaufgeregtheit und nur scheinbaren Geradlinigkeit erzeugt „Fear and desire" jedenfalls ein fesselndes Abbild menschlicher Urinstinkte und Traumata, das sich tief einbrennt. Ein furioser Geheimtipp für alle Kubrick-Fans.