Steampunk-Edelquark
Mit dem ersten „Blade“ hat Stephen Norrington nicht nur ein erfolgreiches Franchise gestartet, er hat auch den besten Film der Trilogie abgeliefert, sich krachend auf die filmische Landkarte gesetzt und einen modernen, blutigen Comicklassiker geschaffen, der seiner Zeit nicht nur voraus war, sondern komplett zeitlos ist. Einer meiner absoluten Lieblinge, ein Kracher, den ich immer wieder sehen kann und über den ich nicht müde werde zu schreiben. Selbst in einer Kritik zu „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“. Warum das? Weil eben diese zwei Werke die Klammer um Norringtons Schaffen im Filmgeschäft setzen (den wesentlich kleineren „Death Machine“ mal außen vor), denn die letztgenannte Comicverfilmung war das Gegenteil von Wesley Snipes erstem Auftritt als Daywalker - teuer, unerfolgreich, unbeliebt, blutleer. Und erst recht bei Fans der legendären Comicvorlage fast schon verpönt... Aber ist „LXG“, wie er süß abgekürzt wurde, wirklich derart mies, dass er eine Karriere beenden musste? Und was mag ich an diesem krachenden, hirnlosen Spektakel eigentlich ganz gerne? Und muss ich mich dafür schämen?
Erstmal noch kurz die (eh sehr magere) Handlung: eine Truppe außergewöhnlicher Figuren, vom legendären Abenteurer Quatermain über Dr. Jekyll bis Kapitän Nemo, wird zusammengetrommelt, um einen verrückten Kriegstreiber und Terroristen um das Jahr 1900 um den Erdball zu jagen und zu stoppen...
ALAN MOORE
+ Sean Connery rockt selbst in miesen Streifen
+ grundsätzlich ein Gipfeltreffen cooler Figuren
+ Steampunk-Looks und Details wie das Auto, die Nautilus oder auch simple Helme sehen unfassbar geil aus
+ alle handgemachten Dinge haben sich gut gehalten
+ genug Krach und Action
+ auch etwas für Literaturfans
+ Peta Wilson :)
+ viele Settings und Orte
+ solide Vater-„Sohn“-Beziehung
+ manche Effekte auch gar nicht mal soo mies
+ Kopf-aus-Kino muss auch mal sein
+ sein Budget sieht man ihm oft auch an
+ hat ein paar düstere Ecken
+ Dorian Greys Einführung
+ eine Fortsetzung hätte aus den vielen Fehlern lernen können; der Grundsatz wäre gelegt gewesen
+ solide Originalität
+ in mancher Hinsicht Vorbild/Vorläufer von „Hellboy“ über „The King's Man“ bis „Avengers“
+ großer, dummer B-Movie
+ oft witzig (wenn auch nicht immer freiwillig)
+ in der gleichen Richtung wie „The Mummy“ oder „Van Helsing“
+ oft positiv kitschig
STEPHEN NORRINGTON
— Figuren wirken nur oberflächlich angerissen
— viele Effekte massiv mies gealtert
— einige Sequenzen vollkommen drüber, unübersichtlich oder auch unfreiwillig komisch (die Nautilus in Venedig z.B.)
— miserabler, dummer Retortenbösewicht
— magere Handlung
— Logiklöcher galore
— Overacting muss man nicht lange suchen
— wenig echte Spannung
— sehr mild und zu soft
— einige Schauspieler bleiben blass
— hetzt sich oft ab, kommt kaum zur Ruhe
— hat man seitdem ähnlich schon so oft, so viel besser gesehen
— keine eigene Handschrift des Regisseurs
— Kampf von Mr. Hyde gegen ein noch größeres Monster am Ende geradezu lächerlich
— Score pompös, bleibt aber kaum hängen
— vieles wirkt extrem artifiziell und künstlich
— Actionszenen oft unübersichtlich, schlecht geschnitten
— letzte Szene absolut lächerlich
— subtil ist hier gar nichts
— großer Unterschied zu den viel besseren Comics (kein Wunder, dass Fans auf die Barrikaden gingen)
— unlogische Geschichte
— manchmal möchtegern-coole Dialoge
— schon zu seinem Release etwas veraltet/aus der Zeit gefallen
— Stress/Querelen am Set haben vielleicht beigetragen
— kein allzu würdiger Schwanensong für Connery
— teuer, aber seelenlos, belanglos, schnell vergessen
— maximales Kino-Fast Food
Fazit: Luxustrash oder Monstermash, Literaturcrossover oder Graphic Novelle-Verschmutzung, Hollywood-CGI-Krach oder B-Movie-Grosswagnis - „LXG“ steht zwischen all den Fronten, macht mir trotz zum Teil mittlerweile echt mangelhafter Effekte dennoch zwischendurch auch genug Spaß. Mal freiwillig, mal unfreiwillig. Meist aber eher in Details, die nicht genug zusammengehalten werden. Connery, Steampunk, Comicverfilmung, gefühlt sogar etwas Wegweiser - das reicht um mich phasenweise milde zu stimmen. Vielleicht am ehesten noch ein Guilty Pleasure?! Die legendären Figuren/Vorlagen hätten aber wesentlich mehr verdient gehabt...