Review
von Leimbacher-Mario
Die sinnliche Skalpierung der Nostalgie
Edgar Wrights neuer Film ist zwar zu 100% er - aber wesentlich ernster und reifer als nahezu alles zuvor. Ein lupenreiner Thriller zwischen Swinging und Chilling 60s, zwischen Throwback und Foreshadowing, zwischen Vergangenheit und Zukunft, Wahrheit und Vorstellung, Alptraum und Erinnerung, Trauma und Traum, Vision und Wunsch. Es gibt gialloartige Spuren, Wrights Vorbilder und Idole von Polanski bis Argento werden ungeniert, clever und deutlich zitiert. Und herausgekommen ist einer der stylischsten und hypnotischsten Filme des Jahres. Handlung: Ellie liebt die 60er über alles - doch während ihres Modestudiums im London von heute wird ihre etwas verklärte Sicht auf (und oft gar Flucht in) die Vergangenheit auf den harten Boden der (toxisch maskulinen) Wahrheit geschmettert…
„Last Night In Soho“ ist ein verführerisch schöner und fluffig einlullender Kinoliebestrank. Nur definitiv und zum Glück mit einem guten Schuss Gift. Es werden genauso Erinnerungen an „Black Swan“ wie an „Nightmare On Elm Street“ wach. Das Farben- und Spiegelspiel ist state of the art, sehr liebevoll und beeindruckend, ja meisterhaft das Ganze. Dazu mit Thomasin McKenzie und Anya Taylor-Joy die zwei wohl momentan völlig zurecht beliebtesten Nachwuchsdarstellerinnen im Geschäft. Gegensätzlich, ergänzend, genial. Wunderschön, begabt, verflucht gut rundherum. Eine Geschichte über die Geister der Vergangenheit, über gefährliche Retrogläser, über die Schattenseiten einer oft zu rosig und positiv gesehenen Zeit. Einordnung, Backpfeife, Wecker, Verriss - und dennoch Feier?! Ja, das funktioniert. Ich weiß nicht wie. Aber es ist großartig. Dazu der womöglich beste Soundtrack des Jahres, u.a. mit genialen Versionen von „Downtown“ oder „I've Got My Mind Set On You“. Da will und kann man seinen Kopf nicht abdrehen. Selbst wenn sich der Spuk am Ende dann doch (gemessen am machtvollen Rest) etwas beliebig auflöst. Dennoch: für mich auf „Baby Driver“-Niveau und somit einer meiner ganz, ganz klaren Jahrgangsfavoriten, der in den kommenden Zeiten sicher noch oft geguckt wird.
Fazit: eine spielerische Liebeserklärung und eine verzwickte Demaskierung in einem. An das Kino, die Spannung, jede rosarote Brille. Und dennoch selbst erstaunlich vielseitig getönt, verspiegelt, gleitend. Vollkommen Wright und right!