Akzeptanz und das Bedauern
Todkranke, leidende Menschen in Krankenhausbetten, mitleidende betroffene Familien und Freunde, das ist ein durchaus bereits oft bearbeitetes Motiv, gerade im europäischen Autorenkino, aber auch im "großen Gefühlskino" der Marke Hollywood. Während in den Hochglanzproduktionen in der Regel der Sterbensweg eines Protagonisten als Vorwand für ein offensichtlich austauschbares Melodram dient, gehen gerade die jüngeren Independent-/Autorenfilme zu dem Thema einen ab und zu drastischen Weg: Chereaux's Bilder der Krankheit und des resultierenden Sterbens aus "Sein Bruder" beispielsweise, sind kalt, schmerzhaft und physisch. Dem Zuschauer wird nichts erspart, er muss den Leidensweg mitgehen. Es stellt sich die Frage, ob diese beiden Herangehensweisen wirklich ihren Effekt erzielen? Die Melodramatisierung führt meist zu Verharmlosung und gekünsteltem Kitsch, kann also daher fast nie ernst genommen werden (wenn es nicht sogar zur Heuchelei wird). Der zweite Weg ist eine gefährliche Gratwanderung zwischen ungeschönter Objektivität und übertriebener Schmerzschwelgerei. Ist die Darstellung eventuell zu fixiert auf das physische Leid des Kranken, sowie den Verlust seiner Würde, so verliert sich der Realismus in Einseitigkeit. Damit könnte Angst und gar Abscheu ein Mitgefühl ersetzen.
Umso interessanter ist ein Film wie "Mein Leben ohne mich". Er wählt den indirekten Blick auf das Sterben durch Krankheit, allerdings weniger (galgen-)humoristisch, als es etwa "Die Invasion der Barbaren" tut. Die eindringliche Geschichte um eine junge Mutter, bei welcher Gebärmutterkrebs im metastasierenden Endstadium diagnostiziert wird, wandelt im ständigen Wechselspiel der grandios spielenden Protagonistin zwischen Bedauern und Akzeptanz des Endes. Die Frau ist 23 Jahre alt, hat 2 Töchter, und lebt mit ihrem Mann, den sie sehr liebt, vergleichsweise ärmlich in einerm kleinen Wohnwagen in einem englischen Vorort. Sie fühlt sich gut, bis zu dem Tag, als sie vor Schmerz zusammenbricht, und in der Klinik Krebs entdeckt wird. Sie hat noch etwa 3 Monate zu leben, eine Operation ist chancenlos. Mit erstaunlicher Ruhe nimmt sie das auf und beginnt, eine To-Do-Liste von wichtigen Dingen abzuarbeiten, wobei sie allen ihre Krankheit verschweigt. Sie nimmt Kassetten mit Geburtstagswünschen für ihre Kinder auf, beginnt eine Affäre, um zu sehen, wie das ist, besucht ihren Vater im Gefängnis,...
Das Schöne an dem Film ist die indirekte Sentimentalität. Das explizite Leiden der Frau wird ausgespart, taucht nur in kurzen Schlaglichtern auf. Auf eine pathetische Sterbeszene wird ebenfalls klevererweise verzichtet, stattdessen endet der Film mit einem positiven Ausblick, regelrecht unspektakulär, wehmütig, doch damit eben umso nachhaltiger bzw. origineller. Übertriebene Emotionalität ist durch das Storykonstrukt kaum möglich, da die Protagonistin ja ihre Krankheit verschweigt. Der Blick des Films ist dabei ein sehr persönlicher. Man merkt, wie sie ihr Leben aufmerksamer lebt, wie sie aber auch versucht, mit dem baldigen Ende zurecht zu kommen, wie sie ganz rational Vorkehrungen trifft. Hierbei ergeben sich scharfsinnige Untertöne über das Bedauern im Allgemeinen: Da ihr Ende geheim bleibt, reden ihre Bekannten völlig normal mit der Frau und bedauern, bemitleiden ihr eigenes Leben, weil sie vielleicht zu dick sind, oder nicht mit dem Rauchen aufhören können. Für den Zuschauer als Mitwisser ergibt das eine interessante Gegenüberstellung von den bedauerten, scheinbar so schwerwiegenden Problemen der Mitmenschen zu dem "Problem" der Heldin, die keinen Sinn darin sieht, ihr Bedauern und ihren seelischen Schmerz nach außen zu tragen. Da und dort flammt in ihr Verbitterung auf, doch sie kämpft dagegen an und muss ihren Optimismus schließlich nach außen kehren, auf ihre Mitmenschen. Besonders schön erkennt man dieses ambivalente Bild in den Dialogen der Frau mit ihrem Arzt, der als einziger noch vom Krebs weiß.
Doch sie muss auch Rückschläge hinnehmen, muss feststellen, dass sie mit ihrer Verschwiegenheit womöglich Schaden anrichtet. Denn ihre Affäre, ein trauriger, einsamer Mann, verliebt sich zu sehr in sie. Und ihrem eingesperrten, depressiven Vater kann sie leider auch nicht viel sagen. Schließlich wird sie zusehends schwächer, ihre übrige Zeit verfliegt zu schnell. Trotzdem kommt im Film nie Hektik auf, es wird kein "Countdown" dramatisiert; die Bilder bleiben gelassen, doch weiterhin lebendig. Die Tragik ist still und introvertiert, wie auch die beiläufigen Abschiede, die die Frau ihren Bekannten mitteilt (mit Ausnahme ihres Geliebten). Somit endet der Film so unpathetisch, mitunter offen und dezent - man bedauert irgendwie, dass er schon so früh vorbei ist, dass vielleicht noch nicht alles erledigt war, was die Frau nach ihrer Liste und den Entwicklungen hätte tun sollen/können. Doch dann realisiert man, dass genau das die Stärke und Nachhaltigkeit von "Mein Leben ohne mich" ausgemacht hat, der Zuseher also auf diesen "unbefriedigenden" unpathetischen Schluss sensibilisiert wurde. 10/10.