Mit seiner „Mission: Impossible“-Reihe ist Tom Cruise das vielleicht größte Franchise-Zugpferd im Stall von Paramount, weshalb das Studio wohl ohne mit der Wimper zu zucken zusagte, als der Star und Original-Produzent Jerry Bruckheimer mit „Top Gun: Maverick“ ein spätes Sequel zu ihrem Megahit von 1986 in die Welt setzen wollten.
Das Update von 2022 haut von Anfang an in die Nostalgiekerbe, wenn schon zu Beginn das geschäftige Treiben auf einem Flugzeugträger untermalt von der Kenny-Loggins-Hymne „Highway to the Danger Zone“ gezeigt wird, das Publikum bei Jetstarts und -landungen hautnah dabei sein kann, wie dereinst bei „Top Gun“. Danach bewegt die Handlung sich jedoch erstmal in andere Gefilde, denn Pete ‘Maverick‘ Mitchell (Tom Cruise) ist mittlerweile Testpilot für neue Ultraschallflieger, auch wenn Vorgesetzte wie Admiral Chester ‘Hammer‘ Cain (Ed Harris) solche Programme lieber abschaffen und komplett auf Drohnen setzen wollen. Mit einem waghalsigen Manöver rettet Maverick die Finanzierung des Projekts, indem er seinen fliegenden Untersatz auf Mach 10 prügelt, wird zum Dank aber aus dem Programm gekickt.
Damit macht Maverick seinem Rufnamen alle Ehre, was auch erklärt, warum er nach über 30 Jahren treuer Dienste für die Navy es nie weiter als bis zum Captain gebracht hat. Weil sein alter Kumpel und früherer Rivale Admiral Tom ‘Iceman‘ Kazansky (Val Kilmer) immer noch eine schützende Hand über das Fliegerass hält, wird der jedoch nicht gekündigt, sondern zurück zur „Top Gun“-Flugschule versetzt. Jedoch nicht als normaler Ausbilder: Binnen drei Wochen soll er Elitepiloten für eine Spezialmission ausbilden und auswählen, womit der Film durch seine Deadline und das klar definierte Endziel schon mal ein spannungsförderndes Element etabliert.
Zu den Kandidaten gehört auch Bradley ‘Rooster‘ Bradshaw (Miles Teller), der Sohn seines verstorbenen Kumpels ‘Goose‘ (siehe „Top Gun“). Dass sich Rooster und Maverick nicht verstehen, macht das Training nicht einfacher, obwohl Bradshaw junior einer der aussichtsreichsten Aspiranten ist…
„Top Gun: Maverick“ ist nicht nur ein spätes Sequel, sondern ein halbes Remake, das Szenen von damals in leicht geänderter Form zitiert bzw. nachstellt: Maverick kommt auf dem Motorrad an, während ein Jet startet, Bradshaw gibt am Klavier in der Fliegerkneipe „Great Balls of Fire“ zum Besten, am Strand wird mit nacktem Oberkörper und Sonnenbrille in Zeitlupe Sport getrieben, auch wenn es anstelle von Volleyball hier eine Football-Variante ist, die Maverick als Teambuilding-Maßnahme spielen lässt. Das Sequel, welches dem 2012 verstorbenen Original-Regisseur Tony Scott gewidmet ist, schmiert dem Publikum die Nostalgiebutter daumendick aufs Brot, immerhin ohne dauerironisches Augenzwinkern, aber auch ohne große Reflexion oder clevere Hintergedanken. Wenn Barbesitzerin Penny Benjamin (Jennifer Connelly) das erste Mal auftritt, läuft im Hintergrund „Let’s Dance“ von David Bowie aus „Die Reise ins Labyrinth“ – in dem Connelly eine ihrer ersten Hauptrollen spielte.
Insofern hat sich erzählerisch seit „Top Gun“ nicht viel getan. Die Handlung ist dünn, die meisten Nebenfiguren egal – über so gut wie alle Kandidaten für die Spezialmission erfährt man kaum mehr als ihren Rufnamen und selbst da läuft man oft Gefahr ihn direkt wieder zu vergessen. Die Ausnahme ist Jake ‘Hangman‘ Seresin (Glen Powell), der als arroganter Fatzke und Roosters großer Rivale ein 1:1-Wiedergänger von Iceman aus dem Original ist. Minimale Charakterzeichnung erfahren außerdem Pilotin Natasha ‘Phoenix‘ Trace (Monica Barbaro) und Co-Pilot Robert ‘Bob‘ Floyd (Lewis Pullman), wobei diese auch nicht über die Standards „Toughe Frau in einer Männerdomäne“ und „Schüchtern, aber verlässlich und kompetent“ hinauskommen. Iceman tritt einer Szene für eine Gastrolle auf, die zwar nostalgische Gefühle weckt, gleichzeitig aber etwas morbide wirkt, weil man die reale Kehlkopfkrebserkrankung von Val Kilmer mit ins Script einbaute, an dem mit Ehren Kruger, Christopher McQuarrie und Eric Warren Singer gleich drei profilierte Autoren mitschrieben.
Abseits des Flugfeldes ist also wenig los. Die Liebesgeschichte zwischen Maverick und sein Off-On-Flamme Penny ist vor allem dazu da, damit man nochmal so romantisch werden kann wie im Original, aber diese Subplot trägt ebenfalls herzlich wenig zur eigentlichen Geschichte bei. Maverick muss kaum noch reifen, halt noch ein bisschen in die Rolle als Ersatzvater für seine Schützlinge hereinwachsen und dabei vor allem seine Beziehung zu Rooster kitten. Aber auch dieser Handlungsstrang wird nie so wirklich zentral, Rooster ist nie eine gleichberechtigte Figur zu dem Titelhelden, obwohl er die größere Entwicklung durchmacht, indem er sein Trauma überkommt. Und in einer Parallele zum Original respektieren er und Hangman sich am Ende des Films so wie Maverick und Iceman am Ende des Erstlings.
Nun ist auch „Top Gun“ nicht als Meisterwerk in Sachen Erzählkunst und Figurenzeichnung in die Geschichte eingegangen, sondern als perfekter Zeitgeistfilm mit ordentlich Fliegeraction in Hochglanzbildern und knalligem Soundtrack. In dieser Beziehung steht „Top Gun: Maverick“ seinem Vorgänger dann auch in wenig nach. Auf die Ohren gibt es stimmig von Lady Gaga, Harold Faltermeyer und Hans Zimmer, allerdings hätte „Highway to the Danger Zone“ aus dem Original gerne mehr als nur einmal laufen dürfen. Die Actionszenen sind größtenteils handgemacht und werden von Regisseur Joseph Kosinski absolut schnittig inszeniert, außerdem gibt es erst regelmäßig waghalsige Übungsflüge und zum Schluss natürlich die richtige Mission in einem Schurkenstaat, der im Film auch immer nur als solcher bezeichnet wird und dessen verschneite Berge fast überall auf der Welt sein könnten. „Top Gun: Maverick“ will keine Risiken eingehen, weshalb Maverick in diesem chinesisch co-produzierten Film auch keine taiwanesischen und japanischen Flaggen mehr auf der Fliegerjacke trägt, sondern man diese durch Fantasiesymbole ersetzte.
Positiv wirkt sich dagegen der Perfektionismus von Hauptdarsteller und Produzent Tom Cruise auf den Film aus: Der Star lernte nicht nur Jetfliegen für den Film, keine der Cockpit- und Flugsequenzen durfte CGI benutzen, weshalb die Darsteller lernen mussten waghalsige Flugmanöver und starke G-Kräfte auszuhalten. Das sieht man der Action positiv an. Etwas unnötig vielleicht der letzte Schlenker des 130 Minuten langen Films, der noch eine (Selbst-)Rettungsmission an das eigentliche Finale antackern muss, was zwar für etwas mehr Action sorgt, aber dramaturgisch nicht ganz sauber ist, zumal Mavericks Fähigkeiten an diesem Punkt langsam am Superheldenstatus kratzen.
Am Superstarstatus von Tom Cruise kann man dagegen gar nicht kratzen und der Sunnyboy hat sich seit dem Erstling auch schauspielerisch verbessert, sodass er den Film als zentrale Figur problemlos tragen kann. Mit Miles Teller und Jennifer Connelly hat er starke Anspielpartner, die nicht übermäßig gefordert werden, aber gut mit ihm harmonieren. Ed Harris und Val Kilmer sind nur für jeweils eine Szene dabei, mehr zu tun hat Jon Hamm als Admiral, dem Mavericks Stunts gegen den Strich gehen. Glen Powell, Monica Barbaro und Lewis Pullman verleihen ihren oberflächlich gezeichneten Charakteren so viel Profil wie möglich, haben letztendlich aber wenig zu vermelden.
„Top Gun: Maverick“ will nochmal Party machen als wäre es 1986, mit fast identischer Storyline und ähnlichen Stärken und Schwächen wie Scotts Original: Famose Flugszenen, eine perfekte Oberflächeninszenierung und ein toller Soundtrack sorgen für Laune, während die Geschichte 08/15 bleibt und die Figuren nicht allzu tief ausgelotet werden. Durch Cruise‘ Perfektionismus zieht die handgemachte Action vielleicht sogar noch etwas mehr in den Bann, dafür macht Maverick im Gegensatz zum Original keine große Entwicklung mehr durch. Im Guten wie im Schlechten ein Sequel (fast) auf Augenhöhe mit „Top Gun“. 6,5 Punkte.