„Sie können doch nicht einfach verschwinden!“
Der bereits dreizehnte Fall der Essener „Tatort“-Kommissare Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) und Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge) entstand einmal mehr unter der Regie des Stammregisseurs Wolfgang Becker, der damit zum achten Mal mit Felmy und Semmelrogge für die öffentlich-rechtliche Krimireihe zusammenarbeitete und zwischenzeitlich mit „Die Vorstadtkrokodile“ einen Ruhrpott-Kultfilm erschaffen hatte. Für den am 23. April 1978 erstausgestrahlten „Rechnung mit einer Unbekannten“ verfilmte er ein Drehbuch Peter Hemmers.
„Alles wie in einer erstklassigen Inszenierung!“
Brennstoffhändler Josef Rosenkötter (Peter Matić, „Der Himmel kann warten“) hat sich in einer Kontaktanzeige als Witwer ausgegeben und darüber die alleinstehende Roswitha Mattusch (Edith Hancke, „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“) kennengelernt. Bei ihrer ersten Verabredung erschießt er sie und lässt es wie Raubmord aussehen. Die ermittelnden Kommissare Haferkamp und Kreutzer haben gleich den richtigen Riecher und verdächtigen Rosenkötter, der die Tote als seine Ehefrau (Gertrud Kückelmann, „Frucht ohne Liebe“) ausgibt, die wiederum die Identität Frau Mattuschs annimmt. Die Polizei steht vor einem Rätsel und die Rosenkötters scheinen an alles gedacht zu haben. Nicht einmal ein mögliches Motiv ist erkennbar. Doch Haferkamp vertraut seinem Instinkt – und Rosenkötter, der seinen sinistren Plan ohne Wissen seiner Frau weitergesponnen hat, hat die Rechnung ohne ihren Kampfgeist gemacht…
„Danach bist du allein!“
Die Verabredung, der kaltblütige Mord, das fehlende Motiv – anfänglich ist man als Zuschauerin oder Zuschauer zwar etwas schlauer als die Polizei, kennt aber Rosenkötters Plan noch nicht. Auf der Feier, die der Täter nach seiner Tat aufsucht, ist man aus den alkoholgeschwängerten Dialogen ein Motiv herauszuhören geneigt, jedoch ohne Erfolg. Ungefähr zur Hälfte der Laufzeit wird der raffinierte Dreiecksplan klar, der indes nicht ganz zu Ende gedacht scheint, dafür aber immer finsterer wird. Achtung, Spoiler: Rosenkötter hat es nicht nur auf ein erkleckliches Versicherungssümmchen abgesehen, sondern möchte, nachdem sie als nützliche Idiotin für ihn fungierte, auch seine Frau aus dem Weg schaffen, um mit seiner Mieterin Karin Distler (Susanne Beck, „Drei Männer im Schnee“) ein neues Leben zu beginnen.
„Jetzt nehmen Sie doch Vernunft an!“ – „Ich darf nix annehmen, ich bin Beamtin.“
Das Blatt wendet sich für Rosenkötter, trotzdem erschüttert ein weiterer Mord die Szenerie. Die inhaltliche Härte dieses „Tatorts“ hat bei allem Kalkül beinahe etwas Psychopathologisches, wenn zwei Frauen aufgrund narzisstisch anmutender Kaltblütigkeit einer- und emotionaler Aufgewühltheit andererseits sterben müssen – und sich die Täter im auf eine befremdliche Weise melancholischen Ende fast wieder in den Armen liegen, sich über die Taten nähergekommen zu sein scheinen und von nun an eine Art Schicksalsgemeinschaft bilden.
Kreutzer ermittelt diesmal eng an Haferkamps Seite und philosophiert gern einmal über den Polizeiberuf, gemeinsam betrinkt man sich in einer Kneipe. Haferkamps Ex-Frau Ingrid spielt diesmal leider lediglich in den dortigen Dialogen eine Rolle. Der sich im winterlichen Ambiente abspielende und gut geschauspielerte Fall wird von stimmig zwischen Klassik und Moderne changierender Klavier- und Synthesizer-Musik (Richard Clayderman, Pink Floyd, The Alan Parsons Project, Vangelis) begleitet und macht zunächst neugierig, um dann gekonnt spannende Unterhaltung zu bieten.
Dabei gelingt es ihm über weite Strecken zu verschleiern, dass der Plan etwas überkonstruiert und eigentlich von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, da so ein Identitätsklau doch mit einigen Herausforderungen mehr einhergehen dürfte, als es hier arg vereinfacht dargestellt wird. Letztlich hätte die Polizei das falsche Spiel wesentlich eher durchschauen können, doch dann wäre dieser „Tatort“ viel zu schnell vorbei gewesen. Blendet man diese Aspekte aus, unterhält „Rechnung mit einer Unbekannten“ vorzüglich.
Und es gibt eine Premiere: Nicole Heesters („Drei Männer im Schnee“) feiert als Kommissarin Buchmüller ihren „Tatort“-Einstand und bekommt im Anschluss, von 1978 bis 1980, drei ganz eigene Fälle auf sich zugeschnitten.