„Verbrechen ist dreckig, Aufklären noch mehr!“
Am Pfingstmontag, 24. Mai 2021, feierte ein neues Bremer „Tatort“-Team seinen Einstand: Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer, „Bornholmer Straße“) und Mads Andersen (Dar Salim, „Game of Thrones“) lösten die Ermittler(innen) Lürsen und Stedefreund ab. BKA-Beamtin Linda Selb (Luise Wolfram, „Charité“), die unter den letztgenannten eine Nebenrolle eingenommen hatte, ist nun offenbar präsenteres Mitglied des neuen Teams, das somit eher ein Trio denn ein Duo bildet. Das Drehbuch Christian Jeltschs inszenierte Barbara Kulcsar, die somit nach „Rebland“ aus dem Jahre 2020 zum zweiten Mal die Regie innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe übernahm. Wer wollte, konnte sich bereits im Vorfeld im Zuge der mehrteiligen Mockumentary „How to Tatort“ humoristisch aufs neue Team einstimmen.
„Nervensäge – das bist du…“
Die junge, ambitionierte Liv Moormann erscheint in weißer Kleidung schick gewandet zum Vorstellungsgespräch bei der Bremer Kriminalpolizei, doch dort hat niemand Zeit für sie: Die Entführung eines Neugeborenen wurde just gemeldet, parallel dazu die Leiche eines Erwachsenen im Industriegebiet gefunden. Kurzentschlossen begleitet Moormann Ermittler Mads Andersen zum Fundort, wo BKA-Ermittlerin Selb hinzustößt, während die anderen Polizisten sich auf die Suche nach dem Baby begeben. Austauschbulle Andersen wollte eigentlich zurück in seine dänische Heimat nach Kopenhagen reisen, muss seine Abfahrt jedoch notgedrungen verschieben – immer und immer wieder… Es stellt sich heraus, dass beide Fälle miteinander zusammenhängen; die Ermittlungen führen in Bremer Hochhausschluchten, deren soziale Brennpunkte – und zu einem saufenden ehemaligen Werder-Kicker (André Szymanski, „Vor der Morgenröte“) sowie alleinerziehenden jungen Müttern und deren Umfeld.
Der Bremer Neubeginn führt die von mir geschätzte Jasna Fritzi Bauer als übermotiviert erscheinende Nachwuchskommissarin ein, die mit ihrer nassforschen Art und ihrem aufdringlichen Wesen Erfolg hat. Ihr Partner Mads Andersen, gespielt vom auch international erfahrenen Dar Salim, schleppt ein Geheimnis mit sich herum, das mit seinem Deutschlandaufenthalt bzw. seiner geplanten Rückkehr nach Kopenhagen zu tun hat, spricht mit Akzent und sorgt mit seiner Muffeligkeit neben der quirligen Moormann für etwas Erdung. Wunderbar ergänzt werden beide von der etwas autistisch, in jedem Falle recht gefühlskalt anmutenden, schwanenhalsigen Füchsin Linda Selb, einer interessanten Figur im „Tatort“-Kosmos also, die sich eine etwas größere Bühne innerhalb der Reihe redlich verdient hat. Sie sorgt für eine gewisse Kontinuität innerhalb des Bremen-Ablegers der Serie.
„Neugeboren“ beginnt – und endet – mit einer aus dem Off philosophierenden Moormann, um bald ein sozial unterprivilegiertes Milieu zu erkunden. Damit einher geht, dass sich der Fall weniger um klassische kriminelle Energie dreht als vielmehr um zwischenmenschliche Verwerfungen innerhalb wenig aussichtsreicher Sozialstrukturen. Was sich dort an unter der Oberfläche brodelnder Verrohung und Gewalt offenbart, ist erschreckend, wenn auch – leider – nichts wirklich Neues, doch genau das kritisiert die grundsätzlich gelungene Mischung aus Krimi und Sozialdrama ja. Erzählerisch wählte man leider einen etwas umständlichen Weg, der nicht wirklich bei der Stange hält, sondern eher verwirrt und sein Publikum zwischenzeitlich zu verlieren droht. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass, dem Einführungscharakter dieser Episode geschuldet, die neuen Ermittler(innen) stärker im Fokus stehen als die Menschen, die mit den Fällen in Verbindung stehen. So muten diese trotz erkennbarem Bemühen um Tiefgang etwas stereotyp an.
Stark hingegen ist die melancholische Stimmung zwischen urbaner Tristesse, Düsternis und leichten Hoffnungsschimmern, die den im November 2020 gedrehten und auch danach aussehenden „Tatort“ durchzieht. Dass er unmittelbar nach dem Wochenende des besiegelten Abstiegs Werder Bremens aus der Herrenfußball-Bundesliga ausgestrahlt wurde, ist eine bittere Ironie des Schicksals. Der positive Eindruck überwiegt – und sollte es gelingen, beim nächsten Mal die erzählerischen Schwächen in den Griff zu bekommen, reift hier womöglich ein spannendes Team mit hoffentlich auf- oder anregenden Fällen heran.