Wann hat der Wahnsinn denn mal ein Ende?
„Texas Chainsaw Massacre" von 2022 folgt sehr eindeutig dem Rezept von „Halloween" von 2018, indem man alle Sequels schlichtweg ignoriert und an den Originalfilm anknüpft. Das hat mir bei „Halloween" recht gut gefallen und ich muss zugeben, dass auch der Neuaufguss mit dem Ledergesicht eher positiv überrascht.
Die gesamte Machart ist auf die reine Unterhaltung ausgelegt, versteht es aber auch, die morbide Atmosphäre des Franchises zumindest anfangs in Teilen aufzugreifen. Der Moment der Genese des Ledergesichts kommt zumindest recht stimmungsvoll rüber. Die Hauptfiguren kommen uns gerade nah genug, um unser Interesse zu wecken, wobei die Hintergrundgeschichte mit dem überlebten Amoklauf irgendwie deplatziert und aufgesetzt wirkt.
Solchen ernsten Tönen setzt der Film jedoch auch vollkommen überdrehten Splatter entgegen, wenn beispielsweise ein Partybus voller Millennials der Kettensäge zum Opfer fällt. Hier muss man eventuell dem Regisseur David Blue Garcia (Ochsenknecht?) Zynismus unterstellen, wenn er die Opfer seines Films als digital verseuchte Vollspacken darstellt, die noch den Anfang des Massakers vor ihren Augen mit dem Smartphone live ins Netz schicken, um dann in ihre Einzelteile zerlegt zu werden. Der Film empfindet keinerlei Bedauern mit den Dahingemeuchelten und zelebriert ihr Ableben, als gelte es „Braindead" zu übertrumpfen.
Die größte Nähe zum Neuaufguss von „Halloween" besteht in der Anknüpfung zum Original über eine weibliche Antagonistin. Sally Hardesty wird zwar nicht so zentral gestellt wie Laurie Strode, kommt aber ziemlich cool rüber. Leider verpufft ihre Figur durch das uninspirierte Drehbuch, das sich mehr auf herkömmlichen Teenie-Horror beschränkt und jeden Terror meidet.
Wenn man ehrlich ist, orientiert sich diese Neuauflage mehr an der Neuauflage von Michael Bay von 2003 und weniger an dem ruppigen Original von 1974, das im Klima eines von Vietnam gebeutelten Amerikas auch immer als Kommentar verstanden wurde. Auch anno 2022 versucht man in diese Kerbe zu schlagen: Die Überheblichkeit modernistischer Jungspunde gegenüber dem alten, hart arbeitenden Amerika, rassistische Wurzeln der Südstaaten, Verdrängungskämpfe und die Selbstzerfleischung an Schulen und innerhalb der Gesellschaft als Ganzes... Ansätze von Kommentaren zu gärenden Problemen innerhalb der US-Gesellschaft gibt es hier viele. Aber die werden einfach eingeworfen, ohne stringent einer Prämisse zu folgen, denn letztlich interessiert sich der Film einen feuchten Kehricht für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit irgendwas.
Wofür der Film sich interessiert, ist die Brutalität, die bereits 1974 den Kern des Originals ausmachte. Dort wurden allerdings die Dinge nur angedeutet. 2022 ergeht sich der Film in einer Vielzahl an expliziten Brutalitäten, die jedoch nicht wirklich schocken, weil sie allesamt over the top sind. Aber gerade darin besteht wohl der Reiz und man bekommt eben das, was man von dem Titel nach den vorherigen Teilen erwartet.
Die erste Hälfte des mit gerade 75 Minuten Spielzeit kurzen Films sucht eine ernste und ruppige Note, übertreibt aber bereits so sehr, dass ein wirklicher Schrecken sich zumindest bei mir nicht einstellen wollte. Aber die gerade für ein Netflix-Feature enorme Härte passt doch irgendwie zur Filmreihe und Hauptfigur, die dann aber ab der Busszene so sehr überzeichnet wird, dass der Film ab da seinen ernsten Ton verliert. Technisch und inszenatorisch sind die Mordszenen gerade in der ersten Hälfte gelungen, aber die Optik ist so durchstilisiert, dass diesem Beitrag die Unmittelbarkeit des Originals fehlt. Zum Ende hin werden die Farben und das Licht sehr vordergründig und das Set-Design wird extrem artifiziell, wodurch der Film das dreckige Vorbild vollkommen aus den Augen verliert.
So präsentiert sich Leatherface hier als der Spaßlieferant für das Publikum, der inszenatorisch als gar nicht so heimliche Hauptfigur agieren darf. Mit wem man mehr mitfiebern soll, Final Girls oder Nemesis, ist dem Film manchmal nicht so recht klar. Ich tendiere zu Letzterem, womit wir schon beim Dilemma sämtlicher Horror-Franchises wären: Man gewinnt das Monster, sei es Freddy Krueger, Jason Vorhees oder Michael Myers, so lieb, dass es schon sehr sympathische Helden*innen braucht, um dem Monster den Tod zu wünschen. Dann wäre ja der Spaß vorbei...
Fazit
Originalität sucht man vergebens. Ein gutes Drehbuch ebenfalls. Aber „Texas Chainsaw Massacre" aus der Ruck-Zuck-Schmiede ist technisch sorgfältig umgesetzt und kurzweilig genug, um die üblichen Mängel von Netflix-Genre-Eigenkreationen zu übertünchen. Spannend ist der Film nicht, schockierend extrem selten bis gar nicht und die durchstilisierte Optik nimmt der Brutalität jeden fühlbaren Schrecken. Der Terror ist dem Fun-Splatter gewichen, aber das finde ich deutlich unterhaltsamer als alles, was seit 1986 zum Thema Motorsägen in Texas herausgekommen ist.