Russell Mulcahy kam aus dem Musikvideobereich, auch sein erster Spielfilm „Derek and Clive Get the Horn“ entstand in diesem Umfeld. Mit dem Tierhorror-Reißer „Razorback“ konnte sich Mulcahy erstmals auf dem Feld des Genrefilms bewegen, ehe er zwei Jahre später mit „Highlander“ seinen populärsten Film abliefert.
„Razorback“ trägt das Erbe von „Der weiße Hai“ in sich, beginnt auch mit einem Angriff des titelgebenden Tiers als Eröffnungssequenz. Das riesige Wildschwein zerlegt das Haus von Jack Cullen (Bill Kerr) und trägt dessen Enkel davon, was ihm die wenigsten Bewohner des kleinen Örtchens Gamulla glauben. Doch vor Gericht kann man ihm keinen Mord nachweisen, weshalb Cullen freikommt und von nun an Jagd auf Razorbacks im Allgemeinen und jenes Riesenexemplar im Speziellen macht. Der fanatische Jäger erscheint als eine Art Kapitän Ahab zu Lande, während die Inszenierung des ersten Wildschein-Angriffs wiederum Elemente von „Der weiße Hai“ übernimmt, wenn es POV-Shots aus Sicht der Kreatur gibt, das Biest selbst aber nicht wirklich zu sehen ist.
Zwei Jahre später verschlägt es die amerikanische Reporterin und Öko-Aktivistin Beth Winters (Judy Morris) nach Gamulla. Die Investigativjournalistin will über die Kängurujagd in diesen Breiten berichten und darüber, dass die Tiere danach schnöde zu Hundefutter verarbeitet werden. Damit macht sie sich nicht nur Freunde, sondern zieht vor allem den Unmut der Jäger-Brüder Benny (Chris Haywood) und Dicko Baker (David Argue) auf sich. Als sie die australischen Rednecks erst in einer Kneipe demütigt und später noch Filmaufnahmen in deren Schlachthaus mit dem Namen „Petpak“ macht, wird sie von diesen attackiert – bis der Razorback auftaucht. Danach ist Beth verschwunden, womit „Razorback“ in der Tradition von „Psycho“ die vermeintliche Hauptfigur aus dem Spiel nimmt und eine neue übernehmen lässt.
Dabei handelt es sich um Beths Ehemann Carl (Gregory Harrison), der nach Australien reist, um die Suche nach seiner Gattin aufzunehmen. Dabei trifft er unter anderem auf Jack, auf die Baker-Brüder – und auf den Razorback, der immer noch sein Unwesen treibt…
Man kann „Razorback“ unter zwei Gesichtspunkten anschauen: Zum einen als Tierhorrorfilm, zum anderen als Stilübung für Mulcahy. Der wirft sein ganzes Musikvideokönnen in die Waagschale und inszeniert das Outback als unwirklichen Ort, als eine Art Fiebertraum oder Vorhölle in MTV-Ästhetik. Gespenstisches Scheinwerferlicht ohne erkennbare Quelle durchbricht das nächtliche Outback, Farbfilter, bevorzugt in blau, gelb oder braunrot, geben dem Ganzen einen surrealen Touch, der in jener Szene einen Höhepunkt erreicht, in der ein geschundener Carl durch die Wüste irrt und von Tierskeletten, die sich bewegen, halluziniert. Ausstattung und Requisite unterstützen diesen Style noch mehr, wenn Autowracks in Baumkronen hängen oder das Fahrzeug der Bakers fast aus einem „Mad Max“-Film stammen könnte. Das australische Hinterland in „Razorback“ scheint eh der Postapokalypse nahe zu sein, gerade mit Blick auf die asozialen Baker-Rüpel.
Angesichts solcher menschlicher Gestalten stellt man sich, wie so oft im Tierhorrorfilm, die Frage, ob die animalische Bedrohung wirklich das größte Übel ist, wobei es sich dabei normalerweise um profitgierige Anzugträger handelt. Ansonsten sind die Ökobotschaften in „Razorback“ allerdings eher dezent vorhanden, auch wenn die Kängurujagd und -verarbeitung als ein ekliges, barbarisches Geschäft gezeigt wird. Die Gründe für das Riesenwachstum des Schweins werden nicht erläutert, allerdings erwähnt, dass es das Ökosystem stört, da es die anderen Razorbacks in Panik versetzt. Während die Dicko-Brüder, die weder für tierisches noch für menschliches Leben Respekt haben, einen Touch Backwoodhorror in „Razorback“ bringen, erzählen Mulcahy und Drehbuchautor Everett De Roche die Geschichte auch mit Augenzwinkern und etwas komödiantischer Auflockerung, etwa wenn das Riesenschwein das Fangnetz eines Outback-Bewohners tappt, darin jedoch nicht festgesetzt wird, sondern bei seiner Befreiung einfach das halbe Wohnzimmer des Kerls mitnimmt.
Die titelgebende Kreatur ist natürlich die Hauptattraktion, wird aber wie in Vorbildern wie „Der weiße Hai“ oder „Alien“ nur wenig gezeigt, erst im Showdown (etwas) mehr. Was bei „Razorback“ allerdings auch Budgetgründe haben dürfte, denn wenn das Wildschwein in Action zu sehen ist, dann entweder aus großer Ferne, mit schnellen Schnitten oder Kameragewackel – vermutlich waren die Animatronics nicht ausgereift genug für Angriffe in voller Pracht. Das Design des Killerschweins ist jedoch stark, sodass es durchaus im Sinne des Films ist, dass dies nicht durch mögliche Effektmängel torpediert wird. Allerdings bleibt der Bodycount eher niedrig und das Killerschwein bleibt teilweise etwas zu sekundär – erst im Finale lässt Mulcahy dann deutlich mehr die Sau raus, mit einem schweißtreibenden Showdown im „Petpak“-Schlachthaus.
So hat „Razorback“ als Tierhorrorfilm seine Schwächen. Das Schweinderl taucht mal hier oder da auf und macht etwas Stress, dann kommen längere Passagen ohne den riesigen Razorback aus, in denen es dann eher um die Figuren geht, denen es aber an echtem Tiefgang mangelt. Vor allem Hauptfigur Karl ist insgesamt ein reichlich uninteressantes Toastbrot, dessen Quest auf der Suche seiner Frau auch noch dadurch vom Drehbuch ad absurdum geführt wird, dass ihm mit der Wildschweinexpertin Sarah Cameron (Arkie Whiteley), die ihm und Jack hilft, gleich auch noch überdeutlicher Ersatz für die Vermisste an die Seite gestellt wird. Auch Figuren- und Handlungslogik lassen manchmal zu wünschen übrig – ein Anzeichen dafür, dass es Mulcahy eher um die Bilder als um den Inhalt des Films ging.
Vielleicht hätte Gregory Harrison da etwas mehr Schauspielerführung benötigt, denn die eh schon etwas farblose Hauptrolle verkörpert er dann auch vergleichsweise blass und muss stets aufpassen, dass ihm die Nebendarsteller nicht die Butter vom Brot nehmen. Da kann sich der charismatische Jack Cullen als fanatischer Jäger, der sich immer noch ein Maß an Umsicht und Menschenfreundlichkeit bewahrt hat, deutlich mehr punkten. Weitere Akzente setzt David Argue als herrlich hassenswerter Redneck-Arschkrampen, während sein Filmbruder Chris Haywood sowie Arkie Whiteley und Judy Morris routiniert-unauffällig agieren.
So lässt „Razorback“ als Tierhorrorfilm bisweilen etwas zu wünschen übrig, da er seine coole Kreatur wenig zum Einsatz bringt, über keinen allzu großen Spannungsbogen verfügt und seinen Standardfiguren mehr Raum gibt als der Bedrohung. Immerhin fährt der Film ein stark designtes Untier und wenige, aber gelungene Wildschweinangriffe auf. Größere Stärken hat er dagegen als Stilübung für Musikvideo-Maestro Mulcahy, der das Outback hier als schillerndes, andersweltliches Setting mit extravaganter Lichtsetzung und Farbfiltern einfängt.