„Sie haben die Leitung, es ist Ihre Entscheidung!“
„Tatort“-Stammregisseur Niki Stein inszenierte mit seiner Regiearbeit für die öffentlich-rechtliche Krimireihe Bundespolizist Thorsten Falkes (Wotan Wilke Möhring) 15. Einsatz – der neunte zusammen mit Bundespolizistin Julia Grosz (Franziska Weisz). Stein verfasste auch das Drehbuch des Falls, der während des ersten Corona-Shutdowns gedreht wurde und deshalb in Teilen umkonzipiert werden musste. Die Erstausstrahlung erfolgte am 18.04.2021.
„Du bist wahnsinnig.“
Julia Grosz leitet, frisch zur Hauptkommissarin ernannt, einen brisanten Einsatz: Der verdeckte Ermittler Tarik (Ercan Karacayli, „Almanya – Willkommen in Deutschland“) soll helfen, einen in Hamburg lebenden russischen Waffenhändler (Wladimir Tarasjanz, „Marco W. - 247 Tage im türkischen Gefängnis“) zu überführen. Tarik trifft dafür auf den Neffen (Jakub Gierszal, „Finsterworld“) des russischen Familienoberhaupts, das tief in illegale Machenschaften verstrickt ist. Nervös beobachtet Grosz zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen von der Einsatzzentrale aus, wie der Neffe kurzfristig den Plan ändert und mit dem verdeckten Ermittler nach Zypern fliegen will. Grosz entscheidet sich, den Einsatz nicht abzubrechen – und muss kurz darauf erfahren, dass eine im Flieger deponierte Bombe das Flugzeug in der Luft in Fetzen riss. V-Mann, Waffenhändler und die Besatzung kamen ums Leben. Marija (Tatiana Nekrasov, „Die Auferstehung“), die Nichte des Waffenpatriarchs und seit ihrer Distanzierung von ihrer Familie selbst als verdeckte Polizistin tätig, übernimmt nun die Ermittlungen innerhalb ihrer Familie. Sie kann nicht glauben, dass ihr Onkel seinen Neffen opferte, und möchte dem wahren Mörder und dessen Motiv auf die Spur kommen…
Der Auftakt ist rasant und hochspannend inszeniert. Er zeigt nicht nur Menschen in Lebensgefahr, sondern auch den Druck, unter dem Grosz während ihrer ersten Einsatzleitung steht. Die Explosion bedeutet nicht nur eine Zäsur innerhalb ihres Teams – fortan gilt sie als gefühlskalt –, sondern auch für die Dramaturgie. Der „Tatort“ gerät zu einer Mischung aus Krimi und Familiendrama, dialoglastig und in Bezug auf die Familiengeschichte, die er zu erzählen versucht, überambitioniert. Die Handlung erscheint zu komplex und schwer nachvollziehbar und die anfänglich noch interessante, wenn nicht gar aufregende Erzählstruktur mit ihren Zeitsprüngen und Rückblenden trägt von nun an zur Verwirrung und Ermüdung bei. Das Rotlichtmilieu entromantisierende Kiezszenen dienen lediglich zur Einführung der Figur Marija und werden nicht wieder aufgegriffen. Durchaus lobenswert ist indes der Ansatz, den russischen Familien-Clan einmal entgegen allen Klischees als belesene, elitäre Hochkulturanhänger(innen) zu zeichnen.
Tatiana Nekrasov gelingt es, ihre Rolle undurchsichtig und ein bisschen geheimnisvoll auszulegen, was jedoch auch zu Ungunsten der Emotionalität dieses „Tatorts“ geht. Ihre Verpflichtung ist aber zweifelsohne ein echter Gewinn. Der Showdown mit einer überraschenden Schießerei und Menschenjagd inklusive eingeblendetem Fadenkreuz sorgt dann doch noch für ein actionreiches Finale dieses Falls, der wundervoll fotografiert und mit Bildern aus Tablets, Überwachungskameras und TV-Geräten angereichert wurde. Auf der horizontalen Erzählebene hadert Falke damit, dass sein Sohn (Levin Liam) mit dessen Freundin zusammenzieht, die Quintessenz der eigentlichen Haupthandlung wiederum scheint von aktuellen Umtrieben der Putin-Regierung und ihrer Geheimdienste inspiriert. Fazit: Ein starker Auftakt gefolgt von einem zähen, unnötig kompliziert erzählten Familienporträt, aus dem einen das Finale erweckt – dafür aber ausgesprochen hübsch dargereicht.