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Nach einigen schlichten Kurzfilmen wie „The Diane Linkletter Story“ inszenierte Trash-Papst John Waters gemeinsam mit seiner Muse, dem kontroversem Transvestiten Divine, ihr gemeinsames Langfilm-Debüt „Mondo Trasho“. Bereits mit diesen Filmen kreierten Waters und Divine ihren einzigartigen Stil, doch war ihr erster Spielfilm noch ziemlich zähflüssig und ohne erkennbaren roten Faden inszeniert, so lief das bizarre Duo in „Multiple Maniacs“ zu absoluter Höchstform auf.

Zu einer Zeit, in der Amerika noch tief geschockt war durch die berüchtigten Manson-Morde und natürlich den Vietnam-Krieg attackiert „Multiple Maniacs“ alles was dem amerikanischen Spießbürgertum heilig ist und zerlegt jegliche filmische Konvention in ihre Einzelteile. Gedreht auf 16mm-Material, realisierte die engagierte Crew das Gesamtwerk für nur 5000 Dollar und in Anbetracht dieser Summe sieht der Film dank der spröden schwarz/weißen Optik überraschend gut aus.

John Waters entwirft in seinem Trash-Meisterwerk ein wahrhaft alptraumhaftes Weltbild, durchzogen von schmutzigen Gestalten und perversen Geschmacksentgleisungen. Seine völlig kaputten Freaks reflektieren auf geschickte Weise amerikanische Klischeebilder und verzerren diese auf groteske Art und Weise. Immer wieder gibt es deutliche Anspielungen auf Charles Manson und den grausamen Mord an Roman Polanskis damaliger Ehefrau Sharon Tate. Trotz der respektlosen Art der Darstellung und der unsensiblen Herangehensweise an diese damals noch frischen Ereignisse werden die Mörder nicht wirklich heroisiert, allenfalls als Produkt der Gesellschaft betrachtet.

Innerhalb des kranken Humors stechen immer wieder unübersehbare Spitzen hervor, so entlarvt Waters den Voyeurismus des Volkes (respektive des Mittelstandes), die Sensationsgeilheit der Medien die erstem Punkt ständig neues Futter verleihen und schließlich auch die Scheinheiligkeit der katholischen Kirche als Institution.

Mit brachialen Sequenzen voll von ausufernder Gewalt, Tabubrüche, Vergewaltigungen und Homosexualität wird der Zuschauer strapaziert, dennoch gelingt eine durchaus dichte Atmosphäre. Sowohl die Musikuntermalung als auch der abenteuerliche Schnitt und die holprigen Kamerafahrten erzeugen einen passenden technischen Rahmen, worin sich begnadete Selbstdarsteller wie Divine oder auch Mink Stole völlig frei entfalten können.

Aus der Spontaneität der Darsteller resultiert die Authentizität des Bildmaterials, welches schon in „Mondo Trasho“ überzeugte – hier wirkt jedoch das Timing weitaus gereifter, die Dialoge sind zahlreich und mit köstlich ekelhaftem Fäkalhumor voll gestopft. Dabei verliert das Drehbuch die obskure Geschichte niemals aus den Augen und erzählt die Odyssee Divines abwechslungsreich und unter Einsatz mannigfaltiger skurriler Nebencharaktere.

Bemerkenswert ist das geniale Ende des Films: In einer Szene kurz vor Schluss wird Divine von einem riesigen Hummer vergewaltigt und beinahe ermordet, hier gleitet der Stil in surrealistischen Symbolismus, verliert sich aber nicht in vieldeutigen Allegorien. Das radikale Ende wird der kriminellen Divine bereitet von Soldaten der U.S. Army – als die White Trash Ikone letztendlich erschossen am Boden liegt jubeln sowohl die Soldaten als auch die Schaulustigen – während im Hintergrund „God bless America“ erklingt.

Eine tiefe Aussage ist zwar streng genommen nicht vorhanden, keine Botschaft ist aber (gerade in diesem speziellen Fall) sehr wohl auch eine Botschaft. Der nihilistische Humor und die grenzüberschreitenden Details sprechen für sich und machen aus Waters Filmen stets absolute Anti-Hollywood-Kost. Selbst in heutigen Zeiten, in denen selbst Waters mildere Töne anschlägt, befinden sich immer wieder aggressive Töne gegen die Traumfabrik in seinen Werken.

Fazit: Laut, schrill und wahnsinnig – „Multiple Manicas“ begeistert auch heute noch mit ungehaltener Polemik, schockt über dreißig Jahre nach seiner Entstehung noch mit unverblümt direkter Provokation und einer unvergleichlichen Atmosphäre. Ein klarer Tipp für jeden Fan wichtiger Underground-Filme…

9,5 / 10

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